Laberl, Laberl, Laberl

Dem Burger ist derzeit beim besten Willen nicht zu entkommen. Das ist einerseits nicht verwunderlich, andererseits aber schon. Immerhin steht fest: der Burger ist die Quintessenz von Pop. Eine Verfressung der Welt zwischen Fastfood und Foodart, Antiamerikanismus und Genre-Beschichtung.

Burger sind Elvis, Hasselhoff und Putin

Weil: Burger, das ist Amerika. Das ist die Kuh, der Cowboy, das weite Land, das Lagerfeuer, der Drive-In im Nirgendwo, der Diner im Großstadtgewusel. Das ist Kennedy und Nixon, Bush und Obama. Und genau das, also Amerika und seine Ikonen, ist die Grundlage aller mitteleuropäischen Popkultur als etwas, das man sich zwar vorstellen kann, aber eben nur vorstellen, weil es schlicht zu weit weg ist, oder zumindest zu seltsam. Elvis ist zwar nicht, wie die hartnäckige Legende besagt, beim Burgeressen gestorben, aber doch vom Burgeressen ziemlich seltsam geworden (was wohl auch daran lag, dass er sich seine Buns gern mit Erdnussbutter beschmieren ließ), David Hasselhoff in ähnlicher Pose immerhin zur tragikomischen Figur. Zwei amerikanische Helden, ein amerikanisches Gericht, tausend Geschichten. Burgeressen ist immer auch ein Stück weit politisches Statement.

Und hat deshalb gerade heute einen schwer einzuschätzenden, aber nicht zu unterschätzenden Beigeschmack: Der Sommer 2014 ist wirklich eine seltsame Zeit für einen Burgerboom in good ol’ Austria, wo sich doch justament gerade eben ein offenbar tief sitzender Antiamerikanismus wieder an die Oberfläche (der üblichen Online-Foren, Leserbriefecken und Biergespräche) traut, spärlich verkleidet als Parteinahme für den russischen Machthaberer Putin, der sich seine ukrainische Nachbarschaft ja wohl bitteschön wirklich nicht vom CIA wegputschen lassen muss. Amerika, das muss man mögen. Mag man aber offenbar nicht zwangsläufig, wenn man ehrlich ist. Burger dagegen überraschenderweise schon, aber Hunger kennt nun einmal keine Schizophrenie. Argumentieren kann er aber auch nicht. Wenn es ums Fleischessen geht, wird alles relativ. Darum hat auch jeder seinen ganz eigenen Lieblingsburger und weiß insgeheim natürlich ganz genau, dass es sich um eine x-beliebige Ansage handelt, weil jeder bessere Burger der beste Burger sein kann. Es kommt nämlich weniger aufs Fleisch, seine Grillaromen oder Garstufe an, sondern um den Verzehr desselben und dessen Kontext: guter Abend, fantastische Begleitung, großer Spaß – bester Burger. Mieser Tag, idiotengespickte Termine, großer Frust – detto. Der Burger ist in diesem Sinne – und dabei interessanterweise viel effektiver als zum Beispiel Erbsensuppe – ein leeres Zeichen, und als solches absolut wendig, in aller Fülle eine durchaus beliebig befüllbare Hülle, sprich: Pop in Reinform. Und dabei auch noch medienästhetisch extrem weit vorn.

Burger sind Post-Internet

Burger sind Post-Internet-Kultur in an nutshell, beziehungsweise im Brötchen. Denn auch wenn man es von außen nicht immer sieht: im Kern türmt sich da Schicht auf Schicht auf Schicht von durchaus unterschiedlicher Natur, Textur und Temperatur: Fleisch auf Sauce auf Käse auf Salat auf Tomate auf Zwiebel auf Speck, weich auf knusprig auf flüssig, heiß auf kalt auf lauwarm. Vergleiche: Popkultur anno 2014, wo sich ja auch im besten Fall Schicht auch Schicht türmt, beziehungsweise, in Popbegriffen: Genre auf Genre, Meme auf Meme, historische Wurzel auf geografische Ausrichtung, Revival auf Zitat, ohne dass dabei zu viel Gedanken auf die neuen Medien verschwendet würden, die diese Vielfalt erst ermöglicht haben, weil sie eben keine neuen Medien mehr sind, sondern ganz normal und irgendwie schon fast natürlich. Deshalb ja auch: Post-Internet. Die besten Burger schmecken nach einem Diplo-Tape oder James Bridles New-Aesthetic-Tumblr. Weil ein Burger eben kein Eintopf ist, in dem alles blind durcheinanderschwimmt, und schon gar keine Pizza, auf der alles schön offensichtlich nebeneinanderliegt, sondern eben: eine Konstruktion aus Schichten, die mal getrennt liegen, mal ineinanderfließen und erst im Querschnitt wirklich sinn- beziehungsweise geschmacksstiftend sind. Der Burger ist, man muss das so deutlich sagen, eine Chiffre. Für Pop, wie wir ihn heute verstehen und konsumieren.

Burger sind die differance

Es ist natürlich auch kein Zufall, dass der prototypische Post-Genre-Film, nämlich Quentin »Burgerfresse« Tarantinos »Pulp Fiction«, relativ zentral ums Burgerbequatschen kreist. Eine besonders berühmte Szene – Travolta und Jackson analysieren auf einer Autofahrt die differance zwischen Quarter Pounder und Hamburger Royal beziehungsweise jene zwischen Big Mac und Le Big Mac – enthält alle wesentlichen Zutaten der Burger-Chiffre: Burger definieren Kulturen und deren Grenzen und sind dabei, kulturübergreifend, Glaubenssache: Man kann ewig darüber fachsimpeln, und am Schluss weiß jeder: mein Burger ist der echte Burger, mein Gott der echte und einzige. Hauptsache, es ist genug Fleisch drin. Kein Zufall auch, dass das erste wirklich virale Video der Bewegtbildgeschichte – du darfst ruhig auch Meme dazu sagen – aus der Burgerwerbung stammt. Es handelt sich um den ausgesprochen legendären 1984er Wendy’s-Werbespot, in dem drei alte Damen einen karikierten, eher brötchenlastigen McDonald’s-Burger betrachten und die naheliegende Frage stellen: »Where’s the beef?«

Na und – wo ist das Fleisch nun? Na überall. Am Donaukanal. In der Musik. In der Kunst. In den Texten von Action Bronson zum Beispiel, oder, etwas bildlicher, in den Food-Designs von Fat and Furious Burger, dem sehr empfehlenswerten Blog zweier französischer Grafikdesigner, die Burger in den schicksten Outfits und seltsamsten Kontexten inszenieren, als schwarzweißen Yin-und-Yang-Burger, als dicklippiges, blondes Burgirl, als ziemlich explosiven Boom Burger oder als streng ondulierten Thatcher Burger (»margaret duck, old granny smith, raifortme sauce, parliament rapping, big sauerkaut, spinach«). Der aktuelle Wiener Burgerboom ist also, alles in allem, nur logisch und unvermeidlich. Denn nur der Burger ist alles und überall, weil er, seinem amorphen, organischen, digitalen, verwirrenden Wesen nach, überall alles sein kann. Auch jenseits des Kanals.

Bei der Herstellung dieses Texts kamen keine Rindviecher zu Schaden.

Bild(er) © Cover-Illustration: Claire Paq / Fat and Furious Burger / wallpaperswa.com / Habern bzw. Jasmin Baumgartner
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...