Mit 66 ins Museum

Das Londoner Victoria & Albert Museum zeigt ab März eine große David Bowie-Ausstellung, die mit Sicherheit die erfolgreichste Designausstellung aller Zeiten wird – falls man sie als solche bezeichnen will.

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War es ein Ereignis oder doch nur ein Medienereignis? Wie auch immer, es war heuer die erste große Überraschung im Popbusiness: Am 8. Jänner, dem 66. Geburtstag von David Bowie, wurde – ohne jede Vorankündigung – sein neuer Song »Where Are We Now?« ins Netz gestellt, eine melancholische und zugleich nicht unironische Reminiszenz an seine bahnbrechenden Berliner Jahre Mitte der 70er Jahre. Auch wenn Skeptiker den neuen Song keinesfalls als innovativen Schritt oder gar als großen Hit ansehen, so müssen sie doch zugeben, dass dem großen Verwandlungskünstler zumindest eine ordentliche Überraschung gelungen ist. Denn der Song und die Ankündigung eines neuen Albums mit dem Titel »The Next Day« für März war das erste Lebenszeichen seit beinahe zehn Jahren. 2003 war das letzte Studioalbum »Reality« erschienen, ein Jahr später hatte der Künstler bei einem Festival in Deutschland einen Herzinfarkt erlitten und sich darauf komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seitdem kursierten Gerüchte über seinen Gesundheitszustand und darüber, ob er jemals wieder als Künstler in Erscheinung treten würde. Und jetzt das.

Glamour vs. Design

Am 8. Jänner jubelte aber nicht nur Bowies globale Fangemeinde, sondern das Museum, das sich selbstbewusst »the world’s greatest museum of art and design« nennt: das Londoner Victoria & Albert Museum, kurz V&A. Denn dort zeigt man ab 23. März die erste große Ausstellung über den Popkünstler Bowie unter dem Titel »David Bowie is« – und auf der Museums-Website rät man schon jetzt den Besuchern, Tickets im Voraus zu reservieren. Das V&A weiß genau, was zu erwarten ist. Schließlich widmete es bereits 2007 einem Popstar eine extrem erfolgreiche Ausstellung: »Kylie Minogue – the Exhibition« zeigte Kostüme und Bühnenoutfits der erfolgreichsten Popsängerin nach Madonna und lockte über 270.000 Interessierte ins Haus. Damals heimste man allerdings auch Spott ein: Eines der weltweit wichtigsten Kunsthandwerks- und Designmuseen widmet einem derartigen Püppchen eine eigene Ausstellung?

Den Vorwurf der Quotengeilheit wird man im Falle von Bowie zwar nicht so oft hören, die künstlerische Qualität seines Werks bürgt für sich, aber die Frage, wie viel Celebrity-Kultur ein Museum verträgt, wird sich das V&A auch diesmal stellen lassen müssen. So ereiferte sich bereits der Direktor von Art Watch UK, Michael Daley, darüber, dass Museen nur mehr auf Besucherzahlen schielen würden: »Die Museumswelt verliert ihren Faden. Offenbar kann man das V&A jeden Tag mit Leuten anfüllen, wenn man nur ein Popkonzert oder ein paar Promis hat. Mode ist etwas Größeres als nur Personenkult. Wenn schon Bowie, warum nicht gleich Liberace?« Martin Roth, Direktor des V&A, ließ in einem Interview mit dem /Guardian/ an der Seriosität und museologischen Sinnhaftigkeit des Projekts natürlich keinerlei Zweifel aufkommen: »Bowie ist unvergleichlich. Niemand sonst hat die Welt so sehr inspiriert, nicht nur in Hinblick auf Musik, sondern auch in den Bereichen Kunst, Mode und Style. Er hat eine Vision von Individualismus entworfen, die für eine ganze Generation entscheidend war.«


Morgen vs. Gestern

Wie sehr Bowie alleine die Designwelt bis heute in Atem hält, zeigen die zahlreichen Posts zu den Covern, die das Grafikdesignstudio Barnbrook für die Single »Where Are We Now?« und das folgende Album »The Next Day« entworfen hat. Für Letzteres nahm man kurzerhand den Umschlag der legendären »Heroes«-LP aus dem Jahr 1977, strich den Titel und überdeckte Bowies Porträt mit einem weißen Quadrat, auf dem der Titel »The Next Day« zu lesen ist. Die Idee dahinter erläutert Jonathan Barnbrook, der auch schon die Cover zu den Bowie-Alben »Beaten« und »Reality« entworfen hatte, so: »Wir wollten etwas anderes machen in einem Bereich, in dem schon alles ausprobiert worden ist. Wenn man ein Bild von früher für ein Cover verwendet, dann normalerweise bei ›Greatest Hits‹. Aber in diesem Fall beziehen wir uns auf den Titel ›The Next Day‹. Bei dem mit einem großen weißen Quadrat bedeckten ›Heroes‹-Cover geht es um den Geist von großer Pop- oder Rockmusik, der immer mit dem unmittelbaren Moment zu tun hat und die Vergangenheit negiert. Wie auch immer, wir wissen alle, dass das nie ganz klappt. Wie sehr man sich auch bemüht, man kann sich von der Vergangenheit nie frei machen. Die Leute werden dich immer in Relation zu deiner Vergangenheit beurteilen, egal, wie sehr du dich auch bemühst, dem zu entkommen.« Womit der Designer zweifellos einen zentralen Punkt anspricht, der bei Bowie wie fast bei keinem anderen stets diskutiert wird. Sein künstlerischer Werdegang hat dafür gesorgt, dass er sich zwar pausenlos neu erfunden hat, aber stets an den eigenen Meilensteinen – wie »Ziggy Stardust« – gemessen wurde.

In der Ausstellung werden Grafikdesign und Bowies LP-Covers zwar eine Rolle spielen, aber die wichtigsten Impulse setzte der Künstler bei seinen Outfits. Sein Gespür für die richtigen Modedesigner zur richtigen Zeit ist legendär. Über 60 Bühnenkostüme wird es zu sehen geben, so etwa den Bodysuit von Freddie Burretti für Ziggy Stardust, Kansai Yamamotos Entwürfe für die Alladin Sane-Tour, die den Japaner in Großbritannien erst so richtig bekannt machte, und der Union-Jack-Mantel von Alexander McQueen für »Earthling«. Bei einem Gesamtkunstwerk wie Bowie bleibt auch beim Set Design nichts dem Zufall überlassen, als Beispiel dient die Diamond Dogs-Tour 1974, deren Ästhetik sich stark an Fritz Langs »Metropolis« sowie George Orwells Roman »1984« orientierte.

Aliens vs. Tradition

Wie stark sich Bowie – in engem Austausch mit den wichtigsten zeitgenössischen Designern und Künstlern aller Sparten – in den Entwurfsprozess einmischte, lässt sich anhand von Skizzen ablesen, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein werden, darunter auch ganz frühe Arbeiten wie Bühnen- und Modedesign für die Band The Kon-rads, bei der er unter dem Pseudonym Dave Jay sang. Doch Bowie war bekanntlich noch in einem viel umfassenderen Sinn Designer, schuf er doch Kunstfiguren, die komplett neue Existenzmöglichkeiten verkörperten. Ziggy Stardusts Mischung aus Androgynem und Außerirdischem wurde zur Produktionsfläche für viele, denen die traditionellen gesellschaftlichen Rollenbilder längst zum Halse raushingen.

Die Ausstellung wird über 300 Objekte versammeln, die zum ersten Mal in dieser Form zu sehen sind, größtenteils stammen sie auch den David Bowie Archives in New York: Handgeschriebene Lyrics, Kostüme, Fotografien, Filme, Musikvideos, Instrumente … Die Fans werden aus dem Häuschen sein und sich herzlich wenig darum scheren, ob das noch eine Designausstellung ist oder einfach die größte Popstar-Personale unserer Tage. Für Journalisten gibt es im Museum übrigens eine eigene Ansprechpartnerin, die ausschließlich für die Kommunikation der begleitenden Merchandising-Artikel zuständig ist. Auch rekordverdächtig. Da kriegt der Titel von Bowies neuer Single gleich eine zusätzliche Bedeutung: Where are we now?

»David Bowie is« ist vom 23. März bis 28. Juli im Londoner V&A zu sehen. »The Next Day« erscheint am 3. März via Sony BMG.

Bild(er) © Roy Ainsworth/Brian Duffy/Masayoshi Sukita
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