Heilige Scheiße

Matthew Barney hat eine abgefahrene Oper-Tanz-Skulptur-Film-Performance gemacht, bei der es um Autos, Ägypten, Stahl und die Unsterblichkeit geht. Aber vor allem um Scheiße.

Drei Autos für die Unsterblichkeit

Matthew Barney, wahrlich kein Verächter verschlungener Storylines, nahm sich dem gescheiterten und wohl zu Recht vergessenen Meisterwerk an und verwendete es als »Gastkörper, durch den er seine Arbeit durchpassierte« (so ein Begleittext zur derzeit laufenden Ausstellung zu »River of Fundament« im Münchner Haus der Kunst). Rahmenhandlung bildet das Totenmahl zu Ehren Norman Mailers in dessen Brooklyner Klinkerhaus. Am Esstisch versammelt ist eine illustre Runde der globalen Intellektuellen-Schickeria, darunter Salman Rushdie, Jeffrey Eugenides und Fran Lebowitz, die nach und nach durch den einen oder anderen ägyptischen Geist aus der Vorzeit ergänzt werden. Quergeschnitten wird dieses prominent besetzte Kammerspiel mit dokumentarischem Material von drei Performances, die jeweils den Akt der Wiedergeburt versinnbildlichen. An die Stelle von Menenhetet treten dabei drei Autos: ein 1967 Chrysler Crown Imperial, ein 1979 Pontiac Firebird Trans Am und ein 2001 Ford Crown Victoria Police Interceptor.

Der 1967 Chrysler Imperial, das Auto für den Mann »who doesn’t seek prestige because he already has it« und Höhepunkt der amerikanischen Schmiedekunst wird in einem Schauraum in L.A. in seine Einzelteile zerlegt, in einer bild- und tongewaltigen Prozession zu Grabe getragen und ersteht als 1979 Pontiac Firebird Trans Am wieder auf. Vom Oldschool-Schlitten zum amerikanischen Pendant des Opel Manta – ein ziemlicher Abstieg.

Morbider Voyeurismus

Dem Firebird geht es in weiterer Folge in Detroit spektakulär an den Kragen: Er wird im Hochofen verheizt und Teil des größten nicht-industriellen Eisengusses der Menschheitsgeschichte, einer 25 Tonnen schweren Skulptur namens DJED.

Der Begriff DJED steht, neben dem materialisierten Kuratorenalptraum und einer lebenslangen Beschäftigungsgarantie für ein Heer von Statikern, in der altägyptischen Terminologie für das ewige Erinnern – die vielleicht tristeste Form der Unsterblichkeit und ein versinnbildlichter Abgesang auf die Autoindustrie und den Niedergang ihrer ehemaligen Hauptstadt. Filmemacher, die sich nach Motown aufmachen, um Vergänglichkeit einzufangen – das ist alles nichts anderes als eine sehr elaborierte Form von Metropolen-Sozial-Porno. Zuletzt zu sehen etwa bei Jim Jarmuschs Vampir-Meditation »Only Lovers Left Alive«, in der Tom Hiddleston seinen Weltschmerz nur in Detroit so richtig fühlen kann. Letzte Station im Performance-Film-Zirkus ist New York: Der Traum des ewigen Lebens scheitert – das Ford Polizei-Auto –, der End-Transformations-Status von Menenhetet wird bilderwirksam von Martial Arts-Künstlern zerlegt, während der Sarg Norman Mailers auf einer Barke den City East River hinunterschaukelt.

Das verbindende und weitaus einprägsamste Element all dieser Filmteile könnte abseits aller mythologischer Spitzfindigkeiten profaner nicht sein: Scheiße. Denn laut der Sage muss Menenhetet bei jedem Übertritt vom alten ins neue Leben den namensgebenden »River of Fundament«, den »Fluss der Exkremente« überqueren. Eine willkommene Gelegenheit für Barney, menschliche Ausscheidungen in allen Aggregatszuständen und Ausprägungen zu porträtieren: Minutenlang sprudelt, wurstet, sprinkelt, gluckert es. Eine Bilderflut, die wohl keinen der Zuseher je verlassen wird. Ob das jedoch der ewige Ruhm ist, auf den Norman Mailer so sehnlich hoffte, das bleibt fraglich. Auch wenn die Interpretation vom wichtigsten US-Künstler seiner Generation stammt.

Matthew Barney »River Of Fundament« wird am 14., 16. und 17. Mai jeweils um 18 Uhr im Gartenbaukino bei den Wiener Festwochen gezeigt.

www.festwochen.at

Bild(er) © Illustration: Paul Sturminger, Fotos: Hugo Glendinnig, Ivasso Gasso
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