Jamie XX, der bessere David Guetta?

Während der eine schon Popstar ist, geht es für den anderen gerade erst los. Produzenten wie Jamie XX und David Guetta sind derzeit in der Popindustrie gefragter denn je. Denn zwischen den Welten des Pop und ihren Subkulturen herrscht ein ständiges Geben und Nehmen.

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„He should remix the world“, steht in Form eines Kommentars unter einem YouTube Video. Der Brite Jamie Smith ist schon seit einigen Jahren in der Musikbranche unterwegs. Als vor zwei Jahren die Band The XX an die Öffentlichkeit kam und u.a. den Mercury Prize für das beste Album 2010 gewannen, wusste man noch nicht, wer hinter der ganzen Sache steht. Es war bekannt, dass die Sänger Romy Madley Croft und Oliver Sim den Songs, mit ihren rauchig-ruhigen Stimmen und dem minimalistischen E-Gitarren Sounds, den XX-Charakter verliehen. Da tauchte aber sowohl in den Videos, als auch auf den bereits früh ausgebuchten Konzerten, noch ein Lockenkopf auf, der vollkonzentriert und wild auf einem MPC herumdrückte.

Jamie Smith kann als das Herzstück der Band gesehen werden. Er gründete sie im Jahr 2005. Bis heute produziert er alle Songs der Band. Auch ist Jamie seit längerer Zeit als DJ und Remixer aktiv. Neben Adele und Florence And The Machine, bastelte er auch feine Remixe von The XX Songs. Sein eigener Style entwickelte sich schnell, und man konnte schließlich heraushören, dass sich der für The XX typische Sound nicht nur durch die zerbrechlichen E-Gitarrenloops auszeichnete, sondern die drückenden Basslines, die dubstepigen Rhythmen und organische Steeldrums von Jamie dafür verantwortlich sind.

Ein Jahr nachdem die Soul und Funk Legende Gil Scott-Heron sein letztes Studio Album „I’m new Here“ veröffentlicht hat, nahm sich Jamie Smith das Album vor, und produzierte ein komplettes Remix Album. „We’re New Here“ erschien im Februar 2011 und wurde von der Musikpresse hoch gelobt. Dem jungen Produzenten gelang es, Gil Scott-Herons lyrische, gesellschaftskritische Texte mit seinen Sounds zu kombinieren. Das breite Genrespektrum des Albums, das sich zwischen House, Hip Hop und Dubstep ansiedelt, beweist, dass Jamie XX, aus produktionstechnischer Sicht mit fast jedem Genre elektronischer Tanzmusik zu Recht kommt. Wie einst David Guetta, ist Jamie Smith gerade dabei, seine Musik weg von den Clubs, hinein in die Popwelt zu tragen.

Drake, Rihanna

Dass die Produktionen des jungen Briten erstklassig und angesagt sind, haben in letzter Zeit auch die großen Künstler des Musikbusiness bemerkt. Vor Monaten wurde in den gängigen Musikforen und Websites (Pitchfork, Prettymuchamazing, Post-dubstep) angekündigt, dass der kanadische Rapper Drake bei der Produktion seines neuen Albums, das vor kurzem erschienen ist, Jamie XX als Produzent mit ins Boot geholt hat. Drakes Single des gleichnamigen Albums „Take Care“ wird von Rihanna gefeatured und ist ein Cover des Songs „I Take Care Of You“, den Jamie XX im Februar mit Gil Scott Heron aufgenommen hatte. Drakes „Take Care“ wird höchstwahrscheinlich zur Single ausgekoppelt. Dadurch ist Jamie XX in die schillernde Oberliga der Popmusik geklettert. Das hindert ihn aber nicht, uneingeschränkt zu remixen und nebenbei ein zweites Album für The XX zu produzieren, wie die Band in ihrem eigenen Blog ankündigt und dokumentiert.

Schwellenwerte

Noch vor dem Internetzeitalter war es für Musiker und Labels nicht so einfach, ihre Musik an die Öffentlichkeit zu bringen, da nur Major Labels die finanziellen Mittel hatten, Musik (damals nur auf Vinyl, CD, MC) zu vertreiben. Heute kann jeder, der einen Computer hat, einfach Musik produzieren und sie ins Netz stellen. Wenn sie gut ist, dann braucht man ein gutes Promo-Konzept, wenn sie schlecht ist, dann auch. Der Erfolg liegt dann unter anderem daran, ob man mit seinem Stil den aktuellen Zeitgeist trifft. Artists in den oberen Charts-Regionen sprechen jeweils bestimmte Zielgruppen an, sowie es jene in musikalischen Subkulturen auch tun. Vor wenigen Jahren aber, hat sich Pop noch weniger an Elementen der Subkultur bedient. Manche Künstler, die einst Independent waren, wurden erfolgreich und zogen vom düsteren Untergrund in die glamouröse, schöne Welt des Pop um. Oft beginnt die Musikkarriere durch den Wechsel von einem kleinen Independent Label zu einem Major Label.


Der DJ David Guetta hat von der Popularisierung der DJ-Kultur am meisten profitiert. Der charismatische Franzose hat das umgesetzt und geschafft, was so noch keinem DJ vor ihm gelang: Er hat den Four-to-the-Floor-Beat alltagstauglich und für den US-amerikanischen Musikmarkt zugänglich gemacht. Seit 2009 kollaboriert er mit sämtlichen Musikstars der amerikanischen Urban-Musikszene der frühen Zweitausender. Usher, Rihanna, Chris Brown & Co gelang es sich mit der neuen Musik weiter zu entwickeln und sich stilistisch anzupassen. Und zwar nicht nur in den Charts, sondern auch in den Clubs. Ihre Musik ist wieder feier-und tanztauglich. Das Rezept ist einfach und erfolgreich – und verdanken wir einem klugen Franzosen: Guetta klatscht ein Paris-House-Elektro-Tool hin. Cash, Money, Cars, Clothes sind nicht mehr Lebensinhalt. Es geht zwar immer noch um tonight i wanna get on the floor oder where them girls at, also kurzum, auch noch ums Feiern. Doch ist es nicht mehr die mit Mariuhana überladene Hip Hop Fiesta in Lowridern, sondern die mondäne Jet-Set-Feierei der DJs. Gott segne Amerika, oder doch den Four-to-the-Floor-Beat?

Auf Elektro-Mission

Im Unterschied zu Guetta, der sein Erfolgsrezept sogar öffentlich preisgibt, scheint es, dass Jamie XX nicht in erster Linie darauf aus ist, Amerika und dessen Mainstream mit Post-Dubstep und Elektro zu missionieren. Es ist eher, dass einige Musiker, weit oben in der konventionellen Popwelt ihren künstlerischen Anforderungen nicht mehr gerecht werden und in den Subkulturen kreative Abwechslung suchen. Die barbadische Sängerin Rihanna ist ein Paradebeispiel dafür. Die einst süße, hüftschwingende R’n’B-Sängerin, mutierte mit den Jahren zur Dancing Queen, die nicht scheut, in ihren Videos auch mal Vollgas zu geben. Im Video des von Calvin Harris produzierten Dance-Songs „We Found Love“ hat Rihanna zwar keine avantgardistische Halbglatze mehr, betreibt aber Exzess in sämtlichen Bereichen. Techno, wildes Rumgeknutsche, nackte Haut und ein Drogentrip. Rihanna begibt sich einige Stufen herunter, um der Subkultur, diesmal in Form einer Art Punk, beizuwohnen. An anderer Stelle – „Drunk on Love“ – wird „Intro“ von The XX gesamplet. Gut für Jamies Portfolio, noch besser aber für Rihannas aktuelles Album.

Diese neue Art von Musik hat das Potential, falls Missgönner und Subkultur-Nazis nicht auf die Barrikaden steigen, ein breiteres Publikum anzusprechen und zu erreichen. Nämlich eigentlich jeden, der Musik hört und sich damit auseinandersetzt. Vom pubertären Teenager bis zum Spex-Chefredakteur.

Die verschiedenen Szenen befruchten sich symbiotisch. In David Guettas Fall, wird dem Mainstream ein wenig Subkultur gegeben, oder auch „gebt dem Affen Zucker“, bei Jamie XX vollzieht es sich umgekehrt. Es gibt unzählige The XX Coverversionen, unter anderem von den Gorillaz und von Shakira. Die Band um Jamie Smith ist schon lange im Popsystem angekommen und findet sich hervorragend darin zurecht. Und im Vergleich zu Grammy Preisträger Guetta, der auf all seinem CD-Covern grinst, seinen Videos tanzt und auch in seinen Titeln stets an erster Stelle steht, gibt sich Jamie XX eher bescheiden, und ist auch noch etwas davon entfernt, die amerikanische Popmusik zu xx-isieren. Liebe Subkultur, darf ich ihnen ein wenig Pop anbieten?

Am Samstag, 18. August, spielt Jamie XX beim Strom Club in der Pratersauna.

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