Nackerte – jetzt auch mit ästhetisch! Justin Timberlake und Goldfrapp machen es vor. Auch dabei: andere An- und Auszüglichkeiten im Musikbetrieb der letzten Zeit. Eine Bestandsaufnahme.
Liegt es gar am Sommer, dass sich in letzter Zeit wieder nackte Haut in der Musikbranche häuft? Nur gut, dass wir uns das alles auf Youtube anschauen können! Die Gründe sich auszuziehen sind jedenfalls so zahlreich wie die Spielarten der medialen Response und des Diskurses. Denn nicht immer garantiert expliziter Inhalt ein großes Echo, während manchmal schon eine entschlüpfte Brust für ausladende Online und Printberichterstattung sorgen kann.
Nipple- bis Bathgate
So geschehen bei Amanda Palmer, deren Brust beim Glastonbury dem BH entkam und damit ungewollt für ein zweites Nipplegate sorgte. Palmer nutzte die peinliche Berichterstattung der Daily Mail zur (Wieder-)Eröffnung der Diskussion, wie Medien mit weiblicher Nacktheit umgehen und dabei auf künstlerische Inhalte vergessen. 1000 Artikel, Tweets und Blogposts der Amanda-Verehrung folgten.
Der Vorwurf, den Palmer der Zeitung in Form eines Songs (Video 1) macht, ist der Kritik nicht so unähnlich, mit der sich Nina Kraviz konfrontiert sieht: Kraviz, die sich von der Video Reihe „Between The Beats“ (Video 2) bei ihrer Tour hat begleiten lassen, wird vorgeworfen, voll bösen Kalküls zu wenig mit ihren Reizen zu geizen. Konkret ging es um eine Szene, in der die Djane in einer Badewanne über die Einsamkeit des Tourlebens sinniert – grandios auf die Schaufel genommen von den Totally Enormous Exctinct Dinosaurs. Der Fall, der als Bathgate in die Internetannalen einging, warf wieder die immerselbe Frage auf, wie sexy sich Frauen im elektronischen Musikbusiness geben dürfen, wenn sie als Künstlerinnen ernstgenommen werden wollen. Anstatt die Chance zu nutzen und eine mutige Position einzunehmen, nämlich, dass kalkulierte Selbstvermarktung, die auch auf Äußerlichkeiten aufbaut, völlig in Ordnung ist und nicht zwingendermaßen mangelndes Können vertuschen muss oder will, ging Kraviz leider in eine lächerliche Defensive, die trotzige und am Problem vorbeiführende Argumente wie "Na, hätte ich mich auf Tour etwa nicht waschen sollen" hervorbrachte. Kraviz drängte sich, indem sie den Videomachern die Schuld zuschob, sie nicht als DJ sondern als Frau portraitiert zu haben, selbst in eine unzeitgemäße Opferrolle. Die Chance auf einen sinnvollen Diskurs, wie Palmer ihn anregte, wurde jedenfalls verpasst.
Blurred Lines
Auch sinnfrei: Robin Thickes Antwort auf auf den Vorwurf, das Video zu "Blurred Lines" (Video 3) und vor allem der Text würde Frauen als willenloses Sexpielzeug darstellen, dessen Meinung man mit einem süffisanten „You Know You Want It“ wegwischen kann: Er wollte schon immer mal sämtliche Clichés in einen Song verpacken, weil er ja „im echten Leben“ so ein Good Guy ist. Alles also nur Spaß.
Stellt sich wieder einmal die Frage, ob man jeden Unsinn tun darf, wenn man sich dessen bewusst ist. Die Antwort ist: Nein. Trotzdem kann man dem Video einen gewissen Unterhaltungswert und Spaßfaktor nicht absprechen. Vergleicht man "Blurred Lines" mit anderen Videos, wie dem an Degradierung unübertroffenen "Satisfaction" von Benny Benassi (Video 4), wundert man sich vielleicht über die starke mediale Response. Models oben ohne, degradierende Texte, große Acts gibt es in Videos und Songs wie Sand am Meer. Gerade die Kombination aus allen Faktoren scheint dann aber eine Flut der Kritik auszulösen, obwohl sich an den einzelnen Komponenten (medial) niemand in vergleichbarer Weise stört.
Die Promo Videos zum Beispiel, die das neue Album von The-Dream ankündigen, sind von so manchen Youporn Clips kein Haarbreit entfernt. Sie zeigen Frauen, die sich mit dem Album Artwork (und auch ohne) selbstbefriedigen. Expliziter wird’s nicht. "Turnt" (Video 5), einer der harmloseren Clips, befindet sich sogar (wieder) auf Youtube (auch wenn der Upload kein offizieller sein dürfte) , den Rest der "IV Play"-Reihe kann man auf Vimeo ansehen. Das mediale Echo betrug allerdings gleich null.
Jetzt mit ästhetisch
Dagegen ist das aktuelle Justin Timberlake Video für "Tunnel Vision" (Video 6) geradezu klosterkompatibel. Dennoch wurde es kurzzeitig von Youtube gelöscht, wegen des angeblich künstlerischen Anspruchs aber wieder offiziell (Vevo) online gestellt. Die Erotik des Videos speist sich fast weniger aus den fast nackten Darstellerinnen, sondern aus der Schnittfolge, die teilweise so schnell ist, dass man nicht mehr genau weiß, was man da so sieht: regt natürlich die Fantasie an. Enthüllung und Verhüllung – das alte Spiel.
Auch Goldfrapps "Drew" (Video 7) spielt mit dem Ästhetik-Faktor. Das Video kommt in Schwarz/Weiß daher und glänzt durch Arthousefilm-Kameraführung, die an vergangene Tage denken lässt. Die Inszenierung von Nacktheit erinnert an Madonnas "Justify My Love" von 1990 mit dem Unterschied, dass Timberlake und Alison Goldfrapp äußerst angezogen, fast hochgeschlossen als Zeremonienmeister eines nackten Ästhetikharems agieren. Das sieht alles sehr fesch aus und schlägt eine neue Richtung ein, die ihre Nachahmer finden wird.
Das man nackte Haut auch überhaupt etwas lockerer sehen kann, hat dann noch Seth Troxler bewiesen, der mit Rubens’schen Figur und einer Banane vor der Kamera posiert (Video 8).
Welches dieser Videos dann doch von Youtube gelöscht werden, bleibt fraglich: „A video that contains nudity or other sexual content may be allowed if the primary purpose is educational, documentary, scientific or artistic, and it isn’t gratuitously graphic.“ – lautet der Youtube Standpunkt. Dass es sich dabei nicht einmal um blurred lines sondern um die reinste Augenauswischerei handelt, muss man nach allem, was wir in der Videoplaylist dank Youtube sehen können, nicht extra erwähnen.