»Wiener Zucker«, das zweite Album der sehr guten Gruppe Kahlenberg, ist die konsequente Fortsetzung ihres Debüts.
Wir befinden uns im Jahr 2021 und ganz Österreich ist vom neoliberalen Ruß überzogen. Ganz Österreich? Ja, sogar vieles im guten alten Wien! Und dort oben im Neunzehnten treiben’s die mal wieder zu bunt, die G’stopften, die G’spritzten. Diese Dekadenten, denen wird der Zucker in und aus dem Arsch geblasen. Da hechelt der Pöbel ohne SLK bei der Alkkontrolle zwischen Deutschem Eckerl und dem Tiroler Unterland. Na bist du g’scheit.
Diese Ausgeburt des ganzen depperten Weltgeschehens, diese Schere da, dieses für den Plebs Bittere und für die selbsternannte Elite Picksüße, das klatscht aktuell – und schon seit immer – niemand besser auf den mit liebevoller Patina abgeranzten Tisch der k. u. k. Hofzuckerbäckerei als die famose Gruppe Kahlenberg. Damals im 2019er-Jahr hat sie als – natürlich – Supergroup die ironische Wiener Popwelt im Sturm erobert wie ein Amandus eine Konstanze beim Neustifter Kirtag. Die fünf Männer, die vorgeben aus Grinzing zu sein, führen auf ihrem zweiten Album ihr zwar einfaches aber gleichzeitig unheimlich subversives Konzept konsequent weiter und dabei nicht sich selbst ad absurdum. Du sagst: »Schnöselpunk!« Ich sag: »Nenn mir zwei Gruppen, die unflexibler im Sich-Ändern sind.«
Die Lieder, ein Traum
Und, in dem Fall ist es ein Gutes, also vom Künstlerischen her, diese Konstante, weil: die Lieder, ein Traum. Fangen wir an mit den großen Hits – und es sind tatsächlich einige der größten Indie-Hits des Jahres auf diesem Album, frag nach bei den Charts, wenn du dich traust –, namentlich »Hahnenkamm« mit dem Weltreim »Doppelsieg in Kitzbühel / Wo ich mich chic fühl’« und auch »Bösendorfer«, ein Abgesang auf die ach so guten alten Zeiten – da ist es wieder, dieses »Schnösel«- und gleichzeitig »Punk«-Ding.
Daneben verstecken sich aber so viele weitere Perlen, da wühlt die Frau Omama schon ganz nervös beim Mieder im Biedermeier-Kästchen. Etwa das rockig-treibende »Schwarzes Kameel«, das sphärisch-verspielte »Fix zam«, das eingängige »Nobel geht die Welt« oder das eskapistische »Luv und Lee«, bei dem’s denen, die es haben, in den ledernen Mokassins juckt, da hilft nur ein Kratzer aus Elfenbein am Cap d’Antibes. Dort soll’s ja ganz schön sein. Hab’ ich zumindest gehört.
Das Album »Wiener Zucker« von Kahlenberg ist heute, also am 1. Oktober 2021, bei Affluenza Music. Die nächsten Konzerttermine der Band lauten: 14. Oktober, Wien, Chelsea — 21. Oktober, Graz, Orpheum.