Noch bis zum 1. Mai zeigt das Belvedere 21 eine Einzelausstellung des Künstlers Ugo Rondinone. Das inflationär gebrauchte Wort des Immersiven passt hier wirklich, denn man taucht ein in einen Raum der Ruhe, der gleichsam ein Kosmos der Dinge ist – und damit aus einer Kunsterfahrung einen Moment der Achtsamkeit macht.
Eine Plastik wie diese von Ugo Rondinone »lebt« von ihrem Realismus. Da ist zum einen die Direktheit, mit der sich jeder Knochen durch die Haut durchdrückt und die Augäpfel hinter den Lidern zu spüren sind oder das Gewicht des Rumpfes, das diesen beugt. Zum anderen ist es die tatsächliche Körperlichkeit der Figur, ihre Dreidimensionalität und Mehransichtigkeit, die faktische Präsenz im Raum. Auch auf der abgebildeten Fotografie erhält sie sich, weil wir der Behauptung, wahrhaftig zu sein, vertrauen und uns an ihr orientieren können.
Weiters die Unmittelbarkeit, mit der sich die Arbeiten den Raum mit den Besucher*innen teilen. Sie sind ohne Weichen, ohne Podeste, Sockel oder Absperrungen auf den Steinboden gesetzt und stützen sich an den Säulen der Ausstellungshalle, die auch die Architektur tragen. Am Ende ist es die Übereinstimmung des Materials mit seiner vorgeblichen Materialität: Die Erde ist wirklich Erde, das Licht ist echtes Licht.
Abstand, um verstehen zu können
Wobei, wenn die Wirklichkeit zu nah scheint, wird sie unwirklich. Wir brauchen Abstand zu den Dingen, um sie verstehen zu können. Rondinone gibt uns nicht ein Bild einer Landschaft, sondern die Erde selbst; nicht die Projektion davon, er gibt den Raum, den Körper. Aber er hält die Distanz und verfolgt keinen Naturalismus um jeden Preis, denn so bliebe immer ein Verhältnis von Abhängigkeit.
Und schließlich: der Figuren Geist. Zart, trotzdem kraftvoll, sind die niedergeschlagenen Augen und Posen der Meditation Projektionsfläche für ein Gefühl der Ruhe und der Einkehr – oder auch des Schmerzes und der Schwäche, je nach Interpret*in. Wichtig ist, dass hier etwas vermutet wird, was über die Sphäre des Materiellen hinausgeht: Mystik. Das erzählt sich über das Vorhandensein von Körper, Licht und Raum, über die Stoffe selbst viel stärker, als es ein Bild davon könnte. Und so glaubt man, was man zu spüren meint, und wird spirituell: Es gibt noch etwas hinter den Dingen. Hier ist der Ort, um das zu lernen.
Ugo Rondinone wurde 1964 in Brunnen in der Schweiz geboren und besuchte von 1986 bis 1990 die Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Er lebt und arbeitet in New York. Sein Werk unterteilt er in die Kategorien »Day« und »Night«. Die Ausstellung »Akt in der Landschaft« ist noch bis 1. Mai 2022 im Belvedere 21 in Wien zu sehen.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 191 ist dies: »Akt in der Landschaft« von Ugo Rondinone.