Lust, Tod, Leiden, Liebe

Der österreichische Soundpionier Fennesz begibt sich mit dem Berliner Videokünstler Lillevan auf die Suche nach Mahlers Melancholie. Die Spur endet in einem Remix, der Reminiszenz und Symbiose zugleich ist.

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Musik ist die Sprache der Seele. Seelenverwandte, so sagt man, kommen sich nicht mit Worten näher, sondern durch die Gefühle des Anderen, mit denen sie im Einklang zu schweben scheinen. Der österreichische Elektronik-Pionier Fennesz, für sich selbst stehend ein Meister der experimentellen Melancholie, scheint diesen Seelenpartner in Gustav Mahler gefunden zu haben. Der große Komponist schrieb Symphonien und Lieder über Lust und Tod, über Leiden und Liebe. Er schuf Musik, die so nah an der Perfektion lag, das eine Umdeutung in die Gegenwart nahezu unmöglich wirkt. Fennesz ging darauf ein – und kreierte dabei ein zutiefst eigenständiges Werk – welches ganz im Geiste Mahlers steht. "Mahler: Remix" wurde im März 2011 beim Liedlab uraufgeführt. Zusammen mit dem Berliner Videokünstler Lillevan stellte Fennesz dabei einen audiovisuellen Dialog zum Kanon des Komponisten her: Samples und Stimmvertonungen, Versatzstücke, experimentelle Sounds und elektronische Okkupationen versuchen eine Neupositionierung. Die Klassik-meets-Electronica-Perfomance wurde nun als Teil der DVD-Edition "Gustav Mahler Lied Collector’s Edition" kongenial in ein neues mediales Setting überführt. "Mahler: Remix" ist kein bloßer Konzertmitschnitt einer Live-Performance, sondern ein visueller und auditiver Gesamtentwurf.

Spaltung und Synästhesie

Fennesz hüllt Mahlers Liedgut nicht einfach in ein elektronisches Gewand, er fügt vielmehr Mahler in sein eigenes Werk ein. Was dabei entsteht, ist Harmonie und Avantgarde, Experiment und Reminiszenz, Spaltung und Synästhesie. Fakt ist: Mahlers Werk ist Musik, die man nicht verbessern kann. Was aber sehr wohl gelingt, ist, Teile aus dieser Musik herauszugreifen, und sie in einen neuen Kontext zu setzen. So wie es auch Mahler wichtig war, aus der klassischen Harmonik auszubrechen und eine freie Tonalität zu entfalten, der Spätromantik zu entfliehen, so geht auch Fennesz mit dem Erbe des Künstlers um. Der künstlerische Akt des Musizierens ist in den Hintergrund getreten. Die visuelle Komponente wird bestimmt von Lillevans Licht- und Schattenspiel. Es gibt nichts Figuratives und keine Narration der Bilder – sie zeichnen Texturen und vereinen sich mit den Gefühlen, die der Musik entspringen. Es gibt keine Trennung der Sinneseindrücke, sie gehen ineinander über.

"Mahler: Remix" ist nicht Musik, ist nicht Bildschau, sondern Kunst. Der dynamische Bogen – ein Remix ist ja auch Teil der eigenen, das Material bearbeitenden Persönlichkeit – öffnet in Respektbezeugung und mündet in Symbiose. Es sind Eindrücke über die Splitter getrennt verbrachter, aber gleichgesinnter Zeit, in deren Spiegelung der Geist Mahlers und das künstlerische Schaffen von Fennesz sich zu einem Werk vereinen. Was den beiden Künstlern innewohnt, ist ihr Hang zur melancholischen Seligkeit. "Mahler: Remix" ist in diesem Sinn ein Konstrukt orgiastischer Lebensfreude, eine Verinnerlichung der großen, majestätischen Momente und ein Zerbrechen im Dunkeln in erdrückende Einsamkeit und Angst. Diese Gefühle ziehen hin und her wie das Echo einer fernen Melodie. Samples und Stimmen, ein Singsang trostloser Zuneigung, brechen kurz den Rhythmus dieser Melodie, nur um dann in sie überzugehen. Es ist eine Melodie, die keiner neuen Töne bedarf, schwingt sie doch still und unnachgiebig stets mit im Uhrwerk der Zeit. Doch Fennesz hat die alten Töne richtig getroffen und neu kontextualisiert, und Lillevan hat ein lebendiges Bild dazu gemalt. "Mahler: Remix" ist für sich selbst stehend deshalb auch keine blasse Huldigung an den Komponisten – sondern große Kunst, die mit großer Kunst zu verschmelzen versucht.

Die Box "Gustav Mahler Lied Collector’s Edition" erscheint im Dezember 2011 bei Departure/ Hoanzl und umfasst 7 DVDs mit Liedvisualisierungen des Liedlab 2011 und ein Hardcover-Buch mit 192 Seiten.

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