Wie man Anti-Fame manifestiert und nebenbei Millionen macht. Sia Furler zieht es vor, kein Promi zu sein. Obwohl sie könnte.
Wenn einem der Name Sia was sagt, ist man entweder a) ziemlich cool und kennt "Breathe Me", das alle heiligen Zeiten im Fernsehen, von Six Feet Under bis hin zu Familien im Brennpunkt, in unfassbar dramatischen Heulkrampf-Szenen verwurschtelt wird, oder b) ein Guetta-Proll, der "Titanium" oder "She-Wolf" auf seinem Lieblings-Kontor-Sampler hat und das auch gerne mal via Autoradio unschuldigen Fußgängern zu verständigen gibt. Über beides kann man sich streiten, über Sia aber nicht. Die ist nämlich für ungefähr die Hälfte an Pop-Großartigkeiten der letzten Jahre verantwortlich, will das aber nicht so recht zugeben.
Wenn einem die gesamte A-List zu Füßen liegt, ist es schwer nein zu sagen. Vor allem, wenn man seit einer gefühlten Ewigkeit versucht, im Musikbusiness Fuß zu fassen und das, selbst nach fünf Studioalben, nicht so wirklich klappen will. Ganz zu schweigen von der übervollen Schublade mit abgelehntem Material, die da entstanden sein muss. Viel Frustration, die bei der 38-jährigen Australierin in Alkoholismus und Tablettensucht resultierte. Um dem zu entkommen, hat sie sich offenbar vorgenommen, leer wirkende Popstar-Hüllen mit etwas mehr Persönlichkeit zu infizieren.
Der Sia-Effekt
Nach besagten Eskapaden mit David Guetta, die sicherlich auch ohne viel Wumms gut funktioniert hätten, fand sich mit Christina Aguilera der erste Mainstream-Pop-Act, für die Frau Furler an Songs arbeitete. Dabei entstanden ein paar relativ anhörbare Stücke – der große „Klingt-nach-Sia“-Effekt, der sie zur begehrtesten Songwriterin der Industrie machte, setzte allerdings erst Ende 2012 ein, als eine gewisse barbadische Sängerin über Diamanten im Himmel sang und damit nicht gerade unerfolgreich war. Was folgte waren Singles für Ne-Yo, Rita Ora und Nikki Williams. Letztere blieb zwar eher unbemerkt, Zeilen wie "don’t know what I should do – kill, fuck or marry you" bleiben trotzdem irgendwie witzig und die Kelly-Clarkson-Brüll-Momente sind auch ganz ordentlich. Stellt euch mal vor, Kelly Clarkson wäre mit sowas gekommen. Oder Pink. Hätte gut werden können.
Wer jetzt noch immer kein Stück vom Kuchen haben wollte, musste ohne Sia-Track auf seinem Album auskommen und das war 2013 ganz und gar nicht en vogue. Das gesamte weibliche Popstar-Kollegium hat sie mittlerweile durch, von Britney über Katy bis Beyoncé – alle bekamen einen von ihr geschriebenen Song abgetreten. Und das hört man meistens raus. Man nehme: Mid-Tempo-Beat, Melodien mit einer guten Portion Bombast, die wirken als würden sie irgendwohin emporsteigen (am besten mit schön lange ausgehaltenen Tönen, steigert die Dramatik), sensationell eingängige Hooks und Metaphern-geschwängerte Lyrics, die sich auf irgendeine Weise mit Befreiung, Selbstfindung, Liebe und so Zeugs befassen.
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Der Witz an der Sache ist aber, dass es scheinbar keine Vokalistin der Welt schafft, auf von Sia geschriebenen Songs nicht zu klingen wie Sia. Und ihr Gesangsstil ist ohne Frage sehr distinktiv. Wir gehen jetzt mal davon aus, dass die Interpreten immer erst die Sia-Demo zu hören bekommen, und es danach als schier unmöglich empfinden, das Stück auch nur ansatzweise anders zu trällern. Nicht mal Celine Dion kriegt das hin. Faszinierend as fuck, und spricht natürlich sehr für Miss Ich-will-keinen-Fame.
All eyes on jemand anders, bitte
Nebenher findet sie noch Zeit um mit namhaften Leuten wie Diplo, The Weeknd, Eminem und Angel Haze zu arbeiten, wird auf den Soundtracks zu Catching Fire und The Great Gatsby gefeatured und ist Covergirl für das Billboard Magazine. Mehr oder weniger. Warum also das große Rampenlicht meiden? Sia selbst meint, wenn man weiß, was Ruhm bedeutet, will man ihn nicht mehr. Hm. Solange ihr musikalischer Output weiterhin überdurchschnittlich gut ist, ist uns das herzlich egal. Soll sie doch.
Nichtsdestotrotz bleibt die Frage, was mit allen Tracks passiert, die zu anspruchsvoll für Rihanna und den Rest waren. Die Antwort: Sie veröffentlicht sie selbst. "Chandelier", ihre erste eigene Single seit Jahren, feierte nun Premiere und vereint all das, was ihren Schreibstil eben so einzigartig macht. Ganz großes Kino. Für 2014 kündigte Sia ein neues Album unter RCA an. Allerdings nur unter der Voraussetzung, auf jegliche Art von Promotion, Interviews und Touring scheißen zu dürfen. Anti-Fame halt.
Das sechste, noch unbetitelte Studioalbum von Sia erscheint voraussichtlich im Sommer, diesmal höchstwahrscheinlich mit medialer Beachtung. "Chandelier" kann man noch diese Woche vorbestellen.