In der Steiermark steht nach Einsparungen von 25% die Kultur- und Sozialpolitik den prestige politics der Designstadt Graz gegenüber – und irgendwo dazwischen eine stimmungsbestimmende Bombe. Ein Protestbericht.
„Eigentlich war das eine riesige verpasste Chance – eine Großdemo und keine Polizei da. Und das Designstadt-Plakat hängt immer noch.“ Am Donnerstag wurde das steirische Budget beschlossen, das 25% der Sozial- und Kulturausgaben des Landes kürzt. Die Stimmung war explosiv. Unter anderem, weil gleichzeitig mit einer der größten Demonstrationen in Graz bisher eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg das Bahnhofsviertel in Atem hielt. 10.000 (laut Polizei 6.500) Menschen waren auf der Straße, aber trotzdem kaum Polizisten. Die alte Bombe dient dabei vor allem als Stimmungsbild für die selbstzerstörische Kultur- und Sozialpolitik der Steiermark.
Viele sind angepisst
Die Demo vergangen Freitag wurde von etlichen steirischen Sozial- und Kultureinrichtungen getragen. Diese Plattform 25 mobilisierte wochenlang um die Kritik am neuen Budget zu bündeln. Neben den massiven Kürzungen bei Kultureinrichtungen und der Einführung von Kindergartengebühren, trifft das Budget vor allem Pflege- und Behinderteneinrichtungen. Sie werden in Zukunft Personal entlassen müssen, was in erster Linie die Klienten trifft. Das stärkste Bild zeichneten deshalb bestimmt die vielen betroffen Menschen mit Behinderung, die an der Demo teilnahmen. Sie haben sich den Begriff „Behinderung“ durchaus zurückerobert, indem sie mit tausenden anderen den gesamten innerstädtischen Verkehr lahmlegten. Der Erfolg der Demo, der sicherlich zu einem großen Teil den von den Einsparungen stark betroffenen Behinderteneinrichtungen zu verdanken ist, war keineswegs abzusehen. Beobachter waren vor der Demo sogar relativ skeptisch.
Immerhin wurde eine „Großdemo“ angekündigt, getragen von etlichen unterschiedlichen Organisationen. Rein soziologisch gesehen ein strategisch schlechter Zug: die self destroying prophecy hatte schon weniger hartnäckige Opfer als die steirische Protestlandschaft. Viele fühlen sich vielleicht an eine Demo vergangenen Herbst in Wien erinnert. Die Verzweiflung war damals groß gewesen als diese Zukunftsbudgetdemo vollkommen floppte. Wie hatte es sein können, dass so viele Organisationen zu einer Demo aufrufen und trotzdem niemand kommt?
Arsch hochkriegen vs. Latte-Einlauf
In Graz ist dieser Fall also nicht eingetreten, obwohl bei der Organisation einige Fehler gemacht wurden. Der Südtirolerplatz als Treffpunkt war nicht die beste Entscheidung. Da er kein wirklicher Platz ist, ging die tatsächliche Größe der Demo zunächst unter und viele Beteiligte in den Seitengassen konnten die Eröffnungskundgebung nicht mitverfolgen. Andererseits befindet sich der Platz auf der rechten Murseite, jenem Teil der Stadt, in dem sich der Großteil aller Kultur- und Sozialvereine befindet und der die Stadt am Leben erhält. Das Lendviertel (Lendwirbel, etc.), das Annenviertel (Rotor, etc.) und fast alle nennenswerten Clubs (Niesenberger, etc.) seien hier stellvertretend genannt. Der Südtirolerplatz befindet sich außerdem in unmittelbarer Nähe eines der ersten konkreten Opfer der Kürzungen: das Café Palaver in der Griesgasse, ein wichtiger Frauen-Freiraum, muss fix zumachen.
Die Demoroute war zwar unüberlegt gewählt – führte sie doch vorerst an keinen wichtigen Punkten der Stadt vorbei – provozierte aber auch ein skurriles Bild. Denn der für Grazer Verhältnisse schier endlose Demozug bewegte sich unter anderem am berüchtigten Hipster-Café Tribeka am Grieskai vorbei. Während sich die City Of Designer drinnen sich ihren Caffé-Latte-Einlauf verabreichten, zog der aktive Widerstand unmittelbar an ihnen vorbei.
Der Demozug selbst zeigte sich allerdings seltsamerweise unsolidarisch. Der Demowagen fuhr viel zu schnell für alle weniger mobilen Teilnehmer. Außerdem gab es keine Zwischenstopps, wie eigentlich üblich. Trotzdem versammelten sich schließlich die tausenden Teilnehmer für die Abschlusskundgebung auf dem Grazer Hauptplatz. Sie fand vor einem Plakat statt, das die Ernennung zur City of Design genüsslich feiert (wir haben berichtet.)
Zwei kreative Fronten
Neben den starken Behindertenorganisationen kamen dort auch Betroffene der Kulturkürzungen zu Wort. Mit ihrer einleitenden künstlerischen „Performance“ (mit Megafon ins Mikro gesprochen) waren ESC-Mitbegründerin Reni Hofmüller und IG-Kultur Vorständin Anita Hofer kaum zu hören. Inhaltlich war der Beitrag aber durchaus stimmig, wenn auch ziemlich 70er-Jahre. Richtete er sich doch klar gegen die „kapitalistische Herrschaft“, sowie Patriachat und Regierung. Die ESC befindet sich übrigens mitten im ausgerufenen Designzentrum der Stadt, dem „Jakominiviertel“ (Julia Melcher hat sich bereits empört) – und das schon Jahre bevor die Stadt mit ihrer Aufwertungskampagne begonnen hat. Der experimentelle Austellungsraum hat vom Jakominiviertel allerdings gar nichts und ist nun stark von den Kürzungen getroffen, die dem Bild, das Graz als Landeshauptstadt von sich zeichnet, diametral entgegenstehen. Nur ein Beispiel dafür, wie Stadt und Land sich zwar mit großzügigen Förderungen um Prestige-Projekte und verwertbare Kreativität in Form von Design kümmern – gewachsene Strukturen mit den Kürzungen aber nun in ihrer Existenz bedrohen.
Die Fronten in Graz sind im Frühling 2011 also ziemlich klar. Eine fahrlässige Kulturpolitik auf der einen Seite, auf der anderen Seite die aufgeblasenen Creative Industries Styria mit ihrer Label-Politik. Ein Transparent auf der Demo traf die aktuelle Situation wohl am besten. Im Schriftzug der nun allgegenwätigen „City of Design“-Werbungen klagten sie Graz als "City of Prestige Politics" an. Zehntausende zeigten also am Freitag, dass sie damit nicht einverstanden sind. Wie weiter für eine „nachhaltigere Kulturpolitik“ gekämpft werden soll überlegt die Plattform 25 kommenden Dienstag. Möglicherweise nutzt die Plattform ja für weitere Kämpfe das vorhandene Kreativpotential der Stadt.
Fotos: Tanya Kaindlbauer