I´m Andy Warhol dude

Sänger & Songwriter Courtney Taylor-Taylor und Schlagzeuger & Sänger Brent DeBoer erklären uns, warum Filmemacher cool und Bassisten der 90er-Jahre dagegen extrem uncool sind – und wie ein Werbespot alles veränderte.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Irgendwie hatte die Situation im Backstageraum etwas Sonderbares. Drummer Brent DeBoer, liebevoll Fathead genannt, lächelte unentwegt, Sänger Courtney Taylor-Taylor strahlte mit seiner übergroßen weißen 70er-Jahre Sonnenbrille eine Mischung aus Coolness und Selbstironie aus – und entpuppte sich als wortgewandter, bissiger und humorvoller Gesprächspartner.

„Are you French?“ – „No, I´m Austrian.“ – „Oh, weird.“ Warum er in mir anfangs einen Franzosen vermutete, weiß ich nicht, aber Taylor-Taylor scheint ein gutes Gedächtnis zu haben. Als ich ihm erzählte, wir hätten uns bereits vor neun Jahren im Rahmen ihres Konzerts im Wiener Flex einmal getroffen, wusste er sofort Bescheid: „Oh, is it that place right on the water?“

Mitte dieses Jahres haben die Dandy Warhols ihr neues Album „This Machine“ veröffentlicht. Dazu wollten wir natürlich mehr wissen und konfrontierten sie zu Beginn mit der Frage, ob Bands generell ihr gerade aktuelles Album als das beste bezeichnen, das sie je gemacht haben.

Courtney Taylor-Taylor: Ja, definitiv. Bei “Welcome To The Monkey House”, “Thirteen Tales From Urban Bohemia” und “Come Down” sagten wir, dass das die besten Alben sind, die wir je gemacht haben. Später sagten wir dasselbe über „Odditorium“. Aber als unser neues Album fertig wurde, bin ich tagelang nur gesessen und habe es angehört. Ich bin in der Früh aufgestanden, habe einen Zug von meiner Bong genommen, das Album über meine Studiomonitore abgespielt und war so überwältigt, dass ich nicht aus dem Haus ging, bevor ich es nicht zwei-, dreimal in einem Durchgang gehört hatte.

Brent DeBoer: Ja, mir geht es bei jedem Album die ersten Monate danach so.

Was ist das Besondere an “This Machine” ? War diesmal irgendetwas anders beim Aufnehmen oder Schreiben der Songs?

DeBoer: Ein bisschen, Zia (Zia McCabe, Keyboarderin, Anm.) und ich hatten ein paar Riffs, die wir zu Songs gemacht haben, das war davor noch nicht der Fall. Peter (Pete Holmström, Gitarrist, Anm.) hat das auf unseren früheren Alben ein paarmal gemacht.

„Nur Akkordwechsel, keine Melodien und Texte“, wirft Taylor-Taylor ein, vielleicht um gleich mal klar zu stellen, wer hier der Hauptsongschreiber ist. „Und nachdem Brent in Australien lebt, konnten wir nicht ewig herumfeilen, wir mussten diese Platte einfach schnell machen. Wir hatten alle zusammen etwa ein Monat Zeit. Dann haben wir zu Dritt weitergemacht, es später zu Brent geschickt, damit er noch Gesangs- und Schlagzeug-Aufnahmen ergänzen konnte, und dann war es fertig. Es war der kürzeste Aufnahme- und Mixing-Prozess, den wir seit unserem ersten Album hatten.“

Gibt es einen Song darauf, auf den ihr speziell stolz seid oder seht ihr das Album als Gesamtwerk?

DeBoer: Ich sehe es eher als Ganzes, aber „Alternative Power To The People“ ist irre, und „Autumn Carnival“ mag ich auch sehr. Aber eigentlich sind wir stolz auf jeden einzelnen Song.

Taylor-Taylor: Ich denke als erstes an „Well They´re Gone“, und „The WOW! Signal“ ist ein perfektes Beispiel für diese Art von hingerotztem Gitarrenrock. Und „16 Tons“ ist einfach großartig.

Da stimme ich zu, ich habe entdeckt, dass “16 Tons” die Coverversion eines alten 40er-Jahre Countrysongs ist. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, gerade diesen Song zu covern?

Taylor-Taylor: Nun, eine der Strophen ist mir eines Tages zu Ohren gekommen und ich dachte, „was ist das für ein unglaublicher Text?“. Und dann stellte sich heraus, dass der gesamte Songtext fantastisch ist, so rau und ehrlich, aus einer anderen Zeit und einem anderen Ort.

Ich mag eure Coverversionen generell sehr, wie etwa „Hells Bells“ von AC/DC, oder erst gestern habe ich ein Video gesehen, wo ihr beide kürzlich Eddie Cochran´s „Summertime Blues“ gecovert habt. Nach welchen Kriterien wählt ihr eure Coversongs aus?

DeBoer: Courtney und ich haben jahrelang in Hotelzimmern verbracht, um die Musik anderer Künstler auf Akustikgitarren zu spielen. Dabei haben wir versucht, das Arrangement zu verändern, oder das Tempo, die Tonhöhe, um es…

Taylor-Taylor: … düsterer klingen zu lassen. Ich habe erst kürzlich unsere Version von „Sister Golden Hair“ angehört. Kennst du den Song von der Band America? Du musst auf YouTube gehen und dir unsere Version anhören, das ist unglaublich.

DeBoer: Was ist mit „Blackbird“?

Taylor-Taylor: Ja, ich habe es mir erst kürzlich angehört und dachte, „verdammt, das ist großartig“ (lacht laut). Wir mögen alles, das ein akustisches Wohlgefühl in deinem Körper erzeugt, wie zum Beispiel „She Sells Sanctuary“ von The Cult oder „Primary“ von The Cure. Manche Labels, etwa Japanische, benötigen zwei B-Seiten von uns, worauf ich sage: „Ich kann keine Songs auf Druck schreiben, ich muss warten, bis ich eine Eingebung habe. Wollt ihr irgendwelche Coversongs?“ So funktioniert das bei uns. Jedenfalls hast du jetzt eine komplette Coversong-Liste.


Ich finde es interessant, dass die Dandy Warhols eine Band ohne Bassisten sind, was für eine Rockband eher ungewöhnlich ist. Soviel ich weiß, spielt Zia…

DeBoer (unterbricht): Zia spielt Bass, aber auf dem Keyboard.

Warum ist das so?

DeBoer: Weil´s cool klingt (lacht), und wärmer.

Taylor-Taylor: Wir haben die Band 1994 gegründet, und zu dieser Zeit glaubten Bassisten, man muss so spielen [imitiert einen blitzschnell die Tonleiter rauf- & runter hudelnden Bassisten], aber das hatte keine Wärme, es war entweder schnell oder Funk-Style. Wir haben es mit vielen unterschiedlichen Typen probiert, die alle recht cool drauf waren, doch sobald sie ihren Bass umgeschnallt hatten, wurden sie zu nicht-coolen Typen, zu regelrechten Idioten. Schließlich stießen wir auf Zia, die noch nie ein Instrument gespielt hat, das war perfekt. Ich habe mir dann dieses Keyboard von einem Freund ausgeborgt, ein Mono-Synthesizer mit einem echt warmen Sound, zeigte Zia, „da ist A, da ist G, das sind alle Noten, die du brauchst“. Ich schreibe entweder 2-, 3-, oder manchmal 4-Akkorde-Songs, das ist es.

Somit gründeten wir eine Band, die einfach cool klingt. Ich habe davor noch nie gesungen oder Gitarre gespielt, ich war Schlagzeuger. Fathead ist eigentlich ein viel versierterer Sänger, er hat in Chören gesungen, und auch ein besserer Gitarrist. Wir haben also alle begonnen Instrumente zu spielen, die nicht unsere ursprünglichen waren. Pete hatte zumindest eine Gitarre und konnte Grundakkorde, aber er war eigentlich Maler (lacht). In dieser Band ging es also von Beginn an darum, zu lernen, wie man richtig spielt, und nun lernen wir bereits seit 18 Jahren.

“The world found out about us because filmmakers liked us."

Bleiben wir noch in der Vergangenheit, eure Hitsingle “Bohemian Like You” und der Werbespot, in dem sie verwendet wurde, hat euch reich und berühmt gemacht, kann man das so sagen?

DeBoer: Der Song hat es gemacht, die Werbung ermöglichte es den Leuten, ihn zu hören. Das war aber nur in Europa und Australien.

Taylor-Taylor: Und das passierte zur selben Zeit, als die TV-Serie „Veronica Mars“ unseren Song „We Used To Be Friends“ als Titelmelodie verwendete. Und dann verwendete Toyota „Godless“ in einer Werbekampagne, und die TV-Serie „Freaks and Geeks“ hatte „Solid“ als Titelsong. An diesem Punkt waren wir wirklich verdammt groß.

DeBoer: Es gibt massenweise Musik da draußen, die einfach nicht im Radio gespielt wird. Damals, als es noch kein Internet gab, warst du als Band tot, wenn du nicht im Radio gespielt wurdest.

Taylor-Taylor: Ja, wir haben nie ins Radio gepasst. Aber Filmemacher mögen uns, deswegen sind wir bekannt geworden. Unsere Songs waren in „Good Will Hunting“ und „There´s Something About Mary“. Jede TV-Show hat ihren Titelsong, in jedem Werbespot und jedem Film gibt es Musik, daher suchen viele Regisseure nach guter Musik, und wir sind eine Band, zu der sie gern gekommen sind. Sie wollten etwas cooles, da Filmemacher selbst cool, hip und kulturell interessiert sind. Und sie wollten etwas, das nicht wie Limp Bizkit, Linkin Park oder nach Boy-/Girlband klingt. Das war einfach Glück, „completely amazing fucking awesome luck“.


Wurdet ihr vorher gefragt, ob sie die Songs verwenden dürfen?

Taylor-Taylor: Sie sagen dir, dass sie einen Song verwenden wollen, und wir müssen nur ja oder nein sagen. Wir hatten einmal einen Manager, der bei allem zugesagt hat. Einmal wollte Tommy Hilfiger „Godless“ verwenden, aber der Werbespot war so peinlich, also habe ich nein gesagt. Wenn es um Mode geht, die ich selbst nicht tragen würde, könnte ich es nicht tun. Aber wenn es um Werbung für Basketball, Autos oder Handys ging, habe ich gesagt: „“Fuck it, I´m Andy Warhol dude, pop culture is awesome, I love it.“

DeBoer: Ich möchte einfach, dass die Leute unsere Musik hören können. Und nachdem wir nicht im Radio gespielt werden, würde uns niemand kennen, wenn unsere Musik nicht in Filmen verwendet worden wäre, auch hier in Österreich nicht. Die Geschichte ist immer dieselbe: „Ich bin auf eure Band gestoßen, als ich „Something About Mary“ gesehen und mir den Soundtrack gekauft habe, dann habe ich mir den Rest eurer Platten angehört.“ Das ist wie mit dem Nick Drake-Song „Pink Moon“, der in Amerika aufgrund der Volkswagen-Werbung bekannt wurde. Der Typ hat in seinem Leben acht Platten verkauft.

Taylor-Taylor: Er hat sich umgebracht, weil er keine Platten verkauft hat. Und dann 2001 hat er über eine Million Platten verkauft. Er wäre damals ungefähr 60 Jahre alt und auf einmal reich gewesen, er hätte auf Tour gehen, mit jungen Bands abhängen und viele Leute kennen lernen können.

DeBoer: Aber niemand hörte seine Musik, bis ein smarter Werbeagent den Song für den Spot verwendet und damit Millionen Herzen gebrochen hat.

Taylor-Taylor: Wenn du heutzutage eine Band gründest, versuchst du als erstes, in eine Werbung reinzukommen.

DeBoer: Außer du hast Millionen an Dollars zur Unterstützung deines Albums zur Verfügung, wie Britney Spears, sonst hast du keine Chance. Oder du lernst Musik zu machen, die du hasst (lacht).

„Jede Platte, die wir veröffentlichen floppt, wenn sie herauskommt.

Im Film „Dig!“, einer Dokumentation über euch, gibt es eine Szene, in der du sagst: “I sneeze and hits come out.“ Ist es für dich immer noch wichtig, Hitsingles zu schreiben?

Taylor-Taylor (leicht aufgebracht): Ich habe in meinem Leben noch nie einen Hit geschrieben, bist du verrückt? Mal im Ernst, was war ein Hit?

“Bohemian Like You“, zum Beispiel.

Taylor-Taylor: War ein kompletter Flop. Erst zwei Jahre später ist es ein Hit geworden, und das war ein verdammter Zufall, weil jemand den Song in einer Handywerbung verwendet hat, in der ein wunderschönes Mädchen vorkam. “Not If You Were The Last Junkie On Earth”- totaler Misserfolg, bis der Song eineinhalb Jahre später in England veröffentlicht wurde, zurück nach Amerika kam und ein marginaler Erfolg wurde. Jede Platte, die wir veröffentlichen floppt, wenn sie herauskommt. Wir haben früher nur in kleinen Clubs gespielt, vor wenig Publikum: „the smart kids, the weird kids, the nerd kids“. Dann zwei Jahre später schafft ein Song den Durchbruch und hat uns mit der ganzen Welt verbunden. Und im Film wurde mir übrigens gesagt, dass ich diesen Ausspruch machen sollte, das war keine echte Dokumentation.

Also siehst du dich nicht als Hit-Schreiber…

Taylor-Taylor: Nein. Ich denke, ich bin ein recht guter Produzent und Songschreiber. Aber ich kann mich nicht einfach hinsetzen und einen Song schreiben, ich hab´s probiert und schaffe gerade mal drei Sätze, das ist peinlich. Ich muss in einer gewissen Weise leben und mich der Möglichkeit öffnen, dass ein Song aus mir herauskommt.

Und wenn du einen Song schreibst, wie läuft das für gewöhnlich ab?

Taylor-Taylor: Es passiert etwas in meinem Kopf, es kreiert sich etwas von selbst in meinen Gedanken, es klingt, es sammelt, es ist wie ein Schneeball, der rollt und hier und da einen Satz oder ein paar Worte aufsammelt. Das geht über einige Tage hinweg, ohne meinen Kopf zu verlassen. Schließlich sitze irgendwo mit der Gitarre oder einem Klavier, Papier & Stift und einem Aufnahmegerät. Und dann ist die ganze Idee im Kasten. Manchmal ist es nur ein halber Song, und der Rest davon kann eine Woche dauern oder 15 Jahre. „Well They´re Gone“ vom neuen Album hat 15 Jahre benötigt, bis ich ihn fertiggestellt habe. Ich habe also keine Kontrolle darüber.

"This Machine" von den Dandy Warhols ist bereits via Naive erschienen und war ein Flop. Es ist aber noch Zeit, ein Song wird sicher wieder von einem Werbeguru entdeckt.

Bild(er) © Stephan Brückler
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...