In Millionen von Jahren entstanden und in wenigen Jahrhunderten verbraucht. Nicht von Öl ist hier die Rede, sondern von Marmor. Doch wie das schwarze, so ist auch das »weiße Gold« bei Weitem nicht so makellos wie seine Farbe. Gerade deshalb inspiriert es weiterhin, etwa den Künstler Primož Bizjak.
Selten liegen Schönheit und Zerstörung so nah beieinander wie in den Apuanischen Alpen. Seit Tausenden von Jahren wird hier Bergbau betrieben. Die Ligurer der Eisenzeit nutzten die Vorkommen von Steinen und Erzen, später die Römer der Kaiserzeit. Die Renaissance brachte der kleinen Stadt Carrara großen Ruhm. Von hier stammte der Stein, aus dem der große Michelangelo seine Figuren schlug. Michelangelo kam selbst, um sich seine Marmorblöcke auszusuchen.
Mit der detaillierten Handarbeit war es ab dem 19. Jahrhundert erst einmal vorbei. Von nun an ging es ganzen Gipfeln an den Kragen. Das geht bis heute so. Längst wird mit den Erzeugnissen des Bergbaus aber nicht mehr nur gebaut. Jenen 25 Prozent des verkauften Marmors, die in der Bauindustrie als Bodenplatten und Fassadenschmuck Verwendung finden, stehen 75 Prozent entgegen, die zu Staub zermahlen werden und als Calciumcarbonat-Pulver in der Herstellung von Glas, Papier oder Zahnpasta Verwendung finden. Nur ein halbes Prozent wird letztendlich bildhauerisch verarbeitet. Das wäre lamentabel, aber noch lange nicht gefährlich. Es ist der große Anteil an Abfall, der schließlich zum Problem wird. Die Mengen an heute anfallendem Schutt ohne Verwendungszweck sind riesig und nicht mit denen der letzten Jahrhunderte vergleichbar.
Schmutziges Handwerk, schmutziges Geschäft
Kein Zweck bedeutet nicht, keine Nebenwirkungen: Substanzen wie Thallium, toxisch bis tödlich, gelangen durch die immensen Dimensionen des Abbaus vermehrt ins Grundwasser; Feinstaub lässt Wasserquellen verstopfen und legt sich wie ein Leichentuch über Mikrosysteme der Natur, gefährdet so Mensch, Tier und Umwelt. »Marmettola« heißt ein gefürchtetes Gemisch aus Marmorstaub, Schlämmen und Ölen. Eigentlich Sondermüll, wird es nicht immer entsprechend entsorgt. Denn der Bergbau ist nicht nur ein schmutziges Handwerk, sondern auch ein schmutziges Geschäft. Und ist mit der Mafia genauso verbandelt wie mit zweifelhaften Investor*innen aus Nahost. Die ansässige Bevölkerung zieht daraus eher wenig wirtschaftlichen Gewinn. Im Gegenteil, stemmt doch gerade sie viele der indirekt anfallenden Kosten – zum Beispiel für die Instandhaltung von Infrastruktur. Und sie ist es schließlich auch, die unter den prekären Arbeitsbedingungen und vergifteten Böden zu leiden hat.
Von all diesen Opfern zeigt Primož Bizjaks Foto auf den ersten Blick nicht viel. Schroff geformtes Geröll, weiches Licht, eine zeit- und ortlose Szenerie voller Eleganz, eingefangen in großem Detail. Keine menschlichen Spuren lassen sich ausmachen. Etwas fehlt. Der Stein, der hier mal stand. Er hat uns viel gegeben: Häuser, Wohlstand, Kunst – allein sein Fehlen ist sein Zeuge. Vielleicht ist es Zeit, ihm etwas zurückzugeben. Zu allererst eine Würdigung.
Primož Bizjak, geboren 1976 in Šempeter pri Gorici in Slovenien, arbeitet mit rein analoger Fotografie und langen Belichtungszeiten. Sie erlauben ihm, dem schwachen Licht der Nacht Fotografien abzuringen. Solche sonst unsichtbaren Ansichten zeigen auch die Bilder der »Alpi Apuane«-Serie, Blicke ins Innere der Erde und hinter die Kulissen der Bildhauerei. Ein Beispiel seiner Arbeit ist bis 10. Dezember in der Galerie Gregor Podnar in Wien zu sehen.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 196 ist dies: »Passo della Focolaccia« von Primož Bizjak.