Gänsehaut und Blickkontakt – Das war das ausverkaufte Konzert von Mitski im Wiener WUK

Dreieinhalb Jahre nach »Be the Cowboy« erschien heuer mit »Laurel Hell« das lang­ersehnte sechste Studio­album der Musikerin Mitski. Ihr Tourstopp in Wien war restlos ausverkauft.

© Gerald Naber / nowayout.at

Ich sitze gerade – einige Stunden nach dem Konzert – in der Küche und versuche, das eben Erlebte einzuordnen, den Abend zu rekapitulieren. Dabei gibt es leider einen Gedanken, der sich trotz meines Wider­willens andauernd in den Vorder­grund schlängelt: Wie unerwartet ungewohnt so ein Musik-Liveact nach mehreren Jahren der Pandemie doch ist. Aufgeregte Fanschreie hörte ich das letzte Mal vor über zwei Jahren und von Stroboskop­licht wurde ich in der Zwischenzeit höchstens im Theater – das Publikum auf zugewiesenen Plätzen sitzend – geblendet. Fremde teilen sich Wasser­flaschen, die in den vordersten Reihen von den Security-Kräften verteilt werden und alle paar Sekunden berühren sich meine Schweiß­perlen mit denen einer fremden Person.

Mitreißend: Sasami

Einige Minuten dauert die Umstellung auf das alte Bekannte und wenig später schreitet der Support-Act Sasami auf die Bühne. Sängerin und Band, jeweils bestückt mit jenen Instrumenten, die beim Gedanken an Metal nicht fehlen dürfen: Gitarren, Bass und Schlagzeug – und alles berauschend laut sowie melodisch. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich hätte es nicht erwartet, aber ich werde schlagartig wegge­pustet vor Begeisterung.

Der Stapel von Harness, Mesh und Netz an Sängerin Sasami Ashworth, die beiden white Metal-Dudes mit langen Haaren, die man aus der eigenen überholungs­bedürftigen Vorstellung kennt, und eine Person, von der man nur die Hände sieht, am Schlagzeug, spielen die Art von Rock, die ich als Teenie als genau die richtige Mischung empfand. Zudem haben Mitski und Sasami etwas gemeinsam, was mich als weiblich gelesene POC besonders stärkt: Indem Sasami das Genre des Metal auf selbst­verständ­lichste Art und Weise in Anspruch nimmt und Mitski ihrem 2018er-Album den Titel »Be the Cowboy« verlieh, beleuchten sie die problematische Position und Arroganz alter weißer Männer, stellen sich entschieden selbst an deren Stelle und nehmen sich den Platz in der Aus­handlung von Repräsentationen.

Der Gänsehaut ist spätestens bei Sasamis kniendem, nach hinten gelehnten Gitarren­solo nicht mehr zu entkommen. Mit einer faszi­nierenden Souveränität performt die Band ihre 40-minütige Setlist, die mit dem Stück »The Greatest« eröffnet wird, das melodie­technisch ein bisschen country­haft ange­haucht ist und sehr amerikanisch 90er-Jahre-mäßig klingt. Song für Song – so kommt es mir vor – klingen die Gitarren verzerrter, was sich beim dritten Titel »Sorry Entertainer« bereits unbe­streitbar bemerkbar macht. Von nun an sind keine Fragen bezüglich des Genres mehr offen. Sympathisch und mit einer Gelassen­heit, die kaum zu übertreffen ist, baut Sasami vor und nach jedem Lied auch noch einen ausgeklügelten, lockeren Witz ein und macht es somit dem Publikum schwer, sich nicht mitreißen zu lassen. Mitski-Fans sind hiermit erwiesener­maßen auch Sasami-Fans.

Mullets im Publikum

Auf Sasami folgt eine lange, aber freundliche Umbau­pause. Freundlich, weil sie von heiterer Jazzmusik aus den Laut­sprechern untermalt wird und der Raum hell genug ist, um sich ein wenig im Publikum umzusehen. Mir fällt auf: Überdurch­schnittlich viele Mullets befinden sich um mich herum. Mitski-Hörer*innen sind queer, das wird mir nicht erst durch unsere Frisuren bewusst. Auch wenn Mitski selbst in Interviews nicht viel über eine eigene, möglicher­weise queere Identität preisgibt, hat sie sich im Internet, vor allem auf Tiktok längst als Queer Icon etabliert, deren Hörer*innen­schaft sich in Hinsicht auf ihren Stil stark an der Sad-Girl-Ästhetik der frühen 2010er-Tumbler-Jahre anlehnt – was in mir wohltuende Nostalgie auslöst. Aus diesem Grund hatte ich mich schon darauf vorbereitet, in diesem Konzert­bericht meinen Heulstatus zu präsentieren, der – Achtung – so gut wie vollkommen ausge­blieben ist.

Immer wieder kursieren im Netz Gerüchte darüber, die »Laurel Hell«-Tour 2022 würde Mitskis vorläufig letzte sein. Wegen dement­sprechenden Verlust­ängsten seitens der Fans – gepaart mit schlichter Vorfreude – war das Konzert im WUK, das letzten Herbst ange­kündigt wurde, innerhalb von kürzester Zeit ausver­kauft. Die Monate vergingen und nun stehen wir ganz dicht vor-, neben- und hinter­einander, Sekunden vom erträumten Moment entfernt, gespannt auf unser Idol. Band­mitglied nach Band­mitglied steigt zu Mitskis Stimme die Treppen herab auf die WUK-Bühne – bis die Sängerin selbst als Letztes hinzukommt.

Gefühlsweckende Power

»Love Me More« – energetischer kann ein Auftritt nicht beginnen. Mit dem 80er-Jahre-Synth-Sound des neuen Albums ist ein sicherer Start gegeben, der alle Anwesenden in seinen Bann zieht. Vor Kurzem meinte Mitski in einem Interview, dass ihre Ära der Traurigkeit mittlerweile vorbei sei, was, wie ich finde, aber nicht im Wider­spruch zur gefühls­weckenden Power ihrer Lieder steht.

Auch »Laurel Hell« ist packend und schnürend, nur wird man nicht gleich offen­sichtlich in eine Schlucht des Gesehen- und Verstanden­fühlens gerissen. Der Aussage des Interviews bleibt Mitsiki auf diesem Konzert jedenfalls treu: Songs der ersten beiden Alben – der besonders herz­zerreißenden – fehlen voll­kommen. Energie­geladen geht es weiter mit »Should’ve Been Me«, woraufhin abwechselnd weitere Titel von »Laurel Hell« sowie von »Be the Cowboy«, »Puberty 2« und »Bury Me at Makeout Creek« folgen. Das Publikum erweist sich durchgehend als textsicher. Als »Me and My Husband« anklingt, kommt es mir sogar so vor, als würde die Band für einen Augen­blick davon übertönt werden.

Nach dem fünften Lied fällt mir auf, dass Mitski bis jetzt noch keine einzige Ansage gesprochen hat, was mir im ersten Moment als distanziert aufstößt. Nach einer Weile begreife ich: Ansagen würden die Performance stören. Die pantomi­mischen, ausdrucks­vollen und sich abrupt wandelnden Tänze Mitskis verlören ihre Spannung, würden sie von Ansagen unterbrochen werden. Ihre Bewegungen wirken vollkommen bewusst und durchdacht, am Text und an Schlüsselmomenten der Melodien orientiert. In einem Moment fällt sie elegant auf den Boden in sich zusammen, im nächsten schluckt sie ein imaginäres Messer. Ihr Tanzstil ist geradezu geometrisch: Mitskis Haltung zeugt von einer anhaltenden Körper­spannung und einem aktiven Spiel mit Geschwindig­keiten, die gegensätzlich sind zu den Beats der Musik. Dominant sind dabei die Hand­bewegungen, mithilfe derer sie, zusammen mit ihrer Mimik und Grimassen, einen pantomi­mischen Facetten­reichtum an Emotionen zeigt.

Nun zu meinem persönlich liebsten Part des Auftritts: »Townie«, der Titel auf den ich mich – stelle ich erst vor Ort fest – berechtigter­weise besonders gefreut hatte. Ach, es geht um die Hinter­fragung und Rebellion gegen Autoritäten, es geht darum, sich in ein junges, unbändiges Leben zu stürzen. Die Stimmung ist logischer­weise inspirierend. Und nieder­schmetternd, da rührend, wird es letztendlich doch noch, »I Bet on Losing Dogs« bringt mich den Tränen am nächsten. Möglicher­weise ist das auch dem Charakter eines Mitski-Klassikers geschuldet, denn am enthusias­tischsten singt das Publikum bei »Nobody« und »Washing Machine Heart« mit.

Abschied ohne Zugabe

Das Konzert endet heute nicht mit der altbewährten Zugaben­tradition, denn Mitski und die Band haben keine Lust, die Treppen hinter der Bühne rauf- und runter­zurennen. Dies ist übrigens die erste Ansage des Abends – notgedrungen platziert vor dem allerletzten Song. Also gibt sie unsportlich, aber charmant ihre Unlust zu, und wir alle tun kurz so, als wären die Musiker*innen gerade nach hinten und wieder zurück­gerannt. Der Abend endet mit »Two Slow Dancers«, ein tragender, ruhiger Song, wie der Titel verrät.

Meine Erwartungen wurden erfüllt, meine Vorstellungen getroffen. Ich gehe heute lächelnd mit dem Wissen, Mitski live gesehen und gehört zu haben, ins Bett und frage mich dennoch, wann wohl meine Trauer über das nun vergangene Konzert ein­setzen wird.

Zum Schluss beantworte ich aber noch die wichtigste aller Fragen: Ja, Mitski und ich hatten kurz Blickkontakt.

Das Konzert von Mitski fand am 17. Mai 2022 im WUK in Wien statt. Der Support kam von Sasami.

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