Moderat zuhören

Vergangene Woche bestellte Electronic Beats, die elektronisch affine Entertainment-Maschine von T-Mobile, ein stadtliches Abendprogramm auf den Gipfel des Grazer Schloßbergs. Es galt, das mittlerweile zehnte Springfestival gebührend in der steirischen Haupstadt einzuleiten. Zu diesem feierlichen Anlass wurden unter anderem die Berliner Moderat als krönende Headliner eingeladen.

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Welche Akteure sich hinter diesem Band-Namen verbergen, dürfte seit der selbstbetitelten Platte von 2009 bekannt sein. Für all jene, welche die Losung vergessen haben sollten: Apparat (Sascha Ring) plus Modeslektor (Gernot Bronsert und Sebastian Szary) ergibt in Summe Moderat. Das wiederum meint abstrakt-technoide Songs, die nicht nur Tanzbereitschaft ambitionierter Clubgeher, sondern auch die Aufmerksamkeit Musikbegeisterter Zuhörer abverlangen. Besonders den zuletzt genannten Aspekt, zuhören können und wollen als notwendige Qualität eines Moderat-Publikums, betonte das sympathische Trio im Interview. Vom umjubelten Auftritt und diversen Alkoholika angeheitert, ergab sich Backstage mit den Dreien ein entspanntes Gespräch über prägende Platten, verkorkste Auftritte und eine Berliner Clubszene, der die Band zu entwachsen scheint.

Welche Platte habt ihr euch zuletzt gekauft?

Sebastian: Oh scheiße, wie hieß denn die…?

Sascha: Ich hab mir Efterklang gekauft. Sehr schöne Platte, gut gemacht. Ich fand die ersten Platten so ein bisschen überambitioniert. Die wollten zuviel. Die letzte Platte war eigentlich auf den Punkt gebracht. Ein bisschen reduziert, ein bisschen Pop rein.

Sebastian: Es war nicht wirklich eine Platte, es war in digitaler Form. „Round and Round“ (siehe Ariel Pink’s Haunted Graffiti). Neulich gehört, eine sehr schöne Popplatte.

Gernot: Ich kauf mir immer so extrem viele Platten…Moondog. Kennst du Moondog? Gib mal bei Wikipedia ‚Moondog‚ ein. Das ist ein Straßenmusiker aus den 50er Jahren, New York. Der hat sich immer als Wikinger verkleidet, war blind, hatte einen langen Rauschebart und hat ziemlich grandiose Musik gemacht. Und hat dann unter anderem mit absoluten Größen des Jazz und der Klassik Musik gemacht, ist dann irgendwann in Deutschland gelandet und in der Schweiz gestorben. Der hat viel Musik releast und dann gabs auch ein paar Releases auf Honest Johns. Das Label aus England, mein favorisiertes Label im Moment, nach Monkeytown Records (grinst).

Gab es eine besonders wichtige und inspirierende Platte zu Beginn eurer Karrieren?

Sa : Das waren total viele. Ich komme aus der Provinz und das absolute Highlight meiner Woche war die Hardwax-Lieferung, die gekommen ist. Ich habe Mailorder-Bestellungen gemacht und da gabs so krassen Bunker-Acid Planet-Kratz-Techno. Es war jedesmal wirklich ein Fest, ein Weihnachten. Natürlich fand ich die erste Plastikman-Platte (siehe Richie Hawtin) wahnsinnig geil. Grundsätzlich war es dieser Sound, diese Holland-Bunker-Acid Planet-Referenz waren alles so mega kratzige Assi-Platten, die mich geprägt haben.

Se : Die erste entscheidende Platte war X-101 von Undergrund Resistance, verbunden auch mit einem Konzert im Tresor. Was unfassbar war, für damalige Verhältnisse. 1991- Ich dachte, was ist jetzt los!?

G: Bei mir sind es zwei Platten, die mich total geprägt haben, die mich dazu gebracht haben, der elektronischen Musik zu verfallen. Es gab mal so einen italienischen Disco-Hit, der hieß "Sueno Latino". Da gab es einen Derrick May Remix und der war ganz großartig. Den hab ich über Kabelradio 1990/91 gehört. Ich dachte nur, was ist das!? Das war so die erste Erfahrung, wo ich dachte, ich will elektronische Musik erkundschaften.

Dann hab ich eine Platte gefunden, die hab ich immer noch. Die war unfassbar, ist immer noch unfassbar – von einem Musiker namens μ-Ziq, Michael Paradinas aus London (siehe Planet Mμ). Der hatte ein Album, das hieß „Tango N‘ Vectif“. Da gibt es einen Song, der heißt „μ-Ziq Theme“. Das ist unfassbar. Diese Platte und speziell dieses Stück haben mir die Weichen gestellt.

Wer ist 2010 der spannendste Produzent aus Deutschland?

G: Da würde ich jetzt spontan sagen: Apparat. Das sag ich jetzt nicht, weil er mein Kumpel ist. Sondern, weil er eine absolut gute Platte gemacht hat, wo er sagt, sie ist nicht fertig – ich finde sie ist fertig. Dann auf jeden Fall Siriusmo, der ganz andere Musik macht, aber ein absolut spannender und talentierter, extrem guter Produzent ist. Dann mag ich sehr die Sachen von Marcel Dettmann, ein Berghain Resident DJ.

Se : Ich sehe das ganuso wie Gernot.

Sa : Keine Ahnung. Ich höre ja nicht so viel Musik gerade, weil, wie gesagt, ich mach gerade eine Platte und da versucht man sich immer zu isolieren und sich gar nicht so beeinflussen zu lassen. Aber ich muss Gernot zustimmen. Siriusmo ist auf jeden Fall eine wahnsinnige, bis jetzt noch unterbewertete Persönlichkeit. Wenn das Album mal da ist, wird sich das schnellstens ändern.

Themawechsel: Euer bisher schlimmster Auftritt?

Sa: Hamburg – „Übel und gefährlich“ (alle lachen). Der Laden heißt schon so, der Name war Programm. Ich war auch etwas krank und es war schwierig…Das war auch unser schlecht besuchtester Auftritt.

G: Das war noch ganz am Anfang von der Platte.

Sa: Wir spielen auch gar nicht viel in Deutschland. Wir haben eigentlich nie einen wirklich schlechten Gig gespielt. Das war der einzige wo es so richtig geschliffen hat.

Wir haben ja gleich mit einer Amerika-Tour angefangen, was nicht unbedingt die beste Idee war. Die Platte war ja noch gar nicht draußen und wenn die Leute zu den Konzerten kamen, dann war das eigentlich, weil sie uns als Modeselektor oder Apparat kannten. Moderat war da noch kein Thema. Trotzdem hat das wahnsinnig gut funktioniert. Wir haben mehr so Konzert-Venues bespielt, wie wir es ja auch machen wollen. Wir wollen ja mehr eine Konzertband sein, um elf spielen und ein Konzert abliefern, was ein bisschen ‚dancy‘ ist, aber die Leute kommen halt, um die Musik zu hören. Das war ein guter Einstand, hat super funktioniert und so haben wir das den ganzen Sommer weitergemacht. Danach war Europa eigentlich nur mehr ein Spaziergang.

Was stört euch am meisten an der Clubszene in Berlin?

Se: Was für eine Clubszene?

Sa: Ich habe gerade so eine Dokumentation gesehen. Da ging es um die 80er und irgend so ein Label-Typ hat gesagt, dass die Clubszene in den 80ern irgendwann der hedonistischen Feierkultur zum Opfer gefallen ist. Weil die Leute nur noch in den Club gegangen sind, um einfach ohne Konsequenzen zu feiern und sich eigentlich nicht wirklich um die Musik geschert haben. Es ging halt nur noch um Spaß. So ein bisschen hab ich manchmal dieses Gefühl in Berlin. Ok, die wollen jetzt laut, dick, raven, saufen und ficken. Aber Musik ist da nicht immer vordergründig. Ich glaube, das haben wir mit unserem letzten Konzert ein Bisschen geschafft zu umgehen. Das war halt ein wirkliches ein Konzert. Da haben wir Mittwochs gespielt, irgendwann Abends um elf, ganz brav. Da sind die Leute wirklich wegen der Musik gekommen. Das war eine ganz andere Erfahrung. Das ist nicht wie in den Club gehen und dann Nachts um drei spielen.

Zumindest für Moderat ist das definitv der Weg. Einfach sichergehen, dass die Leute wirklich musikinteressiert sind. Ich meine, ich gehe auch gerne in den Club, dichte mich ab und alles andere ist egal. Aber als Künstler würde man gerne ein Publikum vor sich haben, das wirklich musikalisch begeistert ist.

Wann kann mit neuen Moderat-Releases gerechnet werden?

G: Wir sitzen gerade an einer EP, aber wir sind noch am Erforschen. Wenn wir es schaffen, wird die noch vor dem Sommer rauskommen.

Sa: Album wird auf jeden Fall noch dauern. Ich glaube, das ist eine ganz gute Herangehensweise. Einfach warten bis es reif ist. Beim letzten Mal hat es acht Jahre gedauert, diesmal nicht.

G: Der Plan ist intensiv daran zu arbeiten und wenn wir Glück haben, kommt sie 2012, wenn nicht dann halt 2013.

Sa: Mittlerweile ziehen die Jahre ja nur so vorbei. Das gute ist, wir haben einfach rausbekommen, dass wir uns hin und wieder mal zusammensetzen und einfach mal einen Songzwischendurch zusammen machen. Das werden wir auf jeden Fall weiter machen und dann wächst wahrscheinlich unser Repertoire an Songs und dann müssen wir irgendwann nur noch auswählen.

Das haben wir einfach die ganzen acht Jahre nicht geschafft, da haben wir uns nur getroffen und auf der Veranda gegrillt oder gesoffen. Und jetzt treffen wir uns halt auch mal zwischendurch im Studio.

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