»Life is Strange: True Colors«: Beste in der Förderklasse

Das jüngste Spiel der »Life is Strange«-Reihe wird zurecht gelobt, zeigt aber auch, wie tief die Latte für Erzählungen in Mainstream-Games immer noch liegt.

© Deck Nine

Es ist so ein leidiger Zusatz, dieses „…für ein Videospiel“. Aber gerade wo in Spielen erzählte Geschichten gelobt werden, flackert er allzu oft im Hinterkopf auf, wie ein Neonschild, dessen Tage noch immer nicht gezählt sind.

»Life ist Strange: True Colors« setzt wie seine Vorgänger auf eine mitreißende Coming-of-Age-Geschichte mit übernatürlichen Elementen und interessanten Entscheidungsmomenten, die den Spielenden Einfluss auf den Verlauf geben. In einer fiktiven Ortschaft, die den Bundesstaat Colorado ähnlich adäquat repräsentiert wie der Film »The Sound of Music« das Leben in Österreich, trifft eine junge Frau mit zerrütteter Vergangenheit auf ihren Bruder, den das Jugendamt früh von ihr getrennt hat. Was eigentlich ein idyllischer Neustart werden soll, findet durch den plötzlichen Tod des Bruders ein jähes Ende und Heldin Alex wird zur Detektivin, die in Dialogen mit der freundlichen Ortsgemeinschaft nach Ungereimtheiten sucht.

Wie es das Schicksal so will, ist sie für diese Aufgabe prädestiniert. Denn Alex sieht die Emotionen ihrer Gegenüber als Farben und hört, was sie denken. Und wo die Emotionen besonders stark werden, kann sie sogar in die Gedankenwelten der Fühlenden einsteigen und sie erkunden. Spieldynamisch ist das durchaus interessant. Erzählerisch ist es ein Kernelement jener Plumpheit, die immer wieder die Frage aufwirft, ob das denn nicht raffinierter hätte geschrieben und inszeniert werden können.

Der größte Fortschritt zu den älteren Spielen der Reihe liegt wohl in den Bewegungen der Figuren. Körpersprachen und vor allem die Mimik von Alex und den Menschen um sie herum tragen zur Atmosphäre und damit auch grundlegend zu den erzählerischen Höhepunkten bei. Aber zwischen diesen großen Momenten hängt der Spannungsbogen lustlos durch. Dann stimmt das Pacing vorne und hinten nicht. Die Kamera verweilt ständig ein paar Sekunden zu lange auf aufgewühlten Gesichtern. Und in eigentlich hoch emotionalen Szenen müssen wieder und wieder Gegenstände angeklickt und Alex Gedanken dazu gehört werden. Jede Tür bringt selbst auf der PS5 einen Ladescreen mit sich, der die Immersion zerstört. Und trotz aller Zeit, die sich das Spiel für manche Passagen nimmt, sind entscheidende Szenen immer wieder hektisch und kaum nachvollziehbar inszeniert.

Für Fans dieser Form des interaktiven Erzählens ist »True Colors« eine gelungene Fortsetzung der Reihe. Die Charaktere sind sympathisch und haben eine gewisse Tiefe. Und die Cliffhanger sind mit ausreichender Präzision positioniert, um die Neugier von Kapitel zu Kapitel am Leben zu erhalten. Was aber fehlt ist der Fortschritt zum sechs Jahre alten ersten Teil. Technisch ist der zu sehen, aber inhaltlich hätte sich mehr tun können.

Dass die erzählte Geschichte eine Serie wohl nicht hätte tragen können, ist ein unlauterer Vergleich. Zurecht wird in diesen Fällen auf die spezifischen Qualitäten und Herausforderungen digitaler Spieler verwiesen. Aber dann braucht es eine engere Verwobenheit von Spieldynamik und Erzählung.

»Life is Strange: True Colors« ist bereits für PC und Konsolen erschienen.

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