Wir sind doch eh voll emanzipiert und aufgeklärt. Halt nicht in der Musikbranche, wie ein Film von Astrid Dynesen jetzt zeigt.
Beim Sex geht es nicht um Musik. In der Musikbranche geht es nicht um Sex. Würde es sich um Sex drehen, würden Eltern ihre Kinder erst viel später Musikinstrumente lernen lassen und Stripperinnen würden viel mehr singen und Israel Kamakawiwo’ole hätte wahrscheinlich nie einen Hit gelandet.
Deshalb ist es ja komplett unnötig, einen Skandal aus einer nackten Miley, Madonna oder Lady Gaga zu machen. Genauso unnötig, wie wenn man aus all den Rappern, die sich als die großen Checker darstellen, einen Skandal machen würde. Zu viel Sex, zu wenig Sex, der falsche Sex, das ist trotzdem Dauerthema. Ob nun weibliche Künstler von einer sexistischen Industrie ausgenutzt werden oder sich durch Videos, die sie als nackte Sexsymbole zeigen, befreien und ermächtigen, darüber wird wohl noch in 69 Jahren gestritten. Unbestritten ist aber, dass zum Beispiel 82% der dänischen Copyright-Organisation KODA Männer sind, die 88% der Gelder bekommen.
Astrid Dynesen hat nun eine Non-Profit-Dokumentation zu der Gender-Voreingenommenheit in der dänischen Musiklandschaft gemacht. Premiere feierte der Film mit dem schönen Namen „Ride the Balance“ am 2. Mai am Spotfestival in Dänemark. Wir haben mit Astrid über Rollenmodelle, Frauenquote und Miley Cyrus geredet.
Wenn man Gender im Musikbusiness zu einem so großen Thema macht, läuft man da nicht gleichzeitig auch Gefahr, dass man Frauen noch mehr auf ihre Rolle als Frau eingrenzt, statt auf ihre Rolle als Musiker?
Das ist eine der sehr interessanten, paradoxen Fragen, mit denen ich mich in meinem Film von Anfang an konfrontiert sah. Wenn man sich dem Thema der ungleichen Repräsentation von Mann und Frau widmet, riskiert man immer eine noch größere Marginalisierung oder eine größere Genderungleichheit. Aber genau dadurch stellt sich auch die Frage: Was können wir tun, um die Lage zu ändern, wenn wir uns nicht erlauben darüber zu reden? Das ist eine sehr komplexe Frage und ich habe mich dazu entschlossen, genau dieses Paradoxon, sehr offen in meinem Film anzusprechen.
Das, was ich versucht habe, war Musikerinnen in meinem Film die Möglichkeit zu geben, über ihre Erfahrungen und Frustrationen mit dem Fokus der Gesellschaft und des Musikjournalismus auf ihrem Geschlecht anstatt auf ihrer Musik, zu berichten.
Meiner Meinung nach ist es wirklich wichtig, eine breite Diskussion darüber zu haben und die Konsequenzen dieser Gender-vor-Musik-Wahrnehmung, die wir haben, zu erkennen. Und uns vielleicht selbst zu fragen, warum Männer nie so sehr als Subjekt, dessen Fokus auf dem Geschlecht liegt, wahrgenommen werden.
Sind wir nicht alle irgendwie in diesen Rollenmodellen gefangen? Was macht das Problem der Repräsentation in der Musikindustrie so besonders?
Natürlich sind wir das alle. Bestimmte Jobs zum Beispiel wurden als typisch männlich oder typisch weiblich in unserer Geschichte bezeichnet und diese geschlechtsspezifischen Etiketten werden heute immer noch in unserer Gesellschaft und Medienkultur wiederholt. Aber zum Glück hat sich das Bewusstsein für Geschlechterfragen und Geschlechterungleichheit gewandelt.
Wenn allerdings selbst mit diesem neuen Bewusstsein noch immer ein großes Ungleichgewicht zu erkennen ist, wie es in der Musikindustrie heute der Fall ist, muss man sich fragen, welche herrschenden gesellschaftliche Strukturen immer noch verhindern, dass Frauen eine Karriere in der Musikbranche machen.
Meiner Meinung nach ist das Fehlen von Frauen in diesem Bereich und die Entscheidung einer Frau, keine Instrumente zu spielen und / oder Kunst zu machen, nicht eine Frage des "freien Willens". Frauen sind in der Vergangenheit von Kunstpraktiken ausgeschlossen worden, darunter auch aus der rhythmischen Musik, die seitdem die progressive Rockmusik aus der Beat-Kultur in den frühen sechziger Jahren heraus entstanden ist, eine männlicher Praxis war. Auch wenn das nicht jeder erkennt: die Musikindustrie ist immer noch weitgehend von Männern dominiert. Mit so wenigen Frauen im Spiel verpassen wir meiner Meinung nach riesige Menge an Qualität und Talent-Potenzial. Das ist wirklich schade.