»Sich selbst weniger ernst zu nehmen, ist befreiend« – Susanne Songi Griem im Interview zu »Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé«

Im Rahmen von [8:tension], der ImPulsTanz-Reihe für junge Choreograf*innen, zeigt Susanne Songi Griem ein Stück mit Pete Prison IV (Bosna, Vereter) und Agnes Bakucz Canário, bei dem sich das Publikum auf Interaktion und allerlei alltägliche Absurditäten einstellen kann – auf eine humorvolle Wunderkammer-Wanderung durch Susanne Songi Griems »Library of Unfinished Memories«. Geschichten vom Fremdsein, vom Alltag und von der Körperlichkeit des eigenen Erinnerns. Die Regisseurin und Darstellerin erzählt im Interview über die Hintergründe und den Entstehungsprozess.

© Elsa Okazaki — »Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« von Susanne Songi Griem

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Du zeigst dein Stück »Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« im Rahmen von [8:tension] beim ImPulsTanz Festival, das heuer von 7. Juli bis 7. August stattfindet. Die Ankündigungen zum Stück lassen nicht allzu viel erahnen …

Susanne Songi Griem: Sind dir die Texte zu kryptisch?

Sagen wir: Man beginnt bei der Lektüre nach Referenzen zu suchen. Hast du das Gefühl, dass sich das Publikum in der Performance-Knappheit der vergangenen zwei Jahre etwas von der darstellenden Kunst entfernt hat?

Mhm, wir sind das Format dieser Art von Begegnung und die Wege in die Theater sicher nicht mehr so gewohnt. Entwickelt haben wir das Stück sowohl vor als auch während den Lockdowns. Die Idee war schon vor Covid da, da gab es auch schon die ersten Skizzen. 2020 hatte ich die große Recherchephase und die Umsetzung folgte dann 2021 – also alles parallel zu Covid.

Dein Wunsch, nach Referenzen zu suchen und irgendwas zu verstehen und zu decoden, ist nachvollziehbar, weil das Stück ja gerade auch mit Sprache spielt, mit Mehrsprachigkeit und gleichzeitig auch versucht, sich der Sprache zu entziehen.

Eine konkrete Suche war beispielsweise nach einem Yaeji-Song, der 2 Minuten 56 Sekunden dauert, wie am Anfang des Gedichtes aus dem Ankündigungstext angedeutet. Aber es gab keinen, der genau passte. »Money Can’t Buy« kam mit 2 Minuten 50 Sekunden ziemlich nah ran.

Das ist dieser Drang, die Bedeutung, etwas Eindeutiges zu finden. Die Annahme, den Anspruch zu haben, etwas erklärt zu bekommen, was du nicht zuordnen kannst. Yaeji als koreanisch-amerikanische Popmusikerin war für mich damals eine Figur, bei der ich mich fragte: Wo ist diese Art Stimme in Europa? Das war ein Grund, diesen Namen in das Gedicht zu nehmen, um es klarzumachen, ohne es erklären zu müssen.

Der Trailer erweckt den Eindruck, als gäbe es Regieanweisungen fürs bzw. bewusste Interaktionen mit dem Publikum. Etwa, wenn du zu deinen Darsteller*innen und zum Publikum gleichermaßen sagst, dass das Stück beim Verbeugen zu Ende sei. Welche Rolle spielt die Interaktion mit dem Publikum?

Na ja, wir sind zusammen im gleichen Raum. Viel von »Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« basiert auf Improvisation, das heißt: Natürlich bereiten wir Sachen vor, wir haben Monate davor Zeit miteinander im Studio verbracht, damit die anderen Spieler*innen und ich uns kennenlernen und damit wir ein gemeinsames Vokabular aufbauen, um den Raum halten zu können. Wenn jemand anfängt einen großen Hustenanfall zu haben, passiert das in dem Moment und dann darf da auch darüber gesprochen werden. Wenn jemand den Saal verlässt, kann ich das auch kommentieren. Das ist ein Teil der Partitur, vielleicht eine Haltung in Bezug auf Bühnenpräsenz. Da ist es natürlich großartig, wenn sich Möglichkeitsfenster öffnen, einen Moment zu gestalten.

Teilst du die Wahrnehmung, dass das Publikum sich erst wieder auf das Gesehene einstellen muss bzw. ihr als Darstellende wieder Gewohnheit für Publikumsinteraktion aufbauen müsst, nachdem man nun eine Zeit lang Performance-Knappheit erlebt hat? Oder hat sich das schon wieder eingespielt? 

Sicherlich ist das Lernen, wieder miteinander zu sein, gerade ein Teil des Prozesses. Wir sind auf der Bühne drei sehr speziell gelesene Menschen, in dem Sinne passieren verschiedene Projektionen im Theaterraum, wo wir uns auch gegenseitig drauf einstellen. Ich wünsche mir prinzipiell, dass das Theater ein Verhandlungsraum bleibt, wo keine fixen Strukturen, keine festen Aufsätze im performativen Sinne abgeliefert werden – sonst könnte ich ja gleich eine Videoaufnahme sehen. Ich möchte, dass emotional-zwischenmenschlich etwas passiert.

Kann man sich »Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« also als Rahmen vorstellen, in dem ihr dann den Moment auf der Bühne passieren lasst? Der Trailer macht auch einen humoristischen Eindruck, wenn man Darstellende mit einem Schmunzeln sieht, das nicht gespielt, sondern aufrichtig erscheint.

Ja, so der Wunsch. Als ich angefangen habe, in der darstellenden Kunst zu arbeiten, fragte ich mich, was mit den Gesichtern der Leute los ist, warum sie ihre Gefühle auf der Bühne nicht zeigen und mit Pokerface spielen. In der bildenden Kunst, wo ich herkomme, war es auch oft so. Das hat mich auf eine Art geärgert und mir den Antrieb gegeben, genau da etwas zu ändern.

»Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« von Susanne Songi Griem (Foto: Elsa Okazaki)

Zieht sich das generell durch deine Arbeit? Versuchst du, dadurch deine Stücke niedrigschwelliger zugänglich zu machen?

Das ist sicher etwas, das ich für mich selbst entwickeln musste, und es kommt sicher auch aus einer gewissen Frustration, die aus bestimmten Erwartungen entspringt bzw. aus einem gewissen Kanon meiner Kunstausbildung, Begegnungen und Jobs. Ich versuche dadurch, für mich den Spaß zu erhalten und eigene Grenzen in mir zu überwinden. Mich dadurch selbst weniger ernst nehmen zu müssen, fühlt sich sehr befreiend an und ist für mich eher neu.

Die Niederschwelligkeit hat für mich viel damit zu tun, wo ich etwas spiele bzw. zeige, in welchem Rahmen ich mich befinde. Wenn ich bei [8:tension] was zeige, dann ist das ein bestimmter Rahmen, wo bestimmte Leute aus bestimmten Gründen auftauchen. Natürlich möchte ich niederschwellige Arbeiten machen, mir ist aber auch bewusst, wo ich meine Sachen derweil zeige und das sind sicherlich nicht per se niederschwellige Orte. Vor der Bühne habe ich mehr im öffentlichen Raum und Musemskontext gemacht und auch diese Orte sind voll von Bedingungen. Aber stimmt: Ich versuche, durch Nahbarkeit in der Präsenz im Bühnenraum eine Begegnung zu schaffen.

Der musikalische Teil ist von Pete Prison IV (Bosna, Vereter). Passiert jegliche Musik live auf der Bühne oder gibt es auch Einspieler? Und was kann das Publikum soundseitig erwarten?

Pete habe ich erst 2021 wirklich kennengelernt und in dem Stück ist der Austausch auf der Bühne auch ein gewisser Annäherungsmoment, wo manche Teile von Pete live zum Stück dazukamen, andere akustische Parts gab es vorher schon. Das sind etwa Fragmente aus Sprachaufnahmen und auch ein Stück aus der Dose. Was Pete dann künstlerisch außerdem reingelegt hat, war, die Musik skulptural via Abspielgeräte mit auf die Bühne zu bringen, also durch Plattenspieler und Kassettenrekorder physisch Teil des Stücks werden zu lassen. Ansonsten gibt es auch bei der Musik gewisse Stellen, die wir in den Proben ausgemacht haben, aber es bleibt immer die Möglichkeit zur Improvisation, zum Spielen einer anderen Melodie als in den Proben. Wichtig ist, dass wir die Möglichkeiten kennen und im Moment entscheidet dann Pete, was er für richtig empfindet.

»Library of Unfinished Memories // Fisch und Schwan in Negligé« von Susanne Songi Griem mit Pete Prison IV und Agnes Bakucz Canário ist am 13. und am 16. Juli im Rahmen des ImPulsTanz Festivals im Schauspielhaus zu sehen. Das internationale Tanzfestival findet von 7. Juli bis 7. August an verschiedenen Orten in Wien statt. Im Rahmen der Musikschiene ImPulsTanz Soçial präsentiert The Gap am 20. Juli ein Konzert von Christl und ein DJ-Set von THE ZEES im Burgtheater Vestibül.

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