Die New-Wave-Dinos New Order bringen mit „Music Complete“ nach zehn Jahren ein neues Studioalbum auf den Markt. Es ist eine routinierte Mischung aus tanzbaren Rhythmen und ekstatischem Power-Pop geworden. Leider nicht mehr.
Einst die Lieblinge des heißbegehrten, designeraffinen Labels Factory Records, haben sich New Order nun – nach einer, was Neuproduktionen betrifft, „stummen“ Phase – dem in den 80er- und 90er-Jahren nicht minder trendigen Mute Records angeschlossen, um noch einmal so richtig draufloszulärmen.
Und wenn man sich in Erinnerung ruft, was diese Musiker in ihrer langen Geschichte schon hervorgebracht haben, können die Erwartungen schnell überborden: zum einen in der Vorgängerband Joy Division, die unter tatkräftiger Mitwirkung von Produzenten-Mastermind Martin Hannett den Manchester-Sound der späten 70er- und frühen 80er-Jahre und damit eine ganze Generation von Post-Punk- und New-Wave-Bands – nicht nur im britischen Königreich – geprägt hat.
Zum anderen natürlich in New Order selbst, jener Band, die die drei verbliebenen Musiker, Peter Hook (Bass), Bernard Sumner (Gitarre, Gesang) und Stephen Morris (Schlagzeug), gemeinsam mit dessen Freundin Gillian Gilbert (Keyboards), nach dem Selbstmord des charismatischen Joy-Division-Sängers Ian Curtis gründeten. Mit altem, noch unerprobtem und neuem Material setzte die Band damals zu einem musikhistorischen Höhenflug an, der sie in den folgenden Jahren vom New Wave („Blue Monday“, 1983), über Electro-Pop („Regret“, 1993) bis hin zu Euro-Disco-Beat („True Faith“, 1994) gleiten ließ.
Seit dem nicht gerade amikalen Ausstieg von Urgestein Hook im Jahr 2007 – mehr dazu in seiner durchaus amüsant-kurzweiligen Autobiografie „Unknown Pleasures“ sowie in Bernard Sumners Memoirensammlung „Chapter And Verse“ –, rumpeln nun einerseits die neuformierten New Order sowie andererseits auch Peter Hook (mit einem Reminiszenz-Programm an seine Joy-Division-Vergangenheit) live durch die Lande.
Doch zurück zu „Music Complete“, dem ersten Post-Hook-Studioalbum der Band, um das es hier ja schließlich gehen soll: Von winzigen Lichtblicken abgesehen, ist leider nicht mehr viel übriggeblieben vom einst bahnbrechenden New-Order-Sound und vor allem der elastische, dumpfe Bass, der in den 80er- und 90er-Jahren die legendäre Hacienda in Manchester in einen düsteren Indie-Dancefloor verwandelt hat, fehlt merklich – trotz der hörbaren Bemühungen von Neuzugang Tom Chapman. Auch dem an Johnny Marr (selbst mit The Smiths zur Legende geworden und Sumners Partner in der Band Electronic) erinnernden, virtuos zelebrierten Gitarrensound scheinen New Order zugunsten von sexy aufgemotzten Electro-Beats endgültig abgeschworen zu haben.
Natürlich: Auch diesmal stimmt die routinierte musikalische Mischung aus tanzbaren Rhythmen und ekstatischem Power-Pop, der im nächsten Sommer sicherlich auch auf Ibiza wieder aus den Strand-Disco-Lautsprechern dröhnen wird. Dazu gibt es Gastauftritte u.a. von Brandon Flowers (überraschend flauschig), Iggy Pop (bärbeißig „sprechgesungen“) und Elly „La Roux“ Jackson (solide-hintergründig). Das Album kommt dabei aber ohne große Überraschungen aus und die einstigen Trendsetter scheint der Mut zu experimentellen Sound-Ecken und -Kanten komplett verlassen zu haben.
Warum man darüber hinaus gerade mit dem dünnsuppigen „Restless“, das eher an eine B-Seite der Pet Shop Boys erinnert, einen der schwächeren Tracks als erste Single ausgewählt hat, bleibt unverständlich. „Music Concrete“ hat nämlich durchaus Spannenderes zu bieten – aber vielleicht wollte man sich ja nach all den Jahren ein wenig Luft nach oben lassen. Bleibt nur zu hoffen, dass ihnen diese selbst nicht vorher schon ausgeht, denn das Segment des Electro-Pop haben in den letzten Jahren Kaliber wie Röyksopp oder Crystal Castles aufgemischt, und die sind dabei klanglich in Sphären vorgedrungen, von denen New Order derzeit Lichtjahre entfernt sind.
„Music Complete“ ist am 25. September 2015 bei Mute Records erschienen.