Kultur-Aktivist Günther Friesinger hat Freude an Struktur und Zahlen

Günther Friesinger ist Künstler, Kurator und Produzent – mit seinem organisatorischen Talent und seinem Know-how über Finanzierungen ist er aber vor allem auch jemand, der anderen Projekte erst ermöglicht.

Finanzierungsmix

Bei der Finanzierung setzt er auf einen Mix aus öffentlichen Förderungen und privaten Sponsoren. »Als Kulturmanager gehört es dazu, sich um öffentliche Gelder zu bemühen – warum auch nicht, so lange es noch Geld für die freie Szene gibt. Wir arbeiten aber auch ständig mit Sponsoren.« So konnte er etwa mit dem Festival für digitale Kunst Paraflows 2013 mit dem Thema »Open Culture« den Bank Austria Kunstpreis gewinnen und hat die Bank seitdem als Förderer an Bord. In anderen Ländern wie den USA, wo Günther mit Johannes Grenzfurthner die Arse Elektronika, ein Festival zum Thema Sex, Pornographie, Science Fiction und Technologie veranstaltet, klappt die Finanzierung teilweise auch komplett über Eintritte. Für das in der Steiermark stattfindende Festival Komm.st gibt es eine Mischfinanzierung aus Förderungen von Gemeinde, Land und Bund, Eintritten und rund 50 in erster Linie lokalen Klein-Sponsoren »vom Fleischhacker bis zum Installateur«.

das weisse haus: Paraflows 2013 Ausstellung (Eröffnung, 12.9.2013) http://esel.cc/pf8_exhibit | Foto: http://eSeL.at

Wissen zurückgeben

Mit dem Wissen und der Erfahrung aus den vergangenen mehr als 20 Jahren ist Günther Friesinger einer der kompetentesten Ansprechpartner im Bereich von Organisation und Finanzierung im Kulturbereich. Das macht ihn zu einer gefragten Person, die viele Anfragen bekommt, Events, Bücher, Kulturreisen und andere Projekte mit seinem Know-how zu unterstützen. »Ich hätte damals bei McKinsey bleiben können und ein Jahr rausgehen, um Unternehmen zu schlachten und dann ins Management einzusteigen. Es war für mich – Günther teilt sich den 4. Mai als Geburtstag mit ‚Star Wars‘ – eine Entscheidung zwischen der dunklen und der hellen Seite der Macht. Ich wollte mein Wissen verwenden für Projekte und Menschen, die ich spannend finde.« Für ihn hört das nicht bei seinem Wissen über die Förderlandschaft auf, sondern er findet es mehr denn je nötig, auch in der Finanzierung querzudenken, sei es mittels Crowdfunding oder anderen Modellen. Und, ja, nicht im Sinne eines Verkäufers, der jemandem etwas andrehen will, aber als Ermöglicher von Dingen und Geschichtenerzähler empfindet er durchaus Lust daran, zu verkaufen und Geschichten zu entwickeln, die Projekte ermöglichen. »Ich hatte mit meinen Projekten immer viel Glück und nun geht es für mich auch darum, etwas zurückzugeben – Offenheit ist mir wichtig und man hat die Aufgabe, auf Wissen nicht nur zu sitzen.« Deswegen hat er im Rahmen der IG Kultur das Kulturinfoservice gegründet und drei Broschüren zu den Themen Finanzierung, Kulturveranstaltungen und Vereinsorganisation herausgegeben, die dort frei beziehbar sind: »In diesen drei Heften steckt ein Großteil meines Wissens.« Ein Engagement, das neben der Auszeichnungen für seine Werke und Projekte immer wieder auch zu anderen Preisen führt. 2013 bekam er den FWF-Kunstpreis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und den Förderungspreis der Stadt Wien – zu seiner besonderen Freude für Volksbildung.

Essen als öffentliche Person

Facebook nutzt er intensiv – aber kontrolliert. Man erfährt nur Dinge, die zur öffentlich Person passen. Und so schwer die Trennung von privaten und beruflichen Vorlieben und Interessen bei ihm sein mag, so wenig wird man über wirklich Privates hier lesen. »Ich ziehe hier klare Grenzen – aber kochen interessiert mich tatsächlich. Essen und Wein und Kunst und Kultur gehören für mich zusammen. Essen gehört zur öffentlichen Person.« Aufgrund einer Histamin-Unverträglichkeit musste er seinen Lebensstil ändern und hat begonnen, sich mit Ernährung auseinanderzusetzen. Auch Ökologie spielt hier eine große Rolle, was soweit geht, dass er zwei Saisonen selbst ein Feld bestellt hat. Fleisch kauft er nun bei einem Hof, der das Tier erst tötet, wenn jedes Teil davon einen fixen Abnehmer hat. Er spielt damit, Likes zu bekommen auf Essensbilder. Klare (partei-)politische Ansagen darf man sich von ihm hier selten erwarten. Auch weil er beobachten musste, wie der realpolitische Alltag Menschen mitunter schnell zum schlechteren verändert, tätigt er diese großteils lieber in anderen Zusammenhängen. Er bezeichnet sich selbst als linkslinks, wünscht sich einen linken Sozialstaat und sieht die derzeitige Kulturförderung etwa deswegen kritisch, weil viel Geld für Vorhandenes und Historisches da ist, aber wenig für Zeitgenössisches. »Das war schon mal anders, als eine Generation vor mir davon leben konnte, zeitgenössische Künstler zu sein. Das war eine Generation, die es sich leisten konnte, Verkaufen blöd zu finden.« Dabei heißt Verkaufen auch Interesse, Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Seine Reaktion darauf ist aber nicht einfach die Forderung nach mehr Geld, sondern er entwickelt Ideen für die Zusammenarbeit von etablierten Häusern mit jungen Künstlern und freien Szenen: »Man braucht die Stars von morgen und die kann es nur geben, wenn man ihnen die Möglichkeiten gibt.«

Prioritäten für Atheisten

In diesem Sinn ist es Günther wichtig, dass man vom Kunst machen und Projekte durchführen auch leben kann. Es geht darum, nicht einen anderen Job machen zu müssen, um diese Dinge dann in der Freizeit zu machen. Er selbst muss oder will Anfragen auch immer wieder absagen. Etwa, wenn er das Gefühl hat, dass es uninteressant ist oder es schon Vergleichbares gibt. Seit 30 Jahren trägt der Mode- und Markenverweigerer mit dem auffallenden Bart und einem Hang zu Uniformität – »15 gleiche T-Shirts und zehn gleiche Hemden machen das Anziehen am Morgen einfach ziemlich entspannt« – in erster Linie schwarz. Er wirkt, wenn man ihm begegnet, ausgeglichen und ruhig, räumt aber auch ein, schon mal mit Leuten aneinanderzugeraten. Als Projekt- und Finanzverantwortlicher gehöre es dazu, dafür sorgen zu müssen, dass Unterlagen komplett sind oder Aufgaben rechtzeitig erledigt werden. Zusätzlich zu dem schönen Erlebnis, Ideen und Projekte gemeinsam mit anderen Menschen zu realisieren, sieht er vieles generell positiv: »Ja, ich habe eine grundsätzlich sehr positive Lebenseinstellung. Nach einem Burnout habe ich meine Prioritäten neu geordnet und mich neu aufgestellt. Als Atheist glaube ich an nicht mehr als ein Leben und diese Zeit gilt es zu nützen … und ich musste wiederholt erkennen, dass wir als Menschen sehr unbedeutend sind und unser Einfluss, die Welt zu verändern, mitunter sehr klein ist. Das hat mir aber eine große Freiheit gegeben, denn man kann sehr entspannt arbeiten, wenn man nicht unbedingt mit jeder Aktion die Welt verändern muss. Ich habe für mich definiert, wie ich arbeiten möchte und ein Projekt, dem ich mich widme, muss zwei von drei Eigenschaften haben: Es muss mir Spaß machen, es muss mich intellektuell abholen und es muss mich finanzieren.«

Johannes Grenzfurthner, Charlie Poulon und Günther Friesinger im Rahmen der Roboexotica © Pia Streicher

Kein Überblick

Neben schwer überschaubaren vielen anderen Geschichten, ist Günther Friesinger maßgeblich an diesen Projekten beteiligt:

Monochrom

Die 1993 gegründete Künstlergruppe agiert von Wien aus international und verbindet ihr Interesse an Kunst, Technologie und Philosophie mit der Lust daran, Dinge zu hinterfragen. Zu den bekanntesten Projekten gehören Musical (»Udo77«), Kunstaktionen (»Blutwurst aus Eigenblut«, die Erfahrung, sich lebend beerdigen zu lassen oder die Möglichkeit, Kreative wie Escorts auf Zeit zu mieten), Festivals, Theaterstücke, Filme (»Traceroute«) oder auch Computerspiele (»Sowjet Unterzögersdorf 1 und 2«).

IG Kultur Wien

Die IG Kultur Wien ist die Interessengemeinschaft und -vertretung der freien und autonomen Kulturarbeit in Wien und definiert sich als Serviceeinrichtung für freie kulturelle Organisationen, Kulturinitiativen, Kulturschaffende und KünstlerInnen. Besonders wichtig ist dabei Kultur im Zusammenhang mit politischen und sozialen Kontexten und, dass Projekte und Initiativen versuchen, aktiv mitzugestalten. Teil dieser Aufgabe ist auch der permanente Austausch und Diskurs mit den zuständigen Personen in Politik und Verwaltung.

Paraflows

Paraflows ist ein seit 2006 jährlich im Herbst stattfindendes Festival für digitale Kunst und Kulturen. Es bietet Ausstellungen, Symposien, Workshops, Filmreihen und Konzerte und neben Günther Friesinger sind mittlerweile im Ausstellungsbereich Judith Fegerl, im Symposiumsbereich Jana Hwerwig und Judith Schoßböck, im Filmbereich Thomas Ballhausen und im Konzertbereich Andreas Stoiber Teil des Projekts.

Komm.st

Komm.st hat es sich seit 2011 zum Ziel gesetzt »neue Kunst an alte Orte zu bringen«. Die oststeirische Region Anger-Puch wird alljährlich mit Theaterstücken, die eigens dafür geschrieben wurden und in Gasthäusern aufgeführt werden bespielt, darüber hinaus gibt es Ausstellungen und Begegnungen mit Kunstschaffenden, Designern oder auch Roboterbauern. Veranstaltet wird Komm.st neben Günther Friesinger vom Musiker Georg Gratzer und seinem Bruder, dem FM4- und Facebook-Unterhalter Roland Gratzer. Komm.st 2017 findet noch bis zum 27. Mai statt.

Edition Mono

Monochrom erschien in den Anfangsjahren als Fanzine-Kompendium. Das damit gesammelte Know-how im Bereich Publishing hat Monochrom schnell auch anderen zur Verfügung gestellt. Ein Wirkungsbereich, den irgendwann folgerichtig Günther Friesinger übernommen hat und in den letzten Jahren viele, viele Bücher wie »Digital Migration«, »Linked Open Data: The Essentials« oder auch »Intimacy« herausgegeben hat.

ReVersed

Nachdem Monochrom gemeinsam mit Verse Publications den Ableger eines Londoner Gamefestivals nach Wien brachte, kommt nun im Juli ein neues, eigenes Gamesformat, auf dem Entwickler selbst ihre Projekte vorstellen, begleitet von einem Game-Jam und Streams.

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