Pflichtfilm oder doch nur überbewertetes Austro-Kino. Der Horror-Psycho-Thriller "Ich seh Ich seh", das Spielfilm-Debüt von Veronika Franz und Severin Fiala, bietet jedenfalls genügend Angriffsfläche und so auch Interpretationsraum in Pro- und Kontra-Richtung. Ein Film, zwei Meinungen.
… was du nicht siehst
Es ist natürlich immer ein bisschen Pech, wenn man den Schlussschmäh eines Films schon vorher errät. Noch blöder, wenn der Film sonst nicht viel zu bieten hat. Und "Ich seh Ich seh" hat nicht viel zu bieten. Es ist der misslungene Versuch eines Genrefilms, der dann doch ein bisschen anders sein will, der Konventionen verweigert, wohl ganz absichtlich vieles offen lässt. Der Film spielt in und um ein abgelegenes Haus. Darin wohnen die beiden Zwillinge Elias und Lukas. Sie sind rund zehn Jahre alt, vielleicht etwas jünger. Ihre Mutter kommt im Gesicht bis zur Unkenntlichkeit bandagiert aus dem Krankenhaus nach Hause.
Von da an kippt die Stimmung. Die Mutter ist gereizt und reagiert unfreundlich und hart. Die Zwillinge hegen den Verdacht, dass sich unter den Bandagen gar nicht ihre Mutter befindet. Mehr zu erzählen, würde zu viel verraten. Der Film erinnert nicht nur in seinem Setting und seiner Auflösung an einen anderen Film der letzten Jahre, mit dem er sich nicht nur Ähnlichkeiten im Titel, sondern auch mindestens eine zentrale Person in der Crew teilt.
Keine Motive, keine Narration, keine Stimmung
Nur funktioniert "Ich seh Ich seh" schlicht nicht. Und das liegt zum einen am Drehbuch und zum anderen an der Regie. Veronika Franz und Severin Fiala legen ihren Film angenehm selbstbewusst an und scheren sich wenig um gelernte Filmkonventionen. Es ist gerechtfertigt, den Film in einer Tradition österreichischer Filme zu nennen.
Hanekes "Funny Games" muss immer wieder als Vergleich herhalten. Das ist nachvollziehbar – trifft aber nicht, weil sich Haneke für die Handlung seines Films, seine Charaktere und ihre Motive interessiert. Es ist ein Kern des Films, dass viele Handlungen in "Funny Games" sich nicht auf der Suche nach einem Sinn ergründen lassen. Gerade das macht einen Teil seiner Wucht und seines Horrors aus.
"Ich seh Ich seh" aber interessiert sich nicht für seine Charaktere. Ursachen für ihre Handlungen gehören zwar zur Auflösung, aber es gibt keine Motive, keine Entwicklungen. Darüberhinaus verzichtet der Film auf eine Narration. Es werden offen gelassene Szenen aneinandergereiht. Sie ergeben ein bisschen Stimmung – leider nicht viel.
Dabei ist es nicht grundsätzlich schlecht, wenn ein Film eben zum Beispiel auf Handlung oder Figurenzeichnung verzichtet. Nur müsste dafür eben irgendetwas anderes geboten werden. Das geschieht nicht. Der Verzicht darauf nimmt Szenen und Stimmungen, die man als unangenehm empfinden könnte, jegliche Intensität. Die wenigen, eher körperlichen Horror-Momente sind solide inszeniert. Interessanterweise in einer distanzierten und inszenierten Trockenheit, die eben zum Beispiel die Filme von Ulrich Seidl ausmacht. Die Idee, dies auf einen Spielfilm, ja Genrefilm umzulegen, ist interessant. Das Ergebnis leider nicht.
"Ich seh Ich seh" ist hölzern und trocken, wirkt grob und ungenau gezeichnet. Die Hoffnung, am Ende mit einer interessanten Idee dafür belohnt zu werden, wird jäh enttäuscht: Selbst jene, die die Auflösung nicht erraten haben, möchten am Ende ob ihrer Banalität speiben.
(Martin Mühl)
"Ich seh Ich seh" läuft derzeit in heimischen Kinos, unter dem Titel "Goodnight Mommy" auch außerhalb Österreichs.