Während mit dem Tod von Lauren Bacall vor zwei Monaten der letzte Alt-Hollywood-Glamour verblasst ist, entwickelt sich im UK eine neue Riege an Diven. Ihre Königin heißt Jessie Ware.
Sie waren wunderschön, geheimnisvoll, irgendwie unnahbar, stark und supertalentiert. Sie hießen Katherine Hepburn, Ava Gardner und Greta Garbo. Es begleitete sie diese besondere Aura. Ein paar Jahrzehnte später wurden diese perfekt frisierten Film-Grazien dann vom Typ „Mädchen von nebenan“ abgelöst. Diese schafften es wenig überraschend nicht, eine solche Faszination hervorzurufen. Einen kleinen Hype vielleicht, aber es funkte nicht so richtig. Die Diva war jedenfalls tot.
Lang lebe die Diva. Nein, die Rede ist nicht von nostalgisch das alte Hollywood anschmachtenden Starlets wie Lana Del Rey. Diese hat diesen Retro-Americana-Chic anfangs zwar ganz gut und glaubhaft interpretiert, aber erstens zieht die Show wohl nur einmal, zweitens ist sie eher der Typ Lolita mit ein paar gravierenden Daddy Issues. Was heißt eher – ist sie, Punkt. Wo sind sie also, die neuen, die modernen, die starken Diven?
Divenschmiede UK
In Großbritannien zum Beispiel. Geprägt von Schlechtwetter und Understatement hatten sich in den letzten Jahren immer mehr bemerkenswerte Frauen an die Spitze der europäischen Charts gehantelt. Los ging das alles wahrscheinlich mit Adele und ihrer Hitsingle „Rolling In The Deep“. Das war 2011 und irgendwie neu. Irgendwie anders, weil authentisch, obwohl es doch alles andere als minimalistisch aufbereitet war. Diese Stimme! Im Jahr darauf folgte ihr Schulfreundin Jessie Ware mit dem Debütalbum „Devotion“ nach. Spätestens da war es um alle geschehen. Auch um die, die Adele noch widerstehen konnten. Diese Ausstrahlung! Diese Songs! Diese Stimme! Sade fiel in so ziemlich jeder Review. Sie bewegte sich zwischen lupenreinen Pop-Balladen, R’n’B und Soul und war dabei so grazil, als würde sie Klassik machen.
Kein Sex, bitte
Jetzt ist mit „Tough Love“ das zweite Album der 30-jährigen Londonerin erschienen und es ist einfach noch besser. Der schwierige Zweitling, jaja. Jessie Ware lacht. Wieder steht ihre Stimme scheinbar mühelos im Mittelpunkt, der Titelsong treibt diese sogar eine Oktave höher als gewohnt. Sie wirkt wieder unendlich vornehm, auch in echt. Langes, dunkles Haar, oft streng frisiert, kräftige Augenbrauen, großer Ohrschmuck, meistens elegant und in schwarz gekleidet. Sie ist das genaue Gegenteil der US-Pop-„Diven“, die immer auch ein bisschen bitchy daherkommen müssen. Im UK braucht man einen derart offenherzigen „Sex sells“-Stempel nicht. Auch keine Songs über Ärsche. Man denke wieder an Adele und an Sade, an Katy B und Anna Calvi, um ein paar zu nennen.
Einfach ja
Es ist nicht das allzu komplizierte Songwriting, das „Tough Love“ zu einem großartigen Album macht, auch nicht seine besondere Originalität. Es gibt keine Spielereien, keine aufregenden Rap-Parts. Es birgt wirklich keine großen Überraschungen. Es sind einfach 15 soulige Pop-Songs, die man gesammelt und in dieser Qualität wohl nicht mehr so schnell auf einem Album finden wird. „Tough Love“ will also nichts beweisen und das muss es auch nicht. i>The Independentbeschreibt es perfekt: „It’s not an album that fights for your attention, but one that knows it doesn’t have to try.“ Ja. Einfach ja.
"Tough Love" ist bereits via Universal Music erschienen. Die Autorin schwärmt auch auf Twitter von Jessie Ware: @nicole_schoen.