Dreieinhalb Jahre nach »Be the Cowboy« erschien heuer mit »Laurel Hell« das langersehnte sechste Studioalbum der Musikerin Mitski. Ihr Tourstopp in Wien war restlos ausverkauft.
Ich sitze gerade – einige Stunden nach dem Konzert – in der Küche und versuche, das eben Erlebte einzuordnen, den Abend zu rekapitulieren. Dabei gibt es leider einen Gedanken, der sich trotz meines Widerwillens andauernd in den Vordergrund schlängelt: Wie unerwartet ungewohnt so ein Musik-Liveact nach mehreren Jahren der Pandemie doch ist. Aufgeregte Fanschreie hörte ich das letzte Mal vor über zwei Jahren und von Stroboskoplicht wurde ich in der Zwischenzeit höchstens im Theater – das Publikum auf zugewiesenen Plätzen sitzend – geblendet. Fremde teilen sich Wasserflaschen, die in den vordersten Reihen von den Security-Kräften verteilt werden und alle paar Sekunden berühren sich meine Schweißperlen mit denen einer fremden Person.
Mitreißend: Sasami
Einige Minuten dauert die Umstellung auf das alte Bekannte und wenig später schreitet der Support-Act Sasami auf die Bühne. Sängerin und Band, jeweils bestückt mit jenen Instrumenten, die beim Gedanken an Metal nicht fehlen dürfen: Gitarren, Bass und Schlagzeug – und alles berauschend laut sowie melodisch. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich hätte es nicht erwartet, aber ich werde schlagartig weggepustet vor Begeisterung.
Der Stapel von Harness, Mesh und Netz an Sängerin Sasami Ashworth, die beiden white Metal-Dudes mit langen Haaren, die man aus der eigenen überholungsbedürftigen Vorstellung kennt, und eine Person, von der man nur die Hände sieht, am Schlagzeug, spielen die Art von Rock, die ich als Teenie als genau die richtige Mischung empfand. Zudem haben Mitski und Sasami etwas gemeinsam, was mich als weiblich gelesene POC besonders stärkt: Indem Sasami das Genre des Metal auf selbstverständlichste Art und Weise in Anspruch nimmt und Mitski ihrem 2018er-Album den Titel »Be the Cowboy« verlieh, beleuchten sie die problematische Position und Arroganz alter weißer Männer, stellen sich entschieden selbst an deren Stelle und nehmen sich den Platz in der Aushandlung von Repräsentationen.
Der Gänsehaut ist spätestens bei Sasamis kniendem, nach hinten gelehnten Gitarrensolo nicht mehr zu entkommen. Mit einer faszinierenden Souveränität performt die Band ihre 40-minütige Setlist, die mit dem Stück »The Greatest« eröffnet wird, das melodietechnisch ein bisschen countryhaft angehaucht ist und sehr amerikanisch 90er-Jahre-mäßig klingt. Song für Song – so kommt es mir vor – klingen die Gitarren verzerrter, was sich beim dritten Titel »Sorry Entertainer« bereits unbestreitbar bemerkbar macht. Von nun an sind keine Fragen bezüglich des Genres mehr offen. Sympathisch und mit einer Gelassenheit, die kaum zu übertreffen ist, baut Sasami vor und nach jedem Lied auch noch einen ausgeklügelten, lockeren Witz ein und macht es somit dem Publikum schwer, sich nicht mitreißen zu lassen. Mitski-Fans sind hiermit erwiesenermaßen auch Sasami-Fans.
Mullets im Publikum
Auf Sasami folgt eine lange, aber freundliche Umbaupause. Freundlich, weil sie von heiterer Jazzmusik aus den Lautsprechern untermalt wird und der Raum hell genug ist, um sich ein wenig im Publikum umzusehen. Mir fällt auf: Überdurchschnittlich viele Mullets befinden sich um mich herum. Mitski-Hörer*innen sind queer, das wird mir nicht erst durch unsere Frisuren bewusst. Auch wenn Mitski selbst in Interviews nicht viel über eine eigene, möglicherweise queere Identität preisgibt, hat sie sich im Internet, vor allem auf Tiktok längst als Queer Icon etabliert, deren Hörer*innenschaft sich in Hinsicht auf ihren Stil stark an der Sad-Girl-Ästhetik der frühen 2010er-Tumbler-Jahre anlehnt – was in mir wohltuende Nostalgie auslöst. Aus diesem Grund hatte ich mich schon darauf vorbereitet, in diesem Konzertbericht meinen Heulstatus zu präsentieren, der – Achtung – so gut wie vollkommen ausgeblieben ist.
Immer wieder kursieren im Netz Gerüchte darüber, die »Laurel Hell«-Tour 2022 würde Mitskis vorläufig letzte sein. Wegen dementsprechenden Verlustängsten seitens der Fans – gepaart mit schlichter Vorfreude – war das Konzert im WUK, das letzten Herbst angekündigt wurde, innerhalb von kürzester Zeit ausverkauft. Die Monate vergingen und nun stehen wir ganz dicht vor-, neben- und hintereinander, Sekunden vom erträumten Moment entfernt, gespannt auf unser Idol. Bandmitglied nach Bandmitglied steigt zu Mitskis Stimme die Treppen herab auf die WUK-Bühne – bis die Sängerin selbst als Letztes hinzukommt.
Gefühlsweckende Power
»Love Me More« – energetischer kann ein Auftritt nicht beginnen. Mit dem 80er-Jahre-Synth-Sound des neuen Albums ist ein sicherer Start gegeben, der alle Anwesenden in seinen Bann zieht. Vor Kurzem meinte Mitski in einem Interview, dass ihre Ära der Traurigkeit mittlerweile vorbei sei, was, wie ich finde, aber nicht im Widerspruch zur gefühlsweckenden Power ihrer Lieder steht.
Auch »Laurel Hell« ist packend und schnürend, nur wird man nicht gleich offensichtlich in eine Schlucht des Gesehen- und Verstandenfühlens gerissen. Der Aussage des Interviews bleibt Mitsiki auf diesem Konzert jedenfalls treu: Songs der ersten beiden Alben – der besonders herzzerreißenden – fehlen vollkommen. Energiegeladen geht es weiter mit »Should’ve Been Me«, woraufhin abwechselnd weitere Titel von »Laurel Hell« sowie von »Be the Cowboy«, »Puberty 2« und »Bury Me at Makeout Creek« folgen. Das Publikum erweist sich durchgehend als textsicher. Als »Me and My Husband« anklingt, kommt es mir sogar so vor, als würde die Band für einen Augenblick davon übertönt werden.
Nach dem fünften Lied fällt mir auf, dass Mitski bis jetzt noch keine einzige Ansage gesprochen hat, was mir im ersten Moment als distanziert aufstößt. Nach einer Weile begreife ich: Ansagen würden die Performance stören. Die pantomimischen, ausdrucksvollen und sich abrupt wandelnden Tänze Mitskis verlören ihre Spannung, würden sie von Ansagen unterbrochen werden. Ihre Bewegungen wirken vollkommen bewusst und durchdacht, am Text und an Schlüsselmomenten der Melodien orientiert. In einem Moment fällt sie elegant auf den Boden in sich zusammen, im nächsten schluckt sie ein imaginäres Messer. Ihr Tanzstil ist geradezu geometrisch: Mitskis Haltung zeugt von einer anhaltenden Körperspannung und einem aktiven Spiel mit Geschwindigkeiten, die gegensätzlich sind zu den Beats der Musik. Dominant sind dabei die Handbewegungen, mithilfe derer sie, zusammen mit ihrer Mimik und Grimassen, einen pantomimischen Facettenreichtum an Emotionen zeigt.
Nun zu meinem persönlich liebsten Part des Auftritts: »Townie«, der Titel auf den ich mich – stelle ich erst vor Ort fest – berechtigterweise besonders gefreut hatte. Ach, es geht um die Hinterfragung und Rebellion gegen Autoritäten, es geht darum, sich in ein junges, unbändiges Leben zu stürzen. Die Stimmung ist logischerweise inspirierend. Und niederschmetternd, da rührend, wird es letztendlich doch noch, »I Bet on Losing Dogs« bringt mich den Tränen am nächsten. Möglicherweise ist das auch dem Charakter eines Mitski-Klassikers geschuldet, denn am enthusiastischsten singt das Publikum bei »Nobody« und »Washing Machine Heart« mit.
Abschied ohne Zugabe
Das Konzert endet heute nicht mit der altbewährten Zugabentradition, denn Mitski und die Band haben keine Lust, die Treppen hinter der Bühne rauf- und runterzurennen. Dies ist übrigens die erste Ansage des Abends – notgedrungen platziert vor dem allerletzten Song. Also gibt sie unsportlich, aber charmant ihre Unlust zu, und wir alle tun kurz so, als wären die Musiker*innen gerade nach hinten und wieder zurückgerannt. Der Abend endet mit »Two Slow Dancers«, ein tragender, ruhiger Song, wie der Titel verrät.
Meine Erwartungen wurden erfüllt, meine Vorstellungen getroffen. Ich gehe heute lächelnd mit dem Wissen, Mitski live gesehen und gehört zu haben, ins Bett und frage mich dennoch, wann wohl meine Trauer über das nun vergangene Konzert einsetzen wird.
Zum Schluss beantworte ich aber noch die wichtigste aller Fragen: Ja, Mitski und ich hatten kurz Blickkontakt.
(© Gerald Naber / nowayout.at)
Sasami (© Gerald Naber / nowayout.at)
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Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
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Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
Mitski (© Gerald Naber / nowayout.at)
Das Konzert von Mitski fand am 17. Mai 2022 im WUK in Wien statt. Der Support kam von Sasami.