Solidarische Zusammenarbeit – Mo Harawe im Interview zu »The Village Next to Paradise«

Mit seinem Langfilmdebüt wurde Mo Harawe nach Cannes eingeladen. Nun startet der in Somalia gedrehte Film auch bei uns in den Kinos. Im Interview mit The Gap erzählt der Regisseur von komplexen Figuren, einer Absage an Klischees und Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

© Freibeuter Film

Mo Harawe sei aktuell viel unterwegs, lässt uns seine Pressebetreuerin wissen. Kein Wunder, schließlich ging es für den Regisseur und Drehbuchautor dieses Jahr mit seinem Film »The Village Next to Paradise« nach Cannes. Eine große Ehre – vor allem bei einem Langfilmdebüt und vor allem für einen Regisseur, dessen Weg in die Branche nicht so geradlinig verlief. 1992 in Mogadischu geboren, flüchtete Mo Harawe als Jugendlicher alleine nach Europa. Seit 2016 lebt er nun in Wien. Bereits seine bisherigen Kurzfilme drehten sich meist um Probleme von Menschen in der Fremde. In »The Village Next to Paradise« sind das die Probleme der drei zentralen Figuren Ahmed Ali Farah (Mamargade), Anab Ahmed Ibrahim (Araweelo) und Ahmed Mohamud Saleban (Cigaal). Für The Gap nahm sich Mo Harawe trotz vollem Kalender Zeit, einige Fragen zu beantworten.

Dein Langfilmdebüt »The Village Next to Paradise« spielt in Somalia. Zu Beginn des Films sieht man eine Szene aus einer Nachrichtensendung. Wie wird Somalia deiner Meinung nach in den Medien gesehen, welche Narrative gibt es zu diesem Land, in dem du geboren und aufgewachsen bist?

Mo Harawe: Failed state – und das war’s. Die Themen, die der Film anspricht, werden meistens sehr oberflächlich und einseitig berichtet. Das ist lazy. Aber das betrifft nicht nur Somalia.

Welche Narrative wolltest du – eventuell im Gegensatz dazu – in deinem Film erzählen?

Gar keine Narrative, sondern ich wollte versuchen, tiefer zu gehen, und die Menschen zeigen, die mit all diesen Problemen konfrontiert sind. Was die Ursachen sind, wie das ihren Alltag, ihre Entscheidungen beeinflusst und wie sie damit umgehen. Also wie komplex das Ganze ist, aber so, dass die Menschen im Vordergrund stehen – und alles andere im Hintergrund.

Der Film handelt von einer Familie, im Zentrum stehen Mamargade, Araweelo und Cigaal. Kannst du diese drei Personen und ihre Probleme kurz skizzieren?

Mamargade will sein Kind Cigaal ins Internat schicken, auch wenn er dadurch die Liebe seines Kindes verliert. Cigaal will Kind bleiben und zu Hause bei seinem Vater sein, aber muss zu früh erwachsen werden. Araweelo will nach einer gescheiterten Ehe eine Schneiderei eröffnen. Und die Probleme, die sie haben? Die sind im Film zu sehen und der kommt am 8. November ins Kino.

Mo Harawe (Bild: Doris Erben)

In einem Interview meintest du, dass du die Geschichte nach und nach ausgehend von den Figuren entwickelt hast. Was war dir dabei wichtig und wie gestaltete sich dein Schreibprozess?

Diesen Geist des Nie-Aufgebens, was ja eine unglaubliche Fähigkeit ist, die die Menschen in diesem Land – und bestimmt auch in vielen anderen Ländern – besitzen, den wollte ich in den Figuren zeigen. Die erste Fassung des Buchs habe ich 2018 geschrieben, eine weitere erst 2022, als es klar war, dass wir den Film machen werden.

Der Film selbst wurde dann circa drei Monate lang in Somalia gedreht. Gab es beim Dreh Dinge, die sich als einfacher oder schwieriger als erwartet herausgestellt haben?

Es war von Beginn an klar, dass der Film eine längere Drehzeit brauchen würde, als normalerweise kalkuliert wird. Wir wollten ein lokales Team, gleichzeitig wussten wir, was für eine Herausforderung das bedeutet, weil es in Somalia keine Filminfrastruktur und kaum Leute mit Film-Know-how gibt. Zum Glück hatten wir ein außerordentliches Team aus Somalia, Kenia, Uganda und Ägypten. Alle standen hinter dem Projekt – die Produktion, die Förder*innen – und haben uns mit vollem Vertrauen unterstützt.

Du hast den Film größtenteils mit Lai*innen gedreht. Wie kompliziert war es, diese zu finden? Hattest du spezifische Methoden, um mit ihnen zu arbeiten?

Sie zu finden, hat gedauert, aber es war auch nicht so, dass wir sie durchgehend gesucht hätten. Ich war immer wieder in Somalia und habe hier und da Leute getroffen. Auf der letzten Reise vor der Vorproduktion, haben wir dann alle drei Schauspieler*innen fixiert. Es war sehr einfach und angenehm, mit ihnen zu arbeiten. Sie haben ihre Figuren verstanden und ich musste nur Momente erklären. Wir haben sehr viel Glück, sie gefunden zu haben beziehungsweise dass sie uns gefunden haben.

Was ist dir bei der Arbeit am Set besonders wichtig? Was zeichnet dich als Regisseur aus?

Dass man miteinander solidarisch zusammenarbeitet, das ist mir sehr wichtig.

Im Film wird nur sehr pointiert Musik eingesetzt. Warum?

Die Art und Weise, wie der Film inszeniert ist, lässt es nicht zu, viel Musik zu haben.

Inwiefern hast du eine gezielte Farbgebung im Film eingesetzt? Hat dich dein Studium der visuellen Kommunikation dabei beeinflusst?

Das ist ein sehr intuitiver Prozess. Wichtig war es mir nur, zu definieren, was wir nicht wollten: Ich wollte Klischeefarben vermeiden, die man sonst in Filmen sieht, die in afrikanischen Ländern gedreht wurden, wo alles orange beziehungsweise gelblich ist – sogar die Hauttöne. Die Authentizität der Locations war mir ebenso wichtig. Außer Mamargades Haus haben wir die anderen Locations so gedreht, wie sie tatsächlich sind.

Wie sieht die Filmlandschaft in Somalia aus?

Dort gibt es keine Filminfrastruktur, aber es wird immer mehr Online-Content produziert und es gibt Filmemacher*innen aus der Diaspora, die leidenschaftlich versuchen, dort etwas zu schaffen.

Du bist in Somalia aufgewachsen und als junger Erwachsener nach Europa geflüchtet. Nach einem Studium in Kassel lebst und arbeitest du nun in Wien. In einem Interview meintest du, dass dich sowohl die somalische als auch die österreichische Kultur beeinflusst. Wie zeigen sich diese beiden Kulturen konkret in deiner künstlerischen Arbeit?

Das ist schwer zu beantworten. Ich habe in beiden Ländern unterschiedliche Phasen meines Lebens verbracht und ich trage von beiden Ländern etwas in mir. Das Wichtigste ist vielleicht, dass ich alles aus beiden Perspektiven beziehungsweise durch beide Objektive sehen kann.

»The Village Next to Paradise« (Bild: Freibeuter Film)

Du bist der erste Regisseur aus Somalia, dessen Film bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gezeigt wurde. Wie hast du die Premiere dort erlebt?

Ich bin nicht der erste: 2021 wurde ein Film von einem somali-finnischen Filmemacher namens Khadar Ayderus Ahmed in der Reihe »La semaine de la critique« gezeigt. Unser Film war jedoch der erste somalische in der offiziellen Selektion. Die Premiere war sehr schön, fast alle vom Team waren da. Das ist nicht selbstverständlich, daher danke ich Freibeuter Film und Kazak Productions.

Dein aktueller Film sowie deine beiden vorherigen Kurzfilme zeigen das Leben von Menschen in der Fremde beziehungsweise zwischen zwei Welten. Wie machst du diese Themen für ein breiteres Publikum greifbar?

Ich denke nicht an diese Themen, wenn ich ein Drehbuch schreibe. Erst wenn das Buch beziehungsweise der Film fertig ist, sagen mir die Leute, dass sie diese Themen darin sehen. Und selbst dann weiß ich nicht, ob das alles so stimmt. Aber das ist das Schöne bei Filmen: Jeder Mensch interpretiert Dinge anders oder sieht andere Dinge, die vielleicht niemandem sonst auffallen.

»The Village Next to Paradise« ist ab 8. November in den österreichischen Kinos zu sehen.

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