All Saints, wir sind nicht würdig, dass ihr eingeht unter unser Dach. Aber macht nur ein gutes Album, so wird unsere Seele gesund.
Zehn Jahre sind vergangen seit dem ersten All Saints-Comeback, das dann irgendwie nur so semi lief und auch sehr schnell wieder in sich selbst verstummte. Obwohl die damalige Single »Rock Steady« ungewöhnlich viel Biss hatte, war das nicht so ganz das, was die Band zu ihren Millennium-Glanzzeiten ausgemacht hatte – damals kamen sie in Cargohosen und Buffalos sogar mit einem Red Hot Chilli Peppers-Cover davon, wurden dafür sogar gefeiert.
Streit um die schirchste Jacke führte zur Trennung
Die lässigere Alternative zu den Spice Girls, cool, nonchalant, uns doch Wurscht – das kam gut bei Kritikern und sogar der ältere Heavy Metal-Bruder konnte sich dazu überwinden, All Saints eigentlich ganz okay zu finden. Ebenso absurd wie logisch, dass 2001 eine ziemlich kultige Trennung folgte, deren Auslöser ein Streit um die schirchste Jacke aller Zeiten war. Sie waren nun mal die eine Girlgroup, die alle mögen durften, weil sie selbst diejenigen waren, die das offenbar am wenigsten kümmerte. Darüberhinaus war die Musik auch noch richtig, richtig gut.
2006 war davon wenig übrig, das Album »Studio 1« klang bis auf ein paar Ausnahmen zu sehr gewollt und zu sehr Ska-anbiedernd, Melanie Blatt selbst würde später sagen, sie hätten sich aus den falschen Gründen wieder zusammengetan. Die Plattenfirma hatte die Comeback-Idee unter Vertrag genommen, nicht die Songs.
Wie es zum Album kam…
Jetzt haben sie also einfach Lust drauf. Und es ist fast schon erleichternd, wie sehr man das hören kann. Aus einer "Warum nicht"-Situation heraus, in der sie 2014 als Vorband für die Backstreet Boys angefragt wurden, entstand plötzlich ein neues Album, das diesmal (endlich) dort ansetzt, wo »Pure Shores« und »Black Coffee« aufgehört haben. Obwohl man sich insgeheim vielleicht gewünscht hatte, William Orbit würde ihnen abermals akustische Träume auf die Stimmen produzieren, wäre das letztendlich nur aufgewärmtes Gulasch gewesen – All Saints wussten das, und dafür muss man ihnen im Nachhinein dankbar sein.
Red Flag
»Red Flag« ist nicht zuletzt aufgrund seiner unverbrauchten Produzenten mehr Fortsetzung als Wiederholung. Große Refrains, schwüler Midtempo-Sex, ein bisschen Orient (»Tribal«), ein bisschen ghettohafte Autotune-Action (»Ratchet Behaviour«), Pferdegalopp-Beats am Titeltrack, und diese Stimmen, die eben nur All Saints haben. Bei Tracks wie »Make U Love Me« sieht man sie schon förmlich eine halbherzige Choreo umeinander herumtänzeln, als ob sie währenddessen schon wieder auf die Uhr schauen würden. So elegant, so mühelos. Gehet hin in Frieden.
Im Interview erklären zwei Viertel der Band, Mel und Natalie, warum dieses Album so anders ist, wie sie als 90er-Band über dieses Internet denken und was sie davon halten, dass ihre Songs in Schwulenpornos verwendet werden.
All Saints, wie viele eurer Interviews fangen eigentlich an mit "a few questions that I need to know"?
Weißt du was – gar keine. Das ist eigentlich ziemlich clever.
Woah. Ja dann. A few questions that I need to know: Gegenüber i-D habt ihr – ich glaube, es war Mel – erst kürzlich gesagt, »Studio 1« hätte 2006 alles, was All Saints je gemacht haben, total entwertet. Ist »Red Flag« jetzt quasi die Wiedergutmachung?
Naja, zunächst mal haben wir diesmal wirklich alles selbst gemacht — das Album ist entstanden, bevor wir wieder unter Vertrag genommen wurden, und nicht umgekehrt. Wir hatten also die volle Kontrolle. Und es kommt von Herzen. Ein paar der Songs auf dem Album sind wahrscheinlich die besten, die Shaznay je geschrieben hat. Und nach 20 Jahren haben wir endlich einen sehr definierten Sound für uns gefunden, worauf wir sehr stolz sind.
Gab es während dem Entstehungsprozess auch mal Momente, in denen ihr dachtet "Okay, vielleicht machen wir gerade einen Riesenfehler"? Hattet ihr Angst?
Klar, diese Momente hat man wahrscheinlich generell oft im Leben. Das ist eine ziemlich gesunde Weise, die Dinge zu betrachten. Wir bekamen aber intern nach jedem Song so viel gutes Feedback, dass wir einfach wussten, wir tun hier das Richtige.
Mein Feedback ist auch ziemlich gut. Das Album fühlt sich an wie eine Fortsetzung eurer älteren Songs wie »Pure Shores«. War das auch vielleicht ein Ziel, nach »Studio 1« wieder mehr nach Classic All Saints zu klingen?
Das war eigentlich nicht die Absicht, nein. Zumindest haben wir nicht gesagt "Wir müssen jetzt wieder so klingen wie auf »Pure Shores« oder »Never Ever«" — die Leute, mit denen Shaz geschrieben hat, haben ganz einfach diesen Vibe mitgebracht, der unseren alten Sachen vielleicht ähnelt.
Ihr redet jetzt immer nur von Shaznays Arbeit an dem Album, als wäre sie der Chef vom Dienst. Was ist dann euer Beitrag?
Shaznay ist auf jeden Fall die Songwriterin der Gruppe und ihre besten Songs schreibt sie nun mal für All Saints. Als Band inspirieren wir sie dabei. Deshalb sind die Songs, die sie für uns schreibt, wahrscheinlich auch ihre ehrlichsten. Und jede von uns spielt dabei eine wichtige Rolle. Würde eine von uns fehlen, würden die Songs nicht so entstehen, wie sie entstehen und es wäre nicht dasselbe.
Also liegen euch die Songs sehr am Herzen.
Ja. »Tribal« ist so ein Song, den wir gehört haben — ohne eine Ahnung davon zu haben, wie All Saints 2016 klingen — und sofort wussten: Genau da sollten wir sein und da sind wir jetzt auch. Die ganze Atmosphäre des Songs, das war die Bestätigung dafür, dass wir mit diesem Album das erreichen können, was wir erreichen wollen. »Pieces« ist auch so ein Track. Shaz hat den für unsere Visagistin geschrieben, die Anfang des Jahres verstorben ist. Der bedeutet uns also sehr viel.
Kurz wegen dem Video zu »One Strike«: Am Ende wird da eine Jacke fallen gelassen. Das ist schon eine Referenz, oder?
Das bleibt ganz dir überlassen.
Passt. Eure größten Hits hattet ihr mit William Orbit – habt ihr nie in Erwägung gezogen, wieder mit ihm zu arbeiten?
Wir treffen ihn schon ab und zu, aber wir waren eigentlich recht froh darüber, uns auf diesem Album nach vorne bewegen zu können, etwas Neues zu machen. Mit K-Gee haben wir immer schon gearbeitet, aber die anderen Produzenten auf diesem Album — Hutch oder Draper — sind gerade erst im Kommen und klingen deshalb auch so frisch. Wir wollten nicht auf Altbewährtes setzen. Eigentlich wollten wir ja auf gar nichts setzen, es gab einfach keinen richtigen Plan.
Was ist dann der Plan für die Zukunft? Was sind eure Erwartungen an das Album?
Im Grunde genommen haben wir erreicht, was wir wollten – nämlich ein Album aufzunehmen, auf das wir alle stolz sein können. Es gibt keine wirklichen Erwartungen, wir nehmen einfach jeden Tag so, wie er kommt. Und jetzt wollen wir einfach nur touren, die Fans treffen, Spaß haben.
Auch außerhalb vom UK? Österreich oder so?
Das wäre super. Vor allem, weil wir ja früher auch nie die Chance auf eine Europa-Tournee hatten. Aber erst mal hier im UK, und dann vielleicht rüber nach Kontinentaleuropa. Das wäre wirklich das Sahnehäubchen.
Wie sehen eure Kinder das Ganze eigentlich? Checken die überhaupt, dass ihr All Saints seid?
Manchmal sind sie schon schockiert, zum Beispiel als wir 2014 mit den Backstreet Boys auf Tour waren. Da kam nur so was wie "Das ist nicht die Mama". Und in der Klasse meines Sohnes hat der Lehrer letztens unsere alten Songs vorgespielt. Das ist natürlich komisch für die, aber witzig.
Das Business hat sich seit den eurem Durchbruch in den 90ern stark verändert. Vermisst ihr die Zeiten, in denen dieses Internet noch keine so große Rolle für euch gespielt hat?
Es hat gute und schlechte Seiten. Die direkte Kommunikation mit den Fans ist natürlich super. Alles, was darüber hinausgeht, ist uns dann aber ziemlich egal. Wir können uns wahrscheinlich glücklich schätzen, dass wir noch aus dieser anderen Welt kommen, in der wir uns auf unsere Karriere konzentrieren können ohne dabei Kommentaren im Internet zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist zwar schwer, die negativen zu ignorieren, aber es ist auf jeden Fall gesünder. Das Internet ist zumindest nicht der Mittelpunkt unseres Lebens.
Ich hab mir nämlich letztens das "All Hooked Up"-Video auf YouTube angesehen und einer der Kommentare war der hier: "I only found this song because it was in a gay porno I really like."
Oh mein Gott! Das ist so großartig! (Geschrei.) Oh. Mein. Gott. Das ist das beste, was ich je gehört habe. Das müssen wir den anderen beiden erzählen, die sind nebenan, warte kurz. (…) Okay, die schreien auch. Damit hast du uns echt den Tag gerettet. Schwulenpornos. Wir haben’s geschafft!
»Red Flag« von All Saints erscheint am 8. April via London Records.