Mensch, sind die adrett, diese drei werten Herren aus Manchester. Sitzen aufmerksam da, tragen superfesche braune Tweed-Anzüge mit burschikosen himmelblauen Hemden darunter und treten dem Indie-Pack auf dem FM4-Geburtstagsfest dabei vor lauter Charme fast unbemerkt auf die zappelnden Füße.
Und zwar weil sie es können. Es ist ja so, dass Delphic nach dem Release ihrer ersten Single „Counterpoint“ in der schwer berüchtigten und viel zitierten BBC „Sound of 2010“ Newcomer-Poll auf dem dritten Platz auftauchten – nach Ellie Goulding und Marina and the Diamonds. Die ganze Welt schien damit d’accord zu sein – wer will sich denn auch mit der BBC anlegen? Eben. Jedenfalls brachte diese Nominierung Delphic jede Menge Hype, Ruhm und überraschenderweise mit „Good Life“ auch den offiziellen Soundtrack zu den Olympischen Sommerspielen in London letzten Jahres.
Dass davon Ehrgeiz und Ego mächtig in die Breite gehen, lässt sich da eigentlich schwer anzweifeln, und obwohl Delphic in Interviews immer wieder anständig betonen, dass sie in ihrer glorreichen Laufbahn nichts anders gemacht hätten, hätte ihnen die BBC vor zwei Jahren nicht dazwischengefunkt, beweist das neue Album „Collections“ doch eher das Gegenteil. Dieses strotzt nämlich vor Pomp, Selbstbewusstsein und Perfektionismus.
Gute Popmusik, die sich beispielsweise am stimmlichen Mut von Rihanna und an den beinah über-produzierten Songs von Kanye West orientiert, darf man nämlich mittlerweile wieder unbesorgt machen. Wenn dann doch noch jemand mit Mainstream-Vorwürfen daherkommt, dann behauptet man einfach, dass das ein musikalisch wertvolles Statement gegenüber der vorherrschenden Indie-Tyrannei darstellt und vollkommen beabsichtigt war. Delphic tun das zumindest. Und man kauft es ihnen ab. Ob das mitunter am sexy Akzent und dem herrlich sarkastischen Humor von James Cook, Richard Boardman und Matt Cocksedge liegt – man weiß es nicht. Vielleicht lässt sich dies im folgenden Interview ohne Bild, Ton und Englisch aber auch ein wenig objektiver beurteilen.
„Collections“ ist ausgesprochen beeindruckend. Es ist stark, laut und auf eine gute Art prätentiös.
Matt: Sag ruhig weiter nette Dinge.
Richard: Auf eine gute Art prätentiös – finde ich gut.
Also – was ist passiert?
Matt: Warum ist alles schiefgelaufen (lacht)? Nein, ich denke, es ist einfach unser natürliches Bedürfnis, uns zu verändern. Wir wollten kein zweites „Acolyte“ machen. Wir wollten uns als Band generell wandeln und es scheint uns unverständlich, wie manche Kollegen das nicht wollen können. Oder wie sie das alleine schon physisch nicht tun können.
Richard: Wir denken uns, dass, wenn jemand „Acolyte“ hören will, dann sollen sie sich keinen Zwang antun und die Platte auflegen. Sie werden das, was auf dem ersten Album ist, auf „Collections“ jedenfalls nicht mehr wiederfinden.
Hatte das auch etwas mit den neuen Producern Ben Allen und Tim Goldsworthy zu tun? Haben die euch in diese „Sonic-Hugeness“-Richtung gepusht?
Matt: Wir haben die neuen Producer erst gewählt, nachdem wir beschlossen haben, unseren Sound zu verändern. Als wir das erste Album mit Ewan Pearson gemacht haben, dachten wir noch, wie großartig es wäre, auch alle weiteren mit ihm zu machen, da wir ihn als Mensch, Musiker, Producer und DJ lieben. Es wäre aber nicht richtig gewesen, da wir uns mittlerweile in einer völlig anderen Welt befunden haben. Die neuen Producer haben diesen Wandel reflektiert.
James: Die ursprüngliche Idee hinter „Collections“ war es, es Musikern wie Björk oder Kanye gleichzutun, die für jeden Song einen anderen Producer hatten.
Matt: Wir hätten auch mit fünf oder sechs verschiedenen Producern arbeiten können, aber Ben und Tim haben eigentlich alles Notwendige mitgebracht.
Viele Bands sagen ja, sie wollen sich neu erfinden. Ihr habt es wirklich durchgezogen.
Richard: Genau deshalb hat es auch so lange gedauert.
Ihr wolltet mit eurem letzten Album ja auch ein kleines Statement à la „In your face, Indie-Kids“ abgeben…
Richard: In your face, Indie-Kids, yeah (lacht). Ehrlich gesagt, wollen wir bei diesem Statement auch dranbleiben. Wahrscheinlich irritieren wir damit jetzt einige Leute, aber das werden wir mit dem neuen Album sowieso machen, also was soll’s.
Matt: Wir machen Popmusik und lassen uns von Popmusik inspirieren. Wir mögen schöne Melodien und wollten einfach mehr machen, als trübe und fade Emotionen. Heutzutage hört man dies einfach viel zu oft in der Indie-Musik. Also, ja – In your face, Indie-Kids!
Es entsteht auch der Eindruck, dass ihr vor lauter Ideen und Kreativität eigentlich auch ein Doppelalbum zusammengebracht hättet.
Richard: Ja, die Platte hätte auf alle Fälle länger werden können, aber dann wären wir wohl fünf Jahre von der Bildfläche verschwunden gewesen.
Matt: Als wir ungefähr zwölf Songs für das Album hatten, mussten wir uns selbst bremsen und einsehen, dass wir aufhören müssen.
Wie habt ihr die Songs ausgewählt? Seid ihr einem bestimmten Muster gefolgt?
Matt: Die Selektion kommt beim Schreiben.
James: Der Filter-Prozess in unserer Band ist extrem effektiv. Einer hat eine Idee, zeigt sie den anderen beiden und wenn nicht alle einverstanden sind, wandert sie in den Müll.
Ihr schreibt also alle drei?
James: Ja. Es ist ein irre komplizierter Mix.
Es gibt noch nicht viele Reviews zu „Collections“, aber die, die es gibt, sind relativ inkonsistent. Ihr werdet also höchstwahrscheinlich auch jede Menge Kritik ernten. Musste man damit rechnen?
James: Wir würden sagen, dass man sich nicht auf diese moderne Art des Musikhörens einlassen sollte. Es ist gefährlich, sich ein Album erst anzuhören, nachdem man eine Review darüber gelesen hat. Das Gelesene bleibt dann immer im Hinterkopf.
Matt: Es ist so, dass die Platte ja schon da ist. Sie wird sich nicht mehr verändern. Aber die Interpretationen und Eindrücke tun es – je nachdem was man zuvor darüber gehört und gelesen hat. Bei der ersten Platte war das auch so ähnlich. Man muss als Band diese beiden Dinge auseinanderhalten. Über den Schreib- und Aufnahmeprozess hat man noch Kontrolle, über alles Weitere, was mit dem Album passiert, jedoch nicht mehr.
Richard: Auch jegliches Herumtoben wird nichts mehr ändern.
Die erste Single „Baiya“ hat etwas von Muse. Was haltet ihr von Vergleichen mit Kollegen? Mögt ihr die?
Matt: Nur, wenn es die Beatles sind. Oder Rage Against The Machine.
James: Es kommt darauf an, wie geschult diese Vergleiche sind.
Matt: Uh, geschult!
James: Ihr wisst schon, wie ich das meine. Es gibt Leute, die über ein breiteres musikalisches Wissen verfügen als andere. Wenn jemand daherkommt und meint, das neue Album klingt nach etwas vollkommen Abstrusen, das einfach überhaupt nicht wahr ist, dann finde ich den Vergleich ungeschult. Nachvollziehbar sollte so etwas ja schon sein.
Matt: Man sollte Vertrauen ins Publikum haben. Journalisten haben immer eine Agenda. Es kommt darauf an, für welche Publikation sie schreiben, ob sie kontrovers sein wollen, einen eigenen Ruf verfolgen und so weiter. Es fließen unzählige Faktoren in eine Review ein. Aber so ist das nun einmal. Wir denken, wenn etwas von guter Qualität zeugt, dann wird das Publikum das auch erkennen.
Die Vocals scheinen jetzt klar im Mittelpunkt zu stehen. Sie schweben richtiggehend über den ausgetüftelten Klangteppichen. Ihr seid schon ziemliche Perfektionisten, oder?
Matt: Wir würden wahrscheinlich immer noch an den kleinsten Kleinigkeiten arbeiten, wenn wir die Zeit dazu gehabt hätten. Ein paar Dezibel nach oben machen nämlich einen Riesenunterschied. Nein, tun sie nicht.
Richard: Perfektionismus meint meiner Meinung auch, dass alles sehr echt klingen sollte – so, als würde sich die Musik mitten im Zimmer abspielen.
James: Auf dem letzten Album waren Vocals und Instrumente noch viel näher beinander. Auch viel tiefer, was wir in letzter Zeit auch bei einem großen Teil der modernen Indie-Musik festgestellt haben. Die Vocals werden tiefer, verzögert und wirken teilweise eher wie ein Nachhall. Wo ist der Song hin? Wir haben in letzter Zeit viel von Beyoncé und Rihanna gehört. In deren Musik sitzen die Vocals obenauf und weil wir das so gut fanden, haben wir versucht, ein wenig mutiger zu sein, was das betrifft.
Matt: Ja, es geht hier um richtiges Songwriting – um ein wahres Handwerk, das man nicht zu verstecken braucht. Warum sollte nicht genau das, worum es geht, aus der Musik herausstechen?
Ihr steht derzeit ziemlich auf Hip-Hop und R’n’B. Rappt ihr auf dem nächsten Album?
Richard: Matt kann tatsächlich rappen.
Matt: (startet einen Versuch.)
James: Der englische Peter Fox.
Matt: Naja, wenn uns unser Singsang bis zum nächsten Album langweilen sollte, dann werden wir natürlich anfangen zu rappen… Okay, das hat mich jetzt inspiriert.
James: Ernsthaft. Verse sind ja auch langweilig.
Richard: Sie überwiegen zwar auf der Platte, aber gut…
James: Nein! Wir haben eigentlich nicht allzu viele klassische Song-Verse auf dem Album. Wir finden Hip-Hop gut, weil es dabei diese Variation und Gegenüberstellung von gerapptem Vers und Refrain gibt.
Social Networking scheint euch relativ wichtig zu sein.
Matt: Ich finde es schön, wenn die Kids heutzutage einfach an ihre Lieblingsmusiker herantreten können, um Fragen stellen zu können. Hätte ich das damals bei Radiohead gekonnt, wäre ich wohl der glücklichste Junge auf Erden gewesen. Andererseits ist dies ein zweischneidiges Unterfangen, da das Mysteriöse verschwindet, das man als Band in gewisser Weise hat.
Richard: Ein Junge fragte mich einmal, ob ich ihm nicht alle meine Samples schicken könnte und ich tat es. Also, eigentlich war es nur etwa ein Prozent, aber für ihn war das riesig.
James: Alles kann man schließlich auch nicht preisgeben. Aber man sollte seine Welt auch nicht vollkommen verschließen.
„Collections“ von Delphic ist bereits am 28. Jänner via Polydor Records erschienen.