Ruth Beckermanns neuer Film »Die Geträumten« thematisiert die Beziehung der beiden großen Literaten Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Wir haben die beiden Hauptdarsteller Anja Plaschg und Laurence Rupp zum Gespräch getroffen.
Ingeborg Bachmann und Paul Celan lernten einander 1948 kennen. Sie, eine angehende Schriftstellerin, deren Vater bei der NSDAP war, er, ein bereits etablierter Dichter jüdischer Herkunft. Sie verlieben sich und schreiben einander jahrzehntelang Briefe. Briefe voll von Liebe, Zweifel, Hoffnung, Angst und Austausch über das literarische Leben. 2009 wurden diese in »Herzzeit« publiziert und diese Ausgabe stellt auch die Textgrundlage für Beckermanns Film dar. In den Hauptrollen sind der derzeit mitunter am Burgtheater tätige Schauspieler Laurence Rupp und die Musikerin Anja Plaschg (Soap & Skin) zu sehen. In »Die Geträumten« lesen Anja und Laurence einander die Briefe vor, die Emotionen Bachmanns und Celans gehen auf die beiden über und dazwischen wird über das Leben und die Liebe philosophiert, Tattoos werden gezeigt, Zigaretten geraucht. Der Film lässt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen und ist dabei immer ganz nah dran an Plaschg und Rupp, egal, ob bei den Aufnahmen im Tonstudio oder wenn die beiden etwa einer Probe des ORF Symphonieorchesters lauschen. Im Interview sprechen Anja Plaschg und Laurence Rupp über ihre Beziehung zu Bachmann und Celan, den probefreien Dreh und was sie durch ihre Kunst bisher über sich selbst gelernt haben.
Könnt ihr euch noch an eure erste Begegnung mit der Literatur Bachmanns bzw. Celans erinnern?
AP: Ich habe mich erst im Laufe der Anfrage mit den beiden beschäftigt.
LR: Ich kannte beide natürlich vom Namen. Ingeborg Bachmann kannte ich besser, wir mussten in der Schule »Malina« lesen, ich glaube jedoch, ich habe damals – aus Faulheit – nur circa die Hälfte gelesen. Aber ich mochte das Buch schon.
Ruth Beckermann meinte in einem Interview, dass sie mitunter der Frage nachgehen wollte, wie Celan und Bachmann auf heutige junge Menschen wirken. Wie ist eure Einschätzung diesbezüglich?
AP: Also ich konnte natürlich etwas damit anfangen, aber die Frage, wie junge Leute allgemein darauf reagieren, ist pauschal nicht zu beantworten. Ich denke, es kommt auf die Menschen an. Ich fand es aber schon erstaunlich, dass die einzige Kritik zum Film, die ich bisher gehört habe, von jungen Leuten kam.
Ruth Beckermann hat für »Die Geträumten« zum ersten Mal mit Schauspielern zusammengearbeitet. Wie ist sie mit euch in Kontakt getreten und ab wann wusstet ihr, dass ihr bei diesem Projekt dabei sein möchtet?
LR: Bei mir war das ganz klassisch, ich habe ein Casting gemacht, dort habe ich Ruth kennengelernt und mit ihr über das Projekt gesprochen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es ein Projekt solcher Art bisher noch nicht gegeben hat, dass es ein Experiment werden würde. Und so etwas finde ich ja immer spannend, wenn man nicht genau weiß, worauf man sich einlässt und wohin die Reise führt. Es hätte ja auch in die Hose gehen können, wie das mit Experimenten so ist, aber das ist ja auch das Reizvolle daran. Schön, dass es in diesem Fall aufgegangen ist.
Und wie war das bei dir, Anja? Du hast ja vor einigen Jahren in dem Film »Stillleben« mitgewirkt. Ist Ruth Beckermann auf dich zugekommen?
AP: Wir haben uns einmal getroffen und dann habe ich mich auch am selben Tag in die Texte hineingelesen. Noch bevor Laurence die Rolle bekommen hatte, war klar, dass Ruth mich für die Rolle wollte. Ich habe natürlich auch gehadert – das gehört ja auch dazu. Es war klar, dass ich nicht gefragt werde, weil ich Schauspielerin bin, sondern weil Ruth wahrscheinlich etwas in mir sah, das mit Bachmanns Werken und ihrer Person korrespondiert. Das war mir klar, aber das schafft in mir zuerst eine Distanz, weil sofort die Frage da ist, ob ich mich dem zur Verfügung stellen will oder nicht – und das ist für mich die wichtigste Entscheidung.
Wie hat sich der Dreh allgemein gestaltet? Ich habe gelesen, dass ihr nahezu keine Proben hattet und dass ihr bei den Szenen außerhalb des Studios auch sehr frei agieren konntet.
LR: Genau, es gab keine Proben.
AP: Es gab eine Woche vor dem Dreh ein Probelesen. Sonst war die Bedingung eigentlich nur, dass die Kamera läuft.
LR: Es ist alles im Moment entstanden, wobei es natürlich schon mehrere Takes gab, einmal auf Anja, einmal auf mich, damit Ruth eben im Schnittraum entscheiden konnte, wie sie die Aufnahmen genau haben wollte. Es war auch gar nicht so, dass jeder Take dem anderen gleichen musste.
Ihr beide habt unterschiedliche künstlerische Backgrounds. Konntet ihr bezüglich des Schauspielens voneinander lernen und wenn ja, inwiefern?
AP: Ich glaube, es war einfach eine tolle Zusammenarbeit, wir haben super miteinander funktioniert. Laurence hat es mit seiner Art überhaupt möglich gemacht, dass ich mich so öffnen konnte.
LR: Schön, dass Anja das sagt. Menschlich finde ich Anja sehr spannend, ihre zurückhaltende, stille, in sich gekehrte Art treibt mich dazu an, Fragen zu stellen und ihr auf die Nerven zu gehen (lacht). Wir mochten beide unsere Rollen sehr.
»Die Geträumten« wirkt vor allem durch die Kameraarbeit und durch eine allgemeine Reduktion sehr pur, direkt und intensiv. Hattet ihr manchmal das Gefühl, dass euch der Dreh zu sehr mitnimmt bzw. dass ihr zu viel von euch als Person preisgebt?
AP: Natürlich, aber das ist ja das Gute daran und man wusste vorher ja auch, worauf man sich einlässt.
LR: Gerade das fordert ja der Beruf des Schauspielers. Es kann nichts Besseres passieren, als dass einem die Dinge, die man verhandelt, nahegehen.
Der Film ist auch einer, auf den man sich einlassen muss, da er eben sehr reduziert funktioniert und vor allem auf einer akustischen Ebene, in erster Linie durch das Vorlesen der Briefe oder auch in der Szene, wo ihr die Probe des ORF Radio-Symphonieorchester Wiens besucht. Welche Musik würdet ihr mit dem Film assoziieren?
LR: James Brown. Die Szene, in der wir James Brown hören, war tatsächlich nicht gescriptet. Ich habe das erst letztens einem Freund erzählt … Als ich nämlich kürzlich auf einer Filmpremiere war, habe ich den Kameramann Christian Berger getroffen. Ich war dann mehrmals auf seinem Hotelzimmer, wir haben Rotwein getrunken und er hat mir all seine Lieblingsmusiker wie etwa Nina Simone vorgespielt und mir immer auch die Videos gezeigt, er meinte, ich müsse diese auch sehen. Da bin ich wieder auf den Geschmack gekommen, wie toll es ist, einem Musiker zuzusehen, wie er eine Geschichte erzählt. Das ist ja auch wie bei Schauspielern, nur spielen Musiker nicht, bei ihnen ist das alles echt. Die geben auf der Bühne so viel von sich preis. Und beim Dreh war es dann wirklich so, wie man es im Film sieht: Wir hatten Pause und ich wollte mir James Brown anhören und habe das Video zu einem seiner Songs auf meinem Smartphone gespielt und passenderweise stand am Ende des Videos auch noch »Paris 68«, also das Jahr, in dem Paul Celan Suizid beging. Das war alles Zufall und wir wussten nicht einmal, dass wir in diesem Moment gefilmt wurden.
Laurence, du hast schon mit elf Jahren deine ersten Dreherfahrungen gesammelt. Wann hast du dir hast du dir gedacht, das will ich beruflich machen?
LR: Zuerst war es nur ein Hobby, das mir Spaß gemacht hat und bei dem ich etwas Geld verdienen konnte. Es war cool, denn ich hatte dadurch schon in jungen Jahren mein eigenes Geld. Den Entschluss, das auch beruflich machen zu wollen, habe ich erst später gefasst, so mit circa 17 Jahren, bei meinem ersten Kinofilm. Dann habe ich mir gedacht, dass ich es ja einmal versuchen könnte. Wobei ich kurz danach auch skeptisch war, weil ich nicht nur herumsitzen und auf neue Projekte warten wollte.
Es heißt ja auch, dass das Schauspielen bedeutet, viel zu warten, etwa auch beim Dreh.
LR: Das stimmt schon, das kommt auch häufig vor. Ein Kollege von mir meinte dazu einmal, dass ihm am Set jemand erläutert habe, dass er noch länger warten müsse, worauf er meinte: »Junger Herr, ich werde bezahlt fürs Warten. Mein Beruf ist mein Hobby.« Und so ist es ein bisschen auch bei mir. Und dann habe ich mich am Max Reinhardt Seminar beworben. Eigentlich aus Spaß, ich wollte schauen, wie weit ich da komme – und dann haben sie mich aufgenommen. Damit hat meine Theaterlaufbahn begonnen.
Und ist es für dich ein großer Unterschied, ob du vor der Kamera stehst oder eben auf der Bühne?
LR: Ich komme ja vom Film, daher ist das eher meins, mein Herz hängt da noch mehr dran. Aber das liegt auch daran, dass ich Theater noch nicht so gut kann. Das ist auch etwas, wo ich das Gefühl habe, da habe ich noch ganz schön viel zu verzehren, zu leben und zu verstehen. Und deswegen fordert mich das Theater auch mehr heraus, und daher mache ich es auch wahnsinnig gerne, weil es mir eben auch mehr abringt. Ich mache schlussendlich aber beides gerne, ich begreife mich nicht als Theater- oder Filmschauspieler.
Anja, du bist in erster Linie als Musikerin und Sängerin tätig, hast aber auch kurz Malerei bei Daniel Richter studiert und Schauspielerfahrungen auf der Bühne und vor der Kamera gesammelt. Gibt es eine Form innerhalb des künstlerischen Spektrums, die dich gar nicht reizt?
AP: Ich glaube, ich bin sicher keine gute Schauspielerin.
Aber würde dich Schauspiel zukünftig reizen?
AP: Bis jetzt waren die Anfragen, die ich im schauspielerischen Bereich hatte, auch immer vom Schauspiel an sich, dieser Materie des Könnens, irgendwie abgekoppelt. Selbst beim Film »Stillleben« bei dieser kurzen Prostituiertenrolle …
LR: Wobei?
AP: Beim Film »Stillleben« hatte ich eine kleine, circa zehnminütige Rolle als Prostituierte und da meinte der Regisseur auch, dass ich auf gar keinen Fall irgendein Klischee verkörpern, sondern einfach ich selbst sein sollte. Er sagte, es sei total okay, wenn das irgendwie strange wäre. So viel schauspielerische Leistung steckt da nicht dahinter (lacht).
Ich habe letzte Woche den Schauspieler Lars Eidinger interviewt, dessen neuer Film insofern mit eurem Berührungspunkte hat, als es darin auch um die NS-Zeit geht bzw. deren Auswirkungen auf die Protagonisten. Und er meinte, dass er durch die Auseinandersetzung mit den Figuren, die er spielt, auch immer etwas über sich selbst lernt. Konntet ihr von den Figuren, die ihr bisher so gespielt habt, bzw. von eurer Kunst allgemein etwas über euch lernen?
LR: Ich habe begriffen, dass ich in meinem privaten Leben vielleicht doch nicht so empathisch bin, wie ich immer gedacht habe. Ich besitze eigentlich die Fähigkeit dazu, aber ich nutze sie im Rahmen meines Berufes mehr als in meinem Privatleben. Das wird mir zumindest oft vorgeworfen und es mag auch seine Richtigkeit haben.
AP: Das ist eine schwierige Frage. Also bei mir hört das nicht auf, etwas über mich herausfinden zu wollen. Deswegen lasse ich mich auch immer wieder auf gewisse Experimente – wie etwa diesen Film – ein. Aber ich glaube, es geht nicht nur darum, sich selbst kennenzulernen, sondern auch die Welt und das Leben.
»Die Geträumten« ist ab 16. Dezember in den österreichischen Kinos zu sehen.