London ist tot, tot für die Kunst

Vor ihrem Konzert in der Arena Wien trafen wir die irische Sängerin Wallis Bird zum entspannten Talk im Tourbus. Dabei erzählte sie uns über ihr neues Album „Architect“, ihren Umzug nach Berlin und warum London eine für Künstler tote Stadt ist.

Aber ist London nicht immer noch die Hauptstadt der Popmusik?

Nein, es ist sehr schwer, in London Gigs zu bekommen, besonders wenn man ganz von vorne beginnt. Wenn du nicht mindestens 400 Leute zu jedem deiner Auftritte mitbringst, interessiert sich kein Mensch für dich. Man spielt mit zehn anderen Bands in beschissenen Clubs, über beschissenes Equipment, niemand schert sich um dich. Das ist in etwa die Einstellung dort, weil es so wahnsinnig viele Musiker gibt.

Jeder Musiker, den ich kenne, der dort lebt, muss zwei Jobs machen, um sich das Leben leisten zu können. Die Musik kommt dann an letzter Stelle, da man ums Überleben kämpfen muss, das macht für mich keinen Sinn. Ich habe selbst erlebt, dass man Tag und Nacht arbeiten muss, und kreativ gesehen läuft jeder mit Scheuklappen herum und ist nur darauf fokussiert, Anerkennung zu finden. Es ist sehr elitär, nicht befriedigend und nicht frei.

Und in Berlin ist es einfacher?

Ja, Berlin ist immer noch eine arme Stadt, daher ist das Leben relativ günstig. Aber das Wichtigste ist, dass sich niemand drum schert, was man dort beruflich macht. Jeder hat das Gefühl, dass man vom sozialen System nicht im Stich gelassen wird. Wenn eine Stadt insgesamt nicht vermögend ist, gibt es nicht dieses Gefälle Reich versus Arm, es fühlt sich an, als wäre jeder irgendwie arm.

Sagte nicht mal der Bürgermeister: „Berlin ist arm, aber sexy“?

Ja, das mochte ich, wir sind arm, aber sexy (lacht).

Bist du auf einen Song auf dem neuen Album besonders stolz?

Ja, ich denke „I Can Be Your Man“, das war einer dieser Tracks, die an einem Nachmittag entstehen. Ich war, um ehrlich zu sein, betrunken, und es gab eine gewaltige, freie Explosion. Die Bedeutung ist sehr simpel, etwas zu singen wie „I can be your man, I can be your woman“ kam irgendwie aus mir heraus, und es fühlte sich sehr wahr an. Es ist der simpelste, aber gleichzeitig auch der gewichtigste Text auf dem Album.

Inwiefern der gewichtigste Text?

Es dreht sich um die Idee von Gender und das Kriminalisieren von Geschlechterrollen aufgrund seiner sexuellen Gesinnung. Wenn man ein Mann ist, muss man eine Frau lieben, wenn man eine Frau ist, muss man einen Mann lieben und dieser ganze Blödsinn. Das Leben ist nun mal nicht so, es ist eine natürliche Sache. Ich nehme an, du bist hetero?

Ja.

Und ich nehme an, du hast dich nicht willentlich dazu entschlossen, heterosexuell zu sein, oder?

Nein.

Man sucht sich nicht aus, hetero- oder homosexuell zu sein. Und wenn dann Leute ins Gefängnis kommen, vergewaltigt oder zusammengeschlagen werden oder aus dem Heimatland geworfen werden, weil sie zu feminin oder maskulin sind oder mit Gleichgeschlechtlichen Händchen halten, ist das wie in der Steinzeit. Das habe ich versucht mit dem Song zu sagen, in sehr simplen Worten.

(Anm.: In einem Posting auf ihrer Facebook-Seite kurz nach dem Songcontest-Gewinn von Conchita Wurst sieht Wallis Bird eine Parallele zu ihrem Song und schreibt: „In light of Austria winning the Eurovision with Jesus Sausage, I say here´s a link to m´tune I can be your man“.)

Gibt es etwas anderes, das dich interessieren würde, wenn du nicht Musikerin wärst?

Ich würde gerne eine Schule eröffnen, eine Schule, in der die Instrumente frei verfügbar sind, in der man weder Geld, theoretischen Background noch Schulbildung benötigt. Alles basiert darauf, ob man selbst Lust verspürt, sein Talent zu fördern. Das würde ich gerne machen, eine freie Schule für Musik.

Kannst du mittlerweile von deiner Musik leben?

Ja, der Schlüssel ist, es als Lebensjob zu sehen. Angenommen, man unterschreibt einen Vertrag bei einem Plattenlabel, bekommt sein Geld und verschleudert es dann, und innerhalb von zwei Jahren ist man pleite und muss wieder von vorne beginnen. Ich hatte genügend Glück, ein Management zu haben, das die Einstellung hat, es nicht wie einen Sprint, sondern wie einen Marathon zu sehen. Es war also ein bescheidenes, aber immer befriedigendes Leben, weil wir immer zwei Jahre voraus gedacht und geplant haben.

Wenn du zurückblickst, gibt es einen Song in deiner Karriere, auf den du am meisten stolz bist?

Ich denke „Blossoms In The Street”, weil das mein Durchbruch war, der Song, mit dem alles gestartet hat. Es ist kein simpler Popsong, er hat verschiedene Taktarten und ist eine Mischung aus Folk und Rock. Das war komplett anders als alles andere, das damals im Radio gelaufen ist, doch meinem Management war das egal. Sie gingen selbstbewusst mit der Nummer raus und brachten mich damit auf den Radar vieler Leute. Ich denke, es war eine erstaunliche Herangehensweise zu sagen: „Es ist anders, aber scheiß drauf“. Und das ist seither meine Einstellung, es war also ein sehr guter Start.

Zum Schluss eine Frage, die ich schon einigen Musikern gestellt habe, die ich interviewt habe: Ende 2012 glaubten einige Leute an das Ende der Welt, wenn das wirklich passiert wäre oder passieren würde, gibt es einen Song, der überleben sollte?

Auch wenn es abgedroschen ist, ich denke, dass es ein Beatles-Song sein müsste. Oder (überlegt) vielleicht kennst du diesen Song (singt): “I´d like to teach the world to sing in perfect harmony” (Anm.: New Seekers – I’d Like To Teach The World To Sing). Was für eine Zeile! Wenn wir alle sterben würden, ist das definitiv eine Zeile, um sie zurückzulassen. Und die Melodie (singt wieder) hat so viel in sich, sie ist irgendwie tragisch und hoffnungsvoll, begeisternd und traurig, basierend auf einem Text, der besagt, dass wir alle in Harmonie leben sollen. Außerdem ist die Melodie sehr simpel und kindlich, was schließlich jeder von uns in sich hat. Ich denke, etwas wie dieser Song wäre etwas Cooles, um es zu hinterlassen.

"Architect" von Wallis Bird ist bereits erschienen.

Bild(er) © Stephan Brueckler
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