Ein Monat lang hat Sohn jede Nacht im Wiener Studio verbracht. Er hat magische Momente zu einem, ja, Meisterwerk verdichtet.
Am 7. April erscheint mit »Tremors« das Debütalbum des britisch-österreichischen Ausnahmekünstlers Sohn, eines der wohl am meisten erwarteten Alben des Jahres. Eine Handvoll fantastischer Songs, eine Million Followers auf Soundcloud, Erwähnungen in den Jahresausblicken sämtlicher Musikmagazine – das alles sind Faktoren, die den Boden für das Album aufbereiten.
Zum Interview in der Suite eines Wiener Hotels erscheint Sohn mit Mütze, Mantel, schwarzem Hoodie und massiven Lederschuhen – in character, quasi. Er ist direkt aus L.A. zum Pressetag in Wien angereist, zwei weitere in Berlin folgen gleich im Anschluss. Trotzdem wirkt er voller Energie, sprudelt über mit Gedanken zu seiner Musik und schafft es mit einer Prise Selbstironie und viel Humor, bei all dem uneingeschränkt sympathisch rüberzukommen. Gleichzeitig schlagen aber auch immer wieder eine immense Zielstrebigkeit und Arbeitsmoral durch, sowie eine sehr genaue Vorstellung davon, was Sohn ist und was nicht. »Der einzige richtige Druck war der Zeitdruck«, sagt er auf die Frage, wie er mit den hohen Erwartungen an sein erstes Album umgegangen ist. Bis Weihnachten musste das Album fertig sein, neben der Tour und einem langen Aufenthalt in L.A. Dazu kam die ernüchternde Erkenntnis, dass alle Songs, die zu diesem Zeitpunkt fertig waren, bereits veröffentlichte waren.
Also flog er nach London zu 4AD, mit seinem Handy, auf dem er 50, 60 Ideen – er singe sie oft einfach in dieses Ding rein, sagt er –gesammelt hatte. Gemeinsam wählte man 20 aus. Einen ganzen Monat lang, letzten Oktober, war Sohn jeden Tag und jede Nacht alleine im Studio, manchmal bis in die Morgenstunden, wenn die letzte Bim schon gefahren war. Das Ergebnis ist ein äußerst stimmiges Album, das wohl jetzt schon zu den besten das Jahres gezählt werden muss. Ein Meisterwerk, ja, wir haben es gesagt.
In meinem Kopf ist das ganze Album ein einziger langer Track.
»Artifice«, die Single, sticht sofort aus dem Album heraus: Der Song fühlt sich anders an als die anderen Tracks, und ist wohl auch der einzige, der in einem Clubkontext funktioniert. »Zwischen all den Songs war noch Platz für einen Song, der genau das macht«, sagt Sohn. Er ist eigentlich übervoll und viel zu schnell vorbei. Das Wichtigste an »Artifice« ist für ihn aber, dass er »Bloodflows«, dem nächsten Track am Album, erlaubt, mit seiner Stille zu schockieren. »In ›Artifice‹ gibt es keinen Raum, keine Leere, es ist bewusst voll mit Dingen, damit dich der freie Raum von »Bloodflows« voll erwischt, und dich daran erinnert, dass es eigentlich auf dem ganzen Album genau darum geht«, fügt er hinzu.
Das Video zu »Artifice« ist eher ein Kontrapunkt zum Song: In Superzeitlupe sieht man das Chaos nach einem Autounfall – gedreht wurde das Ganze in vier Sekunden. Das einzig ruhige Element im Video ist Sohn selbst. »Es sagt eine Million Dinge, ohne irgendetwas zu sagen«, meint er dazu, »es zieht dich rein, du kannst es nicht nicht anschauen«.
Warm und organisch präsentiert sich der Sound von Sohn – das er mittlerweile übrigens mit kurzem O ausspricht wie in Carcassonne –, manchmal kommt unter diesen weichen Texturen aber eine sehr rohe Energie zum Vorschein, etwa in dem Arpeggio das am Ende von »Lessons« losbricht. »Meine Musik hat schon auch Kanten«, erklärt er, »und manchmal ist es toll, das rauszulassen«. Er sieht das auch als Reaktion auf Entwicklungen im letzten Jahr, Kanye Wests »Yeezus« hätte alles möglich gemacht. Alles ist jetzt erlaubt, die Menschen sind desensibilisiert für mehr Rohheit. Und natürlich ist Sohn ein virtuoser Synth-Architekt.