»Die Bewohner*innen der Stadt sollen spürbar profitieren« – Der Kuratorischer Leiter Tarun Kade im Interview zur Tangente St. Pölten

Die niederösterreichische Landeshauptstadt wird einen Großteil diesen Jahres im Zeichen des Festivals Tangente St. Pölten stehen. Wir baten den kuratorischen Leiter zum Interview.

© Franz Weingartner

Nachdem St. Pölten nicht den Zuschlag zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 erhielt, ließ sich Österreichs jüngste Bundeshauptstadt nicht klein kriegen und bündelte die bereits geleisteten Energien in ein eigenes mehrmonatiges Festival für Gegenwartskultur. Im Interview erklärt der kuratorische Leiter Tarun Kade was die Tangente von anderen Festivals unterscheidet und warum es wichtig ist auch die Jugend in solche Kulturveranstaltungen einzubeziehen.

Kannst du uns das künstlerische Konzept des Festivals grob skizzieren?

Tarun Kade: Die Tangente ist ein internationales Festival mit lokaler Verwurzelung. Im Zentrum des Programms stehen drei Themen: Ökologie, Erinnerung und Demokratie. In künstlerischen und diskursiven Vorschlägen geht es darum, unser Verhältnis zur Natur zu verändern – weg von Ausbeutung und hin zu einer Partner*innenschaft. Wir fragen: Welche Erinnerungen werden verdrängt oder vergessen? Wie muss Geschichte neu geschrieben werden für die Gegenwart? Und wie kann eine demokratische Teilhabe von verschiedensten Gesellschaftsgruppen aussehen – zum Beispiel von Jugendlichen, von Arbeiter*innen, von nicht Wahlberechtigten und ganz allgemein von einer Stadtgesellschaft?

Was unterscheidet die Tangente von anderen Festivals?

Beim Kunstparcours »The Way of the Water« kann man an den St. Pöltner Gewässern Traisen und Mühlbach entlang spazieren oder Fahrrad fahren und erlebt an 23 Stellen ein unwahrscheinliches Aufeinandertreffen von Kunst und Natur. Im St. Pöltner Dom schaffen die Ausnahmekünstler*innen Kali Malone, John Zorn und Elisabeth Schimana einzigartige Klangerfahrungen. Mit dem Bus fährt man bei »Shared Landscapes« in den Wald und nach sieben Stunden spricht die Natur vor Ort zu einem zurück. Bei »X-Erinnerungen« sieht man 21 St. Pöltner Wohnungen, Vereinsheime und weitere Orte von innen, die einem sonst verborgen bleiben würden. Künstler*innen wie Trajal Harrell, Tim Etchells oder Theater Perpetuum treten in Austausch mit den Erinnerungen der Stadt, die einst Arbeiter*innenstadt gewesen ist und sich nun in einem historischen Moment des Wandels befindet. Da kommen dann auch mal Arlo Parks und Fever Ray in die Stadt und spielen auf der gleichen Bühne wie local Heroes HVOB und Salamirecorder.

Welche Ziele verfolgt ihr mit den Stadtprojekten? Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit der freien Szene in St. Pölten für euch?

Es geht dabei um Teilhabe und um Nachhaltigkeit. Festivals kommen und gehen, aber die Bewohner*innen der Stadt sollen spürbar profitieren. Durch Open Calls sind die St. Pöltner Künstler*innen dazu aufgerufen, beim Projekt »Stadt-Galerie« Leerstände und Schaufenster künstlerisch zu beleben. Lokale Initiativen und Kulturvereine bespielen mit uns etwa gemeinsam den Löwinnenhof* und das Festivalzentrum in der Linzer Straße. Viele Projekte werden aus der und für die Stadt konzipiert, auch in Bezug auf die Arbeiter*innengeschichte der Stadt rund um die ehemalige Viskosefabrik Glanzstoff. Ich wünsche mir, dass die so geschaffenen Verknüpfungen und Strukturen nach der Tangente ein Eigenleben entwickeln.

Was waren für dich bislang Highlights in deiner Arbeit als kuratorischer Leiter der Tangente?

Ich bin immer aufgeregt wenn lokale Akteur*innen, Künstler*innen aus aller Welt und besondere Orte der Stadt aufeinandertreffen und etwas Neues entsteht. Susanne Kennedy und Markus Selg gestalten auf der Brache hinter der ehemaligen Glanzstofffabrik die Installation »Wasteland«. Teile davon wurden bereits im Januar aufgebaut und sind nun Wucherung und Witterung überlassen, bis zur Eröffnung Ende Juni. Die Zeit und der Ort kreieren hier gemeinsam mit den Künstler*innen eine spektakuläre Parallelwelt.

Inwiefern sind Schulen und Jugendliche in die Gestaltung des Festivals eingebunden?

Es gibt mehrere Schulprojekte, die in das Festival hineinwirken. Im Rahmen der Ausstellung »Blick in den Schatten – St. Pölten und der Nationalsozialismus« arbeiten Schulklassen gemeinsam mit Künstler*innen zu diesem Thema und den Kontinuitäten in die Gegenwart. Auch an der Klimakonferenz  »Tipping Time« wird eine Schulklasse mitwirken. Die Jugend gestaltet die Welt der Zukunft und wir müssen dazu beitragen, dass ihr das auch möglich ist. In diesem Sinne ist der Titel einer von uns initiierten Jugendkundgebung auch »Listen Now!«.

Die Tangente St. Pölten findet von 30. April bis 6. Oktober in diversen Locations der Stadt statt.

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