…oder warum es eigentlich egal ist, dass jeder Track auf Jay-Z’s "Magna Carta…Holy Grail" das Mittelmaß nicht überschreitet.
Carter ergo Samsung
Am 4. Juli – bedeutungsträchtiger hätte das Datum nicht gewählt werden können – kam via Samsung-App das Album. Jay-Z hatte vor der Release schon eine Million Kopien an Samsung verkauft und thematisiert das auch gänzlich unbescheiden auf "Somewhereinamerica": "A Million Sold Before The Album Dropped". Dazu gab es vorab das Commercial Video, in dem Jay-Z, Pharrell, Rubin, Timbaland und andere über Verben, Picasso und das Leben an sich philosophieren und Musik hören. Und was man da von "Magna Carta" hörte, schraubte die Erwartungen gewaltig in die Höhe. Doch wie es auch so oft bei Blockbustern der Fall ist, wurden alle gute Szenen bereits in den Teaser verpackt; der Film aber enttäuscht.
Dass Fans zu Konsumenten degradiert wurden, eine Mikro-Zweiklassengesellschaft von Fans (diejenigen, die Samsung haben und denjenigen, die es nicht haben und deswegen länger warten müssen) provoziert wurde und ein genereller Vorwurf der Überkommerzialisierung, sind nur wenige Facetten der Kritik, die Jay-Z besonders in Anbetracht des schwächelnden Endprodukts nun gemacht werden.
This Is Not The End
Aber! Diese Art der Kritik, die sicherlich berechtigt ist, geht dennoch von einer falschen Prämisse aus. Nämlich der Prämisse, dass das Marketing im Vorfeld auf das Ziel der Release hinauslaufen soll. Bei Daft Punk und West, gab es ein endlos langes Vorspiel, das am Schluss und als Höhepunkt in der Veröffentlichung eines Albums mündete. Die Release im ganzen Wortsinn eben: Ein Orgasmus, nach dem die Sache erledigt ist.
Doch die Indizien bei "Magna Carta" sprechen für ein anderes Grundkonzept. Die Veröffentlichung scheint hier nicht das Ende und auch nicht der geplante Höhepunkt einer langen Reise von Hinweisen und Anreizen, sondern nur ein minimales Steinchen des Turmbaus zu Babel, der nach dem Hip Hop "Heaven" strebt, zu sein.
Die Release von "Magna Carta" war nicht das Ende oder das Ziel. Erst gestern tanzte Jay-Z mit Marina Abramović – der Tag ging auf Twitter als "The Day That Performance Art Died" ein. War das der Höhepunkt? Oder war es der Tag als Jay-Z das Album neben der echten "Magna Carta" präsentierte? Oder, wahrscheinlicher: Es gibt gar keinen Höhepunkt.
Wagner, Baby
Es soll hier nicht darum gehen, die musikalische Schwäche von Magna Carta zu rechtfertigen. Als Musikliebhaber wird einem dieses Album nicht viel geben. Wenn man sich aber für zukunftsweisende Konzepte interessiert, wird an "Magna Carta" kein Weg vorbeiführen. Das Absurde und auch irgendwie Lustige daran ist, dass man es sich dazu nicht einmal anhören muss.
Richard Wagner hatte mit seiner Prägung des Wortes "Gesamtkunstwerk" vielleicht nicht Jay-Zs Album "Magna Carta" im Sinn, aber irgendwie ist es das auf einer gewissen Ebene dann doch: Die ästhetischen Grenzen verschwimmen um etwas zu schaffen, was einen eigenen Anspruch erhebt. Dass das nun eben die Grenzen zwischen Marketing und Musik, oder sagen wir gleich Kunst, sind, darf man natürlich trotzdem scheiße finden. Vielleicht sind wir aber selbst schuld, dass wir vom Album mehr erwartet haben. Dass hier mit neuen Regeln gespielt wird, hätte uns nämlich klar sein müssen.
"Magna Charta … Holy Grail" ist soeben via Universal erschienen. Auch nicht schlecht: Satans Rolle in all dem.