»Im Zweifel müssen wir alle ran« – Eine Taxifahrt ins Zentrum der politischen Schönheit

Philipp Ruch, der Gründer des Zentrums für politische Schönheit, war im Rahmen des Talks »Political Futures« in der Wiener Kunsthalle zu Gast. Im anschließenden Interview spricht er über Fake-News, »Bullshit-Artist«-Trump, das Schwert der Justitia und die Einfallslosigkeit von Martin Sellner.

Will man mit seinem künstlerischen Output die breite Öffentlichkeit erreichen, ist man meistens auf mediale Aufmerksamkeit angewiesen. Bei vielen eurer Aktionen hatte ich das Gefühl, dass ihr den Ablauf umkehrt. Ihr produziert täuschend echte Bilder, die von der Zivilgesellschaft wahrgenommen werden und dann dadurch eine öffentliche Reaktion generieren. Würdet ihr sagen, dass Medien häufig erst nach bzw. durch diese öffentliche Reaktion eure Aktionen aufgreifen? 

Das höre ich zum ersten Mal und ich finde, da ist sehr viel Wahres dran. Ich finde es ist ein sehr schlauer Gedanke, dass hier über die Bande Billard gespielt wird. Beispielsweise bei der Aktion »25000 Euro Belohnung«. Da kamen die Medien an und sagten: „Was sollen wir da überhaupt berichten, ist ja nur ein Plakat“. Bis sich dann in der Redaktion gesetzt hat, was wir hier eigentlich machen. Und durch die Öffentlichkeit wurde das Ganze überhaupt erst bedrohlich. Am eindeutigsten ist diese Umkehrung eigentlich bei der Aktion »Die Kindertransporthilfe des Bundes« zu erkennen. Da war definitiv zuerst die Reaktion der Zivilgesellschaft da, die ja im Glauben, es handle sich um eine Initiative des Familienministeriums, sofort reagiert und beispielsweise bei unserer Hotline angerufen hat. Wir denken der Zivilgesellschaft immer eine Rolle zu, die jedes Mal noch erfüllt oder übererfüllt wurde. Deshalb stimmt dieser Gedanke – die Empirie gibt hier etwas anderes her, als die Theorie sagt.

Wie seid ihr intern organisiert? Gerade das Gesicht von Philipp Ruch steht medial häufig im Vordergrund. Gibt es hier eine bewusste Rollenverteilung?

Um so eine Aktion zu stemmen, braucht es sicher 100-150 Leute, es herrscht meistens komplettes organisatoriches Chaos. Organisationsberater sind herzlich eingeladen, das zu optimieren. Aber es gibt natürlich einen künstlerischen Kern. Wenn man die Presse aufmerksam verfolgt, sieht man auch immer wieder andere Gesichter. Aber viele haben sich auf mich eingeschossen und intern ist es so, dass wirklich nur sehr wenige Lust haben, mit den Medien zu kommunizieren während einer Aktion. Das muss man aber. So kam´s dass mein Gesicht im Vordergrund steht.

Wie trefft ihr eure Entscheidungen? Demokratisch?

Nein. Kunst hat nichts mit Basisdemokratie zu tun. Wir sind eher eine Künstleraristokratie. (lacht)

Man kann sich via Anmeldeformular an euren Aktionen beteiligen. Was kann man sich unter dieser Mobilisierung von sogenannten »Bereitschaftschaftshumanisten« vorstellen?

Wenn man 100 bis 150 Leute für eine Aktion benötigt, müssen wir diese im Vorfeld irgendwie mobilisieren. Meist brauchen wir dann recht schnell Leute aus bestimmten Regionen, häufig auch ländlichen Gegenden. Das heißt, man meldet sich an und wir melden uns dann, sobald wir merken, das passt jetzt – sowohl geografisch als auch von den individuellen Fähigkeiten her.

Das heißt also, ihr braucht die Leute nicht nur, um – wie zum Beispiel bei der Aktion »Die Toten kommen« – mit einem Demonstrationszug ein gewaltiges Bild zu erzeugen, sondern die Leute bekommen eine konkrete Aufgabe?

Wir würden Personen nie für eine Demo mobilisieren. Es geht wirklich um eine konkrete Aufgabe, oft sogar eine wichtige.

Ist der Ansturm sehr groß?

Ja, es sind mehrere Tausend, die wir da in Evidenz halten.

(c) Peter Conrad -GNU Free Documentation License

Auch rechtsradikale Gruppierungen haben die Macht des Aktionismus für sich entdeckt, allen voran die Identitäre Bewegung: Mission Mittelmeer; Stürmen von Uni-Vorlesungen; Hissen von Fahnen, beispielsweise auf dem Brandenburger Tor oder dem Wiener Burgtheater. Inwiefern beeinflusst es eure Arbeit, dass Mittel der politischen Ausdrucksform von den Rechten derart vereinnahmt werden?

Aufhängen von Bannern, ja – höchst kreativ (lacht). Es beeinflusst uns gar nicht, denn es sind nicht unsere Mittel der Ausdrucksform. Die Mittel, die sie benutzen, kommen ganz klar aus den 60ern, Sit-ins bei Univorlesungen oder irgendwo hochklettern… das ist das, was Greenpeace bis heute macht, nämlich nichts anderes, als irgendwo hochzuklettern und ein Banner aufzuhängen. Auch wenn Martin Sellner so häufig behauptet, dass das »Zentrum für politische Schönheit« sein großes Vorbild sei, können wir uns in dem ganz und gar nicht wiederfinden. Da sollen sich der Martin und die Rechtsradikalen mal ein bisschen mehr anstrengen. Viele ziehen hier Linien, ohne überhaupt zu hinterfragen, wofür das »Zentrum für politische Schönheit« steht und wofür eigentlich Rechtsradikale stehen. Das ist sehr bedenklich.

Weil du gerade Greenpeace genannt hast – NGOs wie eben Greenpeace oder Amnesty International arbeiten ja häufig mit Aktionen, die eher …

… Protestfloskeln nennen wir das. Für die Spender. Sie sagen, sie tun etwas, dann gehen sie vor das Brandenburger Tor mit einem Schild, auf dem steht: »Befreit XY«, machen ein Foto davon und schicken es ihren Spendern. Diese glauben dann, »Wow, die tun was«. In Wirklichkeit hat man dann ein sich selbst bestätigendes System, das extrem selbstreferenziell ist. In Wirklichkeit hat niemand das Foto außerhalb der Amnesty-Blase gesehen. Wir sind eine sehr kleine Organisation aber das ist etwas, das bei uns nicht vorkommt. Aber sicher gibt es auch NGOs, die da anders arbeiten. Sea-Shepherd ist eine der Wenigen zum Beispiel.

Eure letzte Aktion war der Nachbau des Holocaust Mahnmals direkt vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke. Dazu habt ihr euch in das Nebenhaus eingemietet. Im Talk hast du heute gesagt, dass so in etwa 20 Verfahren anhängig sind. Jüngsten News zufolge hat ein Gericht dem Vermieter untersagt, das Mahnmal zu entfernen und auch keinen Grund festgestellt, warum das Mietverhältnis aufgelöst werden könnte. Stimmt das so?

Ja, das stimmt. Hintergrund ist, dass der Vermieter in einer Nacht- und Nebelaktion das Mahnmal abreißen wollte und dazu schon Vermessungen vorgenommen hat, obwohl er das Grundstück gar nicht betreten durfte. Wir haben also geklagt und gewonnen. Am Anfang haben Höcke und seine Gefolgschaft uns natürlich auch mal auf alles geklagt, was ihnen irgendwie eingefallen ist. Wir haben dann jedes Mal Einspruch erhoben und gewinnen gerade nach und nach. Also die Verfahren laufen noch, jetzt im Februar wird es eine Menge Ergebnisse geben.

Aber das heißt, wenn diese Verfahren zu einem für euch positiven Ergebnis kommen, seht ihr das als finalen Sieg an?

Ja, man kann schließlich nicht gegen noch mehr klagen (lacht).  Die haben ja wirklich gegen alles geklagt – bis auf eine Sache interessanterweise: Nämlich, dass wir behaupten, dass Björn Höcke »Landolf Ladig« ist. Das ist eine sehr spannende Geschichte – Björn Höcke hat bevor er in der AfD politisch aktiv wurde unter einem Pseudonym Artikel in einschlägig rechtsradikalen Zeitschriften publiziert. Der Sprachwissenschaftler Andreas Kemper hat diese Texte analysiert und Begriffe gefunden, die nur Höcke (teilweise eben auch falsch) verwendet. Das ist ihm leider zum Verhängnis geworden. Kemper hat in zahlreichen Fällen nachgewiesen, dass Höcke eindeutig in NPD-Postillen und in von dem Neonazi Thorsten Heise herausgegebenen Magazinen als Landolf Ladig publiziert hat und dort unter anderem die NS-Revolution in unserem Land gefordert hat. Er hat in seinen Texten auch immer wieder so ganz schlechte Parallelen gezogen, beispielsweise bezogen auf sein Heimatdorf Bonnhagen: In den Texten schreibt Landolf Ladig zum Beispiel, er würde gerade auf das Pfarrhaus blicken. Höcke wohnt im Pfarrhaus. Also wirklich dämlich. Die AfD hat dann vor 2 Jahren von ihm gefordert, er möge eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben, in der er bestätigt, dass er nicht Landolf Ladig ist. Er meinte, nur weil Linke behaupten er sei Landolf Ladig, unterschreibe er diese sicher nicht. Er versicherte jedoch, er würde jeden verklagen, der behauptet, er sei Landolf Ladig. Tja, wir haben eine Internetseite geschalten und Plakate in seiner Region aufgehängt, nämlich mit dem Konterfei von Björn Höcke inklusive der Bildunterschrift »Landolf Ladig im Wahlkampf« – bis jetzt hat er uns nicht verklagt. 

(c) Keystone / Partyk Sebastian Witt / EPA

Bei eurer Aktion »Die Jean Monnet-Brücke«, einer Brücke von Afrika nach Europa, lasst ihr es ja so aussehen, als wäre das eine Rettungsinitiative für Flüchtlinge der Republik Österreich für die Europäische Union, realisiert durch die Firma Strabag. Habt ihr eine direkte Reaktion von der Strabag oder von der Österreichischen Bundesregierung erhalten?

Ja klar, die Strabag wollte natürlich diesen Auftrag kriegen. Und den haben wir ihnen auch vergeben. Wir mussten ihnen dafür nur klarmachen, dass das 250, 260 Milliarden sind, die mehr oder weniger direkt zu ihnen fließen werden. Bis heute werben wir natürlich mit dem Strabag-Logo.

Und die Regierung?

Mit der österreichischen Regierung haben wir bis heute ein super Verhältnis. Auch Kurz hat gesagt: »Das Projekt wird gemacht«.

Das klingt ganz nach unserem Sebastian.

Ja eben, hat eben doch noch das Herz am richtigen Fleck. Humanistische Veränderung, endlich. »Dieser NGO-Wahnsinn muss ein Ende haben« – er meinte damit eigentlich, dass die Strabag das mit der Flüchtlingshilfe in Österreich statt den NGOs übernehmen soll.

(c) Zentrum für politische Schönheit

Diese Aktion wurde Ende 2015 ins Leben gerufen. Mittlerweile sieht die politische Landschaft in Österreich anders aus: Wir haben eine schwarz-blaue Regierung, etliche Spitzenpositionen sind an Mitglieder deutschnationaler Burschenschaften vergeben. Die jüngsten Vorkommnisse würden theoretisch eine gute Vorlage für eine neue Aktion bieten… Ist demnächst eine Aktion mit Österreichbezug geplant?

Wir sind in Verhandlung mit den Wiener Festwochen. Der Intendant Thomas Zierhofer-Kin hat letztes Jahr sein ganzes Geld für Jonathan Meese ausgegeben und er meinte, heuer wolle er es für etwas Sinnvolles ausgeben. Mit dieser Frage musst du dich also an den Intendanten der Wiener Festwochen wenden. Kommt darauf an, ob er den Mut hat, die österreichischen Verhältnisse aus den Angeln zu heben.

Kennst du bzw. fehlen dir ähnliche Gruppierungen oder Bewegungen in der politischen Aktionskunst?

Ich kenne weder in Deutschland noch Österreich etwas Vergleichbares. Früher war natürlich Schlingensief das Aushängeschild der politischen Aktionskunst. Ich habe 2008 das Zentrum für politische Schönheit gegründet, auch mit der Bestrebung, dieses Erbe der Aktionskunst zu retten – da dieses Feld sonst keiner beackert im Moment. Ich verstehe die These nicht, dass eine neue Welle der politischen Aktionskunst im Kommen sei. Denn diese fußt maßgeblich auf unserer Arbeit und unsere Arbeit alleine ist ja bitte ein bisschen wenig, um so eine These aufzustellen. Aber wenn ich was höre, gebe ich dir Bescheid (lacht).

Ende Februar 2018 erscheint das Buch »Haltung als Handlung – Das Zentrum für politische Schönheit«

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