Koffer gepackt und ab in ein fremdes Land – was für viele einen Traum darstellt, war in den 1960er-Jahren pragmatische Realität für viele Gastarbeiter*innen. Dass im Zuge der Gastarbeit wahrhaft nicht alles rosig war, thematisiert das Stück »Auf der Suche: Gastarbeiterler ‘60« im Dschungel Wien.
Was bedeutet es, in einer anderen Sprache zu leben? In einem anderen Land anzukommen? Was bedeuten Gastarbeit, Diskriminierung und Migration?
Zum Jubiläum von 60 Jahren Gastarbeit in Österreich – 1964 kam es zum Abkommen zwischen Türkei und Österreich, 1966 folgte jenes mit dem damaligen Jugoslawien – bringt die Dramaturgin Elif Bilici mit jungen Menschen das Thema auf die Bühne des Dschungels Wien und gibt somit eine Antwort auf die ein oder andere der obigen Fragen.
Bei einer Schreib- und Theaterwerkstatt wurde das Thema vorab bei gemeinsamen Arbeitstreffen aufgegriffen und die Workshopteilnehmer*innen bekamen so die Möglichkeit, zusammen ein Stück zu entwickeln. »Mehrsprachigkeit war unser Hauptthema und wir haben es unter anderem um Migration und Diskriminierung erweitert«, so die Dramaturgin Elif Bilici im Interview. »Wir haben mit Armela Madreiter und Thomas Perle zusammengearbeitet und mit ihnen die Texte geschliffen.«
Die Workshops fanden für je zwei Stunden wöchentlich statt, fixe Schreibzeiten waren dabei Programm. Denn die Texte zu Hause zu schreiben »hat dann doch nicht so gut funktioniert«, lacht Bilici. »Deshalb haben wir sie im Workshop zusammen geschrieben.«
Kooperationen gab es mit dem Grazer Verein Stimmen der Vielfalt, dem Museum der Migration und mit dem Verein Demokratie, was geht?. So kamen viele junge Theaterinteressierte zusammen und entwickelten von November 2023 bis Juni 2024 eine Performance, die dann im Rahmen des Festivals der Theaterwerkstätten im Dschungel Wien präsentiert wurde.
Arbeitskräfte rufen, Menschen kommen
»Eigentlich wollte ich die Darstellung körperlicher machen«, erinnert sich Bilici. »Im Laufe der Zusammenarbeit haben wir uns auf die Mehrsprachigkeit konzentriert und einen Sprechchor gegründet.« Geleitet von Bruno Pisek, erzählen die Jugendlichen im Chor die Geschichte eines Gastarbeiters.
»Irgendwann hatten wir einen Gast bei uns, einen Gastarbeiter, mit dem die Jugendlichen ein Interview führen durften – Ali Gedik, ein kurdischer Aktivist aus der Türkei. Wir haben davor viele Texte über andere Kulturen geschrieben, aber dieses Treffen war ein Wendepunkt«, so Bilici.
Nach diesem Interview wurde Gastarbeit zum zentralen Thema für die Jugendlichen. Die Texte konnten sich in der 55-minütigen Performance sehen lassen. Gefühlsvoll haben es die jungen Performer*inne geschafft, in Sätzen wie »Es wurden Arbeitskräfte gerufen und Menschen sind gekommen«die Menschen hinter den Stereotypen abzubilden und deren Lebensrealität in eine Bühnenfassung zu gießen.
»Es gibt über das Thema Gastarbeit keine städtische Veranstaltung der Stadt Wien, keine Feier für die 60 Jahre Gastarbeit«, erzählt Bilici. Daher war es ihr wichtig, den Gastarbeiter*innen durch dieses Projekt eine Stimme zu geben. »Wir haben die Geschichte auf persönliche, politische und künstlerische Art aufgearbeitet.«
Auch eine Fotoausstellung im Dschungel Wien (in den Räumen vor Bühne Nummer drei) nähert sich dem Thema und gibt mit Gegenständen wie Audiokassetten, Koffern und Zeitungsausschnitten einen Einblick in den damaligen Alltag.
Ehrlich und mehrsprachig
Das Stück behandelt sensibel die Geschichte von Ali Gedik, alternierend mit Monologen, die die Jugendlichen selbst geschrieben haben. Es geht um harsche Arbeitsbedingungen – schlafen, arbeiten, schlafen, arbeiten, … – aber auch um Heimweh, das nur im türkischen Laden für einen kurzen Moment gestillt wird.
Untermalt werden die Texte mit Musik – »keine westlich-orientierte Musik«, kommentiert Bilici –, gespielt auf verschiedenen Saiten- und Blasinstrumenten. Dazwischen ist die Performance eingebettet in den Sprechchor. Im Hintergrund leuchten immer wieder Schwarz-Weiß-Fotografien auf der Leinwand, die Arbeiter*innen mit Koffern und Reisetaschen, aber auch in engen Küchen und eingepfercht zwischen Betten zeigen.
Das Stück ist ehrlich und ehrlich ist auch die Betroffenheit der Jugendlichen, die mit Leidenschaft ihre Texte präsentieren, die von Ausgrenzung, Rassismus und Sprachbarrieren erzählen. Gespielt wird dabei mit verschiedenen Sprachen – Kurdisch, Türkisch, Japanisch, Ukrainisch, Englisch, Deutsch, Arabisch, Serbisch, Italienisch, Rumänisch, Romanes –, was gleichzeitig die Vielfältigkeit der Gesellschaft zeigt. Eine gelungene Feier von Mehrsprachigkeit und Gastarbeit.
»Auf der Suche: Gastarbeiterler 60‘« wurde im Rahmen des Festivals der Theaterwerkstätten, welches von 7. bis 11. Juni im Dschungel Wien stattfand, aufgeführt.