Heilige Scheiße

Matthew Barney hat eine abgefahrene Oper-Tanz-Skulptur-Film-Performance gemacht, bei der es um Autos, Ägypten, Stahl und die Unsterblichkeit geht. Aber vor allem um Scheiße.

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Die Grenzen zwischen Theater, Oper, Performance, Tanz und Film lösen sich auf. Das neue Werk des US-amerikanischen Künstlers Matthew Barney, das im Rahmen der Festwochen dreimal im Gartenbaukino gezeigt wird, ist dafür exemplarisch. Barney balancierte immer schon zwischen allen Genres und Lebensentwürfen:

Zuerst Medizin-, dann Kunst-Studium in Yale, Model für Nike, J.Crew und Ralph Lauren, Football-Spieler, der Mann an Björks Seite, Filmemacher, Bildhauer, Zeichner, Ausstatter, Performer. Mangels eines eindeutig zuschreibbaren Tätigkeitsbereichs blieb bloß das Prädikat »most important American artist of his generation« der New York Times an ihm kleben. Diesen Titel verdiente er sich vor allem mit »Cremaster«, einem Zyklus bestehend aus fünf Filmen sowie begleitenden Zeichnungen und Skulpturen, der zwischen 1994 und 2002 entstand. Benannt nach dem Kremaster-Muskel, jenem Strang, der für die Temperaturregulierung des Hodensacks zuständig ist, beschäftigte sich Barney in diesem Werkekonglomerat mit dem Werdegang seines Geschlechts, dem seiner Person und dem des Kunstwerks an sich.

The saga continues

Müsste man »Cremaster« pitchen – man könnte nur scheitern. Ein Satyr in Vaseline-Landschaft, eine Revue auf pinkem Football-Feld, ein Formel-1-Rennen, walzertanzende Cowboys, ein von Bienen umschwärmter Frauen-Torso im Plastikkorsett, Rodeo in arktischer Umgebung mit einigen Toten, Ursula Andress als Königin zu Gast in der Budapester Oper, Zauberer, Serienkiller und Pseudo-Hobbits bevölkern Barneys Welt und lässt man sich seine Codes nicht durch Sekundärliteratur erklären, so hat man keine Chance.

Kunst, die sich dem Betrachter erschließt, und somit ihr Geheimnis preisgibt, sei langweilig, ließ er einmal verlauten. Barney genießt es, durch seine Erklärungen maßgeblich zu bestimmen, inwieweit das Publikum Zugang zu seinem Werk bekommt und erhält sich somit die volle Deutungshoheit über sein Oeuvre. Die misslungenen Interpretationsversuche einiger amerikanischer Filmkritiker von »Cremaster I–V« sind legendär und werden von Barney-Fans milde belächelt. Auch in seinem neuesten Werk, dem Opern-Film »River of Fundament« schreibt der Künstler seine eigene geheimnisvolle Mythologie weiter.

Norman Mailers gescheiterter Traum

Der fast sechsstündige »Opern-Film« (die Musik stammt von Barneys langjährigem Weggefährten Jonathan Bepler, der sich schon für die Vertonung des »Cremaster«-Zyklus verantwortlich zeigte) basiert lose auf dem Roman »Ancient Evenings« (»Frühe Nächte«) des Pulitzer-Preisträgers Norman Mailer. Kurz vor seinem Tod legte der große amerikanische Schriftsteller dem großen amerikanischen Künstler sein 1983 erschienenes Buch ans Herz. Mailer war mit diesem 700-Seiten-Wälzer angetreten, um sein Opus Magnum abzuliefern, die große Parabel auf Wiedergeburt und Analsex im alten Ägypten zu verfassen und nebenbei endlich sein Idol Hemingway vom Thron des ewigen literarischen Ruhmes zu stoßen. Er scheiterte grandios. Vom Publikum verschmäht und von der Kritik zerrissen bekam es ob seiner intensiven Beschäftigung mit Produkten des Enddarms den Spitznamen »Ancient Flatulence« verpasst und versank in der Vergessenheit.

Die Story war wohl doch eine Spur zu krude: Edelmann Menenhetet, »Mädchen für alles« am Hof von Pharao Ramses II. ist der Meinung, für Höheres als Wagenlenken bestimmt zu sein. Der amerikanische Traum auf altägyptisch ist bloß leider nicht durch harte Arbeit, sondern nur durch Wiedergeburt zu erreichen: Mit allerlei Tricks und Zaubersprüchen schafft Menenhetet es, zweimal in seiner Frau wiedergeboren zu werden (die somit zu seiner Mutter wird) und die Karriereleiter immer ein Stück weiterzuklettern – doch beim dritten Mal bleibt er, mittlerweile fast 1.000-jährig, im Geburtskanal stecken, ohne sein Ziel Pharao zu werden je erreicht zu haben.

Bild(er) © Illustration: Paul Sturminger, Fotos: Hugo Glendinnig, Ivasso Gasso
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