Die sympathisch lakonische Komödie „Im Oktober werden Wunder wahr“ startet im Topkino.
Wer einmal eine Stilgeschichte des Arthouse-Kinos schreiben will, wird sich um folgendes Rätsel nicht herummogeln können: Wie kommt es, dass sich gerade jene Filmästhetik, die Jim Jarmusch und Aki Kaurismäki in den 80er und frühen 90er Jahren geprägt haben – statische, frontale, halbweite Einstellungen, lakonischer Witz, minimales Mienenspiel und knappe Affektausbrüche –, zu einem bis heute gültigen Formen-Esperanto für Dramödien zwischen Beijing (Li Hongxis „Winter Vacation“, 2010) und Montevideo (Adrián Biniez’ „Gigante“, 2009) gemausert hat?
Als jüngstes Beispiel für diese International School of Cool läuft nun die sympathische peruvianische Komödie „Octubre“ (zu deutsch: „Im Oktober werden Wunder wahr“) der Brüder Daniel und Diego Vega an. Und die streng symmetrischen, statisch in sich ruhenden Bilder, in die auch die beiden ihren ersten Langfilm gesetzt haben, haben sich selten so plausibel um einen Protagonisten geschlossen wie um den Pfandleiher Clemente (Bruno Odar), der tagein, tagaus in seiner Wohnung an einem Tischchen sitzt, Pfände begutachtet, geringe Geldbeträge verborgt oder verweigert.
Die kleinteilige Ökonomie von Geben und Nehmen, die der Mittvierziger in seinem Büchlein aufzeichnet, kommt durcheinander, als er eines Oktobertages ein Baby in seiner Wohnung findet. Mutmaßlich ist es sein eigenes: Eine der Prostituierten, die der Einzelgänger regelmäßig aufsucht, hat es vor ihrer Abreise bei ihm zurückgelassen. Während der überforderte Junggeselle hartnäckig nach der verschwundenen Mutter sucht, nistet sich in seinem warmbraunen Wohnzimmer allmählich eine Ersatzfamilie ein: Die sehnsüchtige Nachbarin Sofia geht Clemente nicht ohne Hintergedanken bei der Kinderpflege zur Hand, und irgendwann holt auch ihr Bekannter Don Fico seine schwerkranke Frau aus dem Spital in die Stube des Pfandleihers.
Es kommt, wie es in warmherzig menschelnden Komödien kommen muss. Aber die Kunst der Vega-Brüder besteht gerade darin, Clementes späte Sozialisierung mit herbem Witz zu unterspielen und das im deutschen Verleihtitel angedeutete Wunder so lang wie möglich hinauszuzögern. Das Ergebnis ist nicht die Neuerfindung von irgendwas, aber fein austariertes, verschmitztes Erzählkino, dessen raumgreifende Einstellungen nebenher erstaunlich viele Schichten der Achtmillionenstadt Lima in den Blick bekommen.
Ab Freitag 14.1. 2011 im Topkino (OmU).