Was ist eigentlich diese Post-Ironie und warum kann man ihretwegen mit Ehrlichkeit Geld verdienen? Ein Erklärungsversuch.
Too sincere?
Von Spott ist bei "Taipei" eher wenig zu spüren, "Taipei" erhielt durchwegs gute bis euphorische Kritiken und es sagt viel aus, dass 50.000 US-Dollar im Vorhinein auf den Tisch gelegt wurden, damit Lin dieses Buch überhaupt schreibt. Die Zahl bedeutet, dass ein Verlag nicht nur hofft, sondern davon ausgeht, dass sich mit dieser neuen Ehrlichkeit, dieser recycelten "New Sincerity", gutes Geld verdienen lässt. Auf inhaltlicher Ebene tut sich im Roman nicht viel – eine spannende Handlung, interessante Charaktere, wiederkehrende Motive oder unerwartete Wendungen sucht man vergeblich. Natürlich ist das gut geschrieben und dem jungen Autor ist eine viel imitierte, große stilistische Ausdruckskraft nicht abzusprechen – der Grund, warum sich das verkauft, ist aber eben genau die "Sincerity". Das lieben Slate, Buzzfeed, Vice oder das Complex Magazine, die alle den Roman zu ihren Favoriten wählten. Bret Easton Ellis nennt Lin in einem Tweet den interessantesten Prosaiker seiner Generation, obwohl er das Buch für äußerst fad hält.
Ehrlichkeit ist hip geworden
Denn neben all der neuen Ehrlichkeit sind der hippe Selbstekel, die ironische Egozentrik – also all das, wovon Wallace prophezeite, dass sich die Autoren abwenden würden – genau Lins Themen. Folgen Sie auch Lena Dunham, schlägt Twitter vor, auf Basis von dessen Account. Denn ja, es ist zwar eine neue Autorengeneration auf den Plan getreten, die über alltägliche Dinge schreibt, nur besteht der Alltag dieser Generation eben aus dem Internet mit all seinen Katzenvideos, Ok Cupid und einer großen Portion Ironie. Lins "Taipei", Dunhams "Girls", Kitty Pryde und Yung Lean – das ist alles in seiner Ironie ehrlich und in seiner Ehrlichkeit ironisch, in jedem Fall aber sehr schwer zuzuordnen. Ja, die Ehrlichkeit kam zurück. Aber eben nicht in der Form, wie sich David Foster Wallace das vorgestellt hat. Ehrlichkeit ist hip geworden, genau das, was vorher schon Ironie war: ein Instrument der Popkultur, eine Chiffre.
Sich neue Namen für Phänomene ausdenken, das machen Menschen seit jeher. Und es passiert heute oft, dass schon beim leisesten Hauch von etwas Neuem ein schicker Name mitgeliefert wird. Post-Internet, Post-Dubstep, Post-you-name-it. Post-Ironie gibt es in allen möglichen Varianten, schon lange, doch es wird sich immer noch ausgemacht, was das genau ist und was das sein könnte: Ein Raum, in dem Ehrlichkeit und Ironie miteinander verschmelzen und weder Künstler noch Kritiker so recht wissen, was Ernst und was "Ernst" ist. Ein Raum, der sich jetzt erst öffnet, ausgelotet und gestaltet wird. Post-Ironie könnte der Raum sein, in dem großartige Dinge entstehen. So wie Casey Jane Ellisons Webserie "Touching The Art", die sich genau mit Fragen wie "Was ist eigentlich dieses Post-Internet?" beschäftigt. In der letzten Folge stellte Ellison ihrem all female panel dazu die Frage: "If the internet is over, how did I just tweet?"
Ist das nun satirisch, naiv? Ironie oder völliger Ernst? Egal. Es ist jedenfalls eine interessante Frage, und als solche oft die einzig richtige Antwort. Falls diese Post-Ironie uns also helfen kann, solche Fragen überhaupt zu stellen, ist sie wohl ehrlich gut. Im schlimmsten Fall war Post-Ironie halt nur das Schlagwort, das zu einer bestimmten Zeit ein Lebensgefühl auf den Punkt gebracht hat.
"Taipei" von Tao Lin ist am 20. August in deutscher Übersetzung ("Taipeh") bei Dumont erschienen. Der Autor liest am 18. September in der Hauptbücherei Wien daraus, echt jetzt.