Hype und kein Ende

Die Viennale feiert ihre 50. Ausgabe. Und viele Fans mit ihr. Wie kommt es, dass das Wiener Filmfest so beliebt ist?

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Die Tasche, die Festivalkinos in der Innenstadt ohne Multiplexe, ein jährlich neu gestaltetes Logo, ein qualitativ hochwertiger Katalog samt Essay-Strecke, ein von internationalen Regisseuren wie David Lynch auf Einladung gedrehter Festival-Trailer, vielleicht ein Dinner oder ein Viennale-Fest im Lusthaus … All das sind gute Argumente für die Viennale. Klingt ein wenig profan? Ist aber so. Dafür nimmt man in Kauf, dass es keinen Wettbewerb, kein richtiges Festivalzentrum und keine richtig großen Stars zu bestaunen gibt. Wobei "in Kauf nehmen" nicht der richtige Ausdruck ist: Kritiker, Verleiher oder Kuratoren reisen auch gerade deshalb nach Wien, um Filme, die sie – von Ausnahmen abgesehen – natürlich auch auf anderen Festivals sehen könnten, hier in einer ganz bestimmten Atmosphäre zu sichten. Ein Autor der renommierten Londoner Filmzeitschrift "Sight & Sound" schrieb heuer ein wahres Loblied auf das Wiener Festival, in dem er gesteht, er wäre versucht, ein "I love Viennale"-T-Shirt zu kaufen, wenn es denn eines gäbe.

Trotzdem im Fokus: Film

Natürlich besteht die Stärke der Viennale – insbesondere unter der bislang 14-jährigen Direktion von Hans Hurch, aber auch seiner Vorgänger Alexander Horwath, Wolfgang Ainberger und anderer – aus einer gut kalkulierten Programmierung, und nicht aus PR-Maßnahmen. Die Frage aber, wie es sein kann, dass Dokumentar-, Kurz- und Avantgardefilme, die vorher und nachher im Bewusstsein des Publikums gar nicht (mehr) vorhanden sind, während der Viennale regelrecht gestürmt werden, lässt sich allerdings und gerade eben nicht durch die Filme selbst erklären. Der Verdacht liegt nahe, dass es auch ein noch so engagierter Festivaldirektor mit Wissen und Instinkt allein nicht schaffen würde, so viele Leute dafür zu interessieren. Dass die Viennale sich über die vergangenen Jahre zu einem regelrechten Hype ausgewachsen hat, bei dem die Karten für bekannte US-Produktionen innerhalb von zwei Stunden ausverkauft sind, und jene Menschen, die keine Karten mehr bekommen haben, dann scharenweise ins Metro-Kino wandern, um dort schwer zugängliche Cineastenwerke anzusehen – das ist nur in Verbindung mit einer PR zu erklären, die dazu beigetragen hat, das Festival zu einem "Selbstläufer" (Zitat eines Kollegen) zu machen.

Es hat nicht geschadet. Die Viennale hinterlässt stattdessen Spuren des gefühlten Glücks, der Zugehörigkeit zu whatever und auch ein richtiges Gefühl für Film. So gesehen wäre niemandem etwas abgegangen, hätte es zur bevorstehenden 50. Ausgabe der Viennale keine Briefmarke, kein Viennale-Eis und keinen ÖBB-Viennale-Zug, also keine "50 Projekte" gegeben, sondern ein paar wenige, die sich mit Film selbst beschäftigen. Aber gut, man kann das auch als Opfergaben an den Festivaltrubel betrachten, mit denen das Augenmerk im Oktober wieder auf den Film selbst umgelenkt wird.

Mit Hans Hurch hat das Festival schließlich einen Mann gefunden, der es versteht, zwischen Intellekt und Instinkt zu agieren und einen breiten Fächer an filmischem Programm aufzuspannen. Er komponiert die jährliche Auswahl praktisch allein, greift in dem Sinn auf keine Kuratoren zurück. Er mischt populäre Entscheidungen – wie den Final Cut von "Blade Runner" zu zeigen – mit riskanteren Tributes, etwa jenes an den philippinischen Altmeister Lino Brocka. Und er steht nicht an, sich auch persönlich einzubringen, wenn er, vielleicht schon im Ton der Selbstironie, immer wieder Jean-Marie Straub als eines seiner großen filmischen Vorbilder zitiert. Als Publikumsliebling Nanni Moretti im Jahr 2006 "Il caimano" herausbrachte, lehnte der Direktor die Programmierung der Posse als zu flach ab. Für Projekte über den Film hinaus, ein Konzert mit Jane Birkin – mit deren Auftritt er sich wohl einen persönlichen Wunsch erfüllte – reichen die Finanzen des Festivals.


Und Europa?

Geld nimmt die Stadt Wien für ihr internationales Festival mittlerweile schon länger gerne in die Hand. Mit 2,6 oder 2,7 Mio. Euro war die Viennale die vergangenen Jahre ausgesprochen gut dotiert. Zum Vergleich: Das zweitgrößte Filmfestival Deutschlands, die Filmfestspiele München, verfügten zuletzt über 1,6 Mio. Euro. Und Locarno, das immerhin zu einer Handvoll A-Festivals auf der Welt gehört, hatte zuletzt nur ein paar Hunderttausend Euro mehr zur Verfügung als Wien. Und das beim Schweizer Preisniveau. Anerkennung verdient sich aber, dass das Geld der Viennale in ein Programm fließt, das einer konsumistischen Ausrichtung zuwiderläuft. Jene Stimmen, die zuweilen eine geschmäcklerische oder auch uninspirierte Programmierung kritisieren, etwa von einigen wenigen Filmen, die ohnehin einen Verleih in Österreich haben, sind gegenüber jenen, die ein kritisches, eigenwilliges und entdeckungsfreudiges Angebot orten, in der Unterzahl.

Fragwürdiger ist schon, warum Osteuropa auf der Viennale geradezu hartnäckig ausgespart wird, während sich aus den USA oder Asien einiges findet, das vor allem Akklamationszwecken dient, dem der Geschmack des more of the same anhaftet. Das gilt auch und gerade für Produktionen aus den USA, die trotz ihres Independent-Ansatzes zuweilen redundant wirken. Der Tributes wie jener für den Blax- und Exploitation-Regisseur Larry Cohen oder die Setzung einzelner Filme aus dem B-Movie oder Horrorfach wirken hingegen etwas aufgesetzt und dem Druck geschuldet, jährlich neue Besucherrekorde aufzuweisen. Dabei ist ohnehin unklar, welche Eintritte hier in Kinos oder auch zu Festen gezählt werden.

Handschrift Hurch

Wenn es eine Handschrift Hurchs gibt, dann lässt sie sich in etwa so beschreiben: interessiert an einem Realismus, dem es gelingt, Verhältnisse auch in einer zeitlichen Dimension zu erfassen und diese haptisch, jenseits abgenudelter Repräsentationen spürbar zu machen (John Gianvito-Tribute!); eine politische Dimension, die nicht, wie so oft bei der Berlinale, mit Kritik an offizieller Politik oder gar mit einem Institutionendrama verwechselt wird; und das Eigentümliche an einem Werk, das bei Wiederaufführungen wie zum Beispiel beim Fake-Cajun-Drama, dem Kultfilm "Bayou aka Poor White Trash" von 1957, mit einem dämonisch überzeichneten Timothy Carey in der eigentlichen Hauptrolle, zu verspüren ist. Mit dem österreichischen Film scheint sich der Direktor zunehmend anzufreunden, je weiter die Kabarettfilmzeiten zurückliegen. Die Autoren konzentrierter, glasklarer Produktionen wie Tizza Covi und Rainer Frimmel, die im Oktober mit "Der Glanz des Tages" vertreten sind, wurden ebenso Dauergäste wie der Portugiese Miguel Gomes oder der thailändische Geisterseher Apichatpong Weerasethakul. Aber schon in der Vergangenheit schafften es auch österreichische Produktionen wie "Let’s Make Money" auf das Filmfest, trotz ihrer fernsehtauglichen Machart und vielleicht gerade, weil sie eben so topic-driven sind.

Von den Ursprüngen im Jahr 1959 als internationale Festwoche der interessantesten Filme, später dann dem Festival der Heiterkeit und viel später immer noch dem erzieherischen Ansatz und den Einflussnahmen der Stadt Wien – davon hat sich die Veranstaltung natürlich schon weit entfernt und längst ihren eigenen Kosmos entwickelt. Solange die Viennale dieses Level beibehält, bleibt sie auch schwer angreifbar für jene, die die eingesetzten Fördersummen anderswo besser aufgehoben sehen. Und auch das Gartenbaukino, das mit einer geringen Auslastung viele Monate wieder auf seinen großen Auftritt wartet, bleibt nebenbei damit gesichert. Alles eine Frage der Positionierung. Trotz aller Kritik von Details – diese passt.

Die 50. Ausgabe der Viennale findet von 25. Oktober bis 7. November in verschiedenen Programmkinos in Wien statt. The Gap gratuliert!

www.viennale.at

Bild(er) © Viennale, United Artists
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...