In ihrem neuen Film geben uns Julia Niemann und Daniel Hoesl einen Einblick ins Leben der superreichen Familie Maynard, die sich – wörtlich und im übertragenen Sinne – alles leisten kann. Im Interview erläutern die Regisseur*innen ihre Inspirationen, die allgemeine Faszination für Reichtum und wie Politik, Wirtschaft und Medien intrinsisch miteinander verstrickt sind.
Seit über zehn Jahren beschäftigen sich Julia Niemann und Daniel Hoesl in ihren Filmen mit Geld und Wohlstandsphänomenen, etwa wenn sie 2020 in »Davos« die monetäre Elite des World Economic Forum der arbeitenden Bevölkerung der Schweizer Urlaubsdestination gegenüberstellen. Bei ihrer Recherche für den 2016 erschienenen Film »Win Win« waren die beiden sogar zu Gast bei einer Person, die, Zitat Hoesl, »sehr, sehr viel Geld hat und auch sehr, sehr viel Macht«. Das legte für ihn den Grundstein zu »Veni Vidi Vici«: »Als wir da bei ihm in seiner Villa, in seinem Atrium saßen und die Kinder mit den Au-pairs herumliefen, mit Tiaras in den Haaren und Prinzessinnenflügeln, und tatsächlich auch immer wieder der Butler mit Gewehren in der Hand durch diesen Raum ging, ›weil man sich einfach auf die Jagd vorbereitet, zu der sie dann über Nacht hinfliegen‹ – in dem Moment dachte ich mir: ›Der kommt mit allem durch.‹« Und Niemann ergänzt: »Aber auch diese Nachbarschaft von der Jagd und dem Familiären, dem Geschäft, dem Business und dieser Wärme, die das Familienumfeld ausmacht, das fanden wir beide interessant und das hat Daniel dann zum Drehbuch angestoßen.«
Im Vergleich zu ihrer Anzahl sind (Super-)Reiche medial bei Weitem überrepräsentiert. Seien es Serien wie »The White Lotus« und »Succession« oder Filme wie »The Wolf of Wall Street« und kürzlich »Saltburn« – der Erfolg von Geschichten über das oberste Prozent suggeriert eine fast schon groteske Faszination des breiten Publikums für ein Ausmaß an Vermögen, das es selbst vermutlich nie haben wird. Aber woher kommt diese Faszination?
Laut Hoesl daher, dass der Geldadel »role models« liefere und in gewisser Weise einen Traum – speziell den American Dream – widerspiegle: »Wir vergöttern ja gern Dinge und blenden auch hier, wie in der Religion, aus, dass diese oft negative Nebeneffekte haben.« Niemann weist außerdem auf die Unterschiede zwischen Europa und den USA hin – Superreiche in Deutschland leben eher zurückgezogen, den Typus des »super-rich rock stars« gebe es vor allem in den USA: »Dort und auch hierzulande lassen sich viele Menschen von Figuren wie Elon Musk und Mark Zuckerberg begeistern. Wir haben diesen total hanebüchenen Leistungsgedanken in uns drin. Als hätten die viel mehr geleistet, wären deswegen jetzt so reich, und wenn man nur selbst genug leisten würde, dann könnte man vielleicht auch ein Stück vom Kuchen abbekommen.«
Auf Musk gibt es auch im Film eine kleine Anspielung, genauer auf seinen Auftritt bei der Eröffnung der Tesla Gigafactory in Berlin. An anderen Stellen des Films erinnern Stichwörter wie »Umfragen« in einem Gespräch zwischen einer Journalistin und einer Politikerin an vergangene Affären der österreichischen Politik. Konkrete Personen oder Skandale hatten die Regisseur*innen aber nicht im Kopf, als der Film entstand: »Man kann da aus dem Vollen schöpfen«, so Niemann. »Die Geschichte, die wir erzählen, findet man immer wieder: ob bei den Panama Papers oder Wirecard oder jetzt René Benko oder ›Mister Karstadt‹ Nicolas Berggruen – das ist so eine universelle Geschichte wie die Odyssee.«
Ein Triumvirat der Macht
Diese Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Medien ist eines der zentralen Motive von »Veni Vidi Vici«. Es ist frappierend, wie leicht dort jede potenzielle Hürde für Menschen an den Quellen der Macht aus dem Weg geräumt wird – von genehmigten Flächenwidmungen über zugespielte Subventionen bis hin zu abgewendeten Mordermittlungen. »Wir wollen das nicht pauschalisieren und wir wollen nicht verschwörungstheoretisch sagen: ›Die Politiker*innen sind alle korrupt.‹ Aber natürlich gibt es Verstrickungen und natürlich auch mit den Medien«, meint Julia Niemann. Beide Filmemacher*innen weisen darauf hin, dass viele Reiche auch große Beteiligungen an Zeitungen besitzen. »Uns ist aber ganz wichtig zu erwähnen, dass unsere Kritik an das Geld und an die superreiche Elite der Welt geht, aber nicht an die professionelle Elite«, beharrt Niemann. Medien seien sehr wichtig für unsere Demokratie und eine ihrer wenigen Überlebenschancen. Vor allem der investigative Journalismus der vergangenen Jahre sei maßgeblich dafür gewesen, viele dieser Netzwerke überhaupt erst sichtbar zu machen.
Auch die Rolle der Polizei in diesem Machtgefüge wird im Film thematisiert: »Es ist keine Neuigkeit, dass es Menschen gibt, die gleich sind, und Menschen, die noch gleicher sind. Milliardäre stehen eher über dem Gesetz«, so Hoesl. In »Veni Vidi Vici« wird die Polizei satirisch ordentlich in die Mangel genommen: Da wird ein Augenzeuge bewusst ignoriert, klischeehaft am Würstelstand Mittagspause gemacht, tatenlos vor ihren Augen ein Mord begangen und Racial Profiling als zentrale Fahndungsstrategie eingesetzt. »Das war eine kleine Anspielung auf die Polizei, wie sie tendenziell leider mit verschiedenen Menschen – sagen wir mal – ›umgeht‹«, erklärt Hoesl. »Und irgendeiner muss ja schuld sein«, setzt Niemann nach. »Dann trifft es Bauernopfer und das sind für gewöhnlich eben diejenigen, die in unserer Gesellschaft am schwächsten sind.«
Auf der Familie liegt ein weiterer Fokus in »Veni Vidi Vici« – genauer auf der Familie Maynard. Zwar wird im Film mehrfach betont, dass auch Butler, Au-pair und die Adoptivkinder dazugehören, jedoch wird schnell klar, dass die Maynards ein vorwiegend dynastisches Verständnis von Familie haben, das die biologische Kernfamilie und die Vererbung von Genen in den Mittelpunkt stellt. So werden alle anderen Menschen mehr oder weniger ersetzbar.
Die Regisseur*innen selbst stammen aus Arbeiter*innenfamilien: »Wir mussten das alles recherchieren, weil wir da persönlich keinen Zugang haben«, erzählt Hoesl. »Schnell habe ich gelernt, dass es nach wie vor den alten Adel gibt. Da wird das Entitlement schon in die Wiege gelegt.« Gleichzeitig hätten die Regisseur*innen, bei ihren Recherchen aber herausgefunden, dass das Klischee, alle Milliardär*innen seien totale Bösewichte, auch nicht stimme. Stattdessen seien sie mitunter sehr liebenswürdige Familienmenschen und hilfsbereit – sofern man ihnen gerade ins Konzept passe.
Alltäglicher Horror
Gerahmt wird »Veni Vidi Vici« zu Beginn von einem Zitat von Ayn Rand: »The point is, who will stop me?« Und zum Schluss von einer direkten Aufforderung an die Zusehenden, man solle die Maynards doch stoppen. Diese Doppelung suggeriert auch das einzige scheinbare Manko des Films: Wer beim Zusehen nach dem Monomythos sucht oder auf eine Charakterentwicklung der Hauptcharaktere hofft, wird enttäuscht werden – laut Daniel Hoesl jedoch aus gutem Grund: »Der Protagonist und seine Familie durchleben keine Katharsis, weil sie quasi nichts dazulernen müssen.« Und Julia Niemann merkt an: »Genau, deswegen auch ›Veni Vidi Vici‹. Wir 99 Prozent müssen dazulernen, weil wir immer besser werden müssen, um ganz nach oben zu kommen, aber die, die schon ganz oben sind, die müssen nichts lernen.«
Die Maynards kamen, sahen und siegten – ganz ohne Lernmoment. Was einem zuerst ungewohnt, ja, vielleicht sogar irritierend erscheint, ist völlig beabsichtigt: »Mir ist wichtig«, erläutert Hoesl, »dass man etwas zu denken mitkriegt, wenn man aus einem Film rausgeht, dass der Film aber gleichzeitig unterhaltsam ist. Deshalb mache ich so gerne Satiren.«
Während »Veni Vidi Vici« klar in das Genre Satire passt, sind auch leise Elemente von einem Horror, in dem wir alle leben, erkennbar: Schlimm genug, dass die Polizei einen Augenzeugen von Mord handgreiflich aus ihrem Revier wirft und seine mehrfachen Anzeigen ignoriert – auch wenn wir theoretisch alle vor dem Gesetz gleich sind, sieht die Realität trotzdem anders aus. Doch als der Zeuge selbst aktiv werden und den Mörder konfrontieren will, wird er von einer happy Family begrüßt, die gerade vom Kinderschminken kommt und ihm Champagner anbietet. Er stolpert in eine scheinbar heile Welt, in der Moral von Geld gelenkt und Ethik als pure Zeitverschwendung abgetan wird. Zitat des Protagonisten: »Sich an Regeln halten? Dafür bin ich zu kreativ. Und der Erfolg gibt mir recht.« Skrupelloses Verhalten wird belohnt. Und der Horror? Dass sich zu wehren und für Gerechtigkeit einzustehen keinen Sinn hat. »Veni Vidi Vici« zeigt den Horror unserer Klassengesellschaft auf und bietet keinen Weg hinaus. Die Conclusio: nothing matters.
Es sei auch in der Realität so, dass sich die Gesellschaft immer weiter spalte, so Hoesl. Das wüssten wir alle, aber täten nichts dagegen. Niemann: »Wir beide haben uns deshalb in den vergangenen Jahren auch ziemlich stark mit der Frage beschäftigt, wie man mit politischem Film Menschen erreicht und wie sehr man sich öffnen und sich Fragen der Unterhaltsamkeit, des Entertainments stellen muss.« Es sei eine schmale Gratwanderung, aber habe ein tolles Pay-off, wenn ein Film einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werde und nicht nur den inneren Kreis an Leuten erreiche, ohne zu unterlaufen, was Film für einen selbst ausmache: »Deshalb bin ich so froh, dass ›Veni Vidi Vici‹ auch beim Sundance Film Festival gelaufen ist, weil wir dort eine sehr breite Resonanz hatten«, sagt Hoesl.
Appell oder Zynismus?
Ob der Appell an die Zusehenden am Ende des Films wirklich ernst gemeint oder bloß Zynismus ist, lässt sich nicht endgültig beantworten. Der Protagonist hat etwas Ambivalentes an sich: Er will gestoppt werden und gleichzeitig will er es auch nicht. Vor allem geht es ihm um das Spiel. Wie viel kann er sich herausnehmen? Wann stößt seine unendliche Macht endlich an Grenzen? Hoesl bringt es auf den Punkt: »Es ist der Wunsch einer Person, die schon weiß, dass man meistens nicht bekommt, was man sich wünscht.« Und Niemann fügt hinzu: »Der Film ist natürlich eine Metapher, aber wofür, das sollen die Zuschauer*innen selbst entscheiden.«
Die Ästhetik der reichen, schönen Welt wird während des gesamten Films nicht gebrochen – seien es Slow-Motion-Aufnahmen eines Polospiels, eine Kindergeburtstagsparty, die Kleiderwahl der Protagonist*innen oder die Kunstwerke, die im Hintergrund die Wände schmücken. Und trotzdem wird man regelmäßig mit wahllosem Morden konfrontiert. Diese Dissonanz zwischen der gezeigten Welt und den Ereignissen der Handlung verleiht »Veni Vidi Vici« jene Spannung, die es in der Charakterentwicklung der Protagonist*innen nicht gibt. Der Film treibt die Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft auf die Spitze, er irritiert, regt einerseits auf und andererseits auch – wie von den Filmemacher*innen intendiert – zum Nachdenken an.
»Veni Vidi Vici« von Julia Niemann und Daniel Hoesl ist im Rahmen der Diagonale am 6. April um 20:15 Uhr im Annenhof Kino 2 sowie am 7. April um 17 Uhr im Annenhof Kino 6 zu sehen.
Die Diagonale 2024 findet von 4. bis 9. April in Graz statt. Nähere Informationen zum Programm sind unter www.diagonale.at zu finden. Unsere gesammelte Diagonale-Berichterstattung findet ihr hier.