Man solle Musik nicht nur feiern, sondern auch ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert erkennen – und angemessen in sie investieren, meint Shain Shapiro. Als Experte für Music Cities hat er ein Handbuch zum Umgang mit der Corona-Krise und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Städten herausgegeben, über das er auch im Rahmen der Waves Conference sprechen wird.
Wie können sich Städte und ihre Kultur wieder erholen, wenn gleichzeitig Musikvenues wegen des Corona-Lockdowns vor dem Aus stehen?
Zum einen muss man etwa den Wert von Musikvenues neu denken. Wenn wir ihnen eine gesellschaftliche Bedeutung beimessen, dann sollten sie von der öffentlichen Hand gehalten werden. Unser Wassersystem ist wichtig, deshalb bleibt es in der öffentlichen Hand. Züge sind wichtig, deshalb verkaufen wir sie nicht an private Unternehmen – zumindest in manchen Ländern. Eine Option wäre eine Stiftung, um sicherzustellen, dass Venues nicht einfach nach ihrem Immobilienwert beurteilt werden, sondern danach, was in ihnen passiert. Zweitens: Wenn Venues nicht aufsperren können, braucht es anpassungsfähige Konzepte, um sie anders zu nutzen – für private Veranstaltungen oder Dreharbeiten zum Beispiel. Und dann der Bereich Steuern, Abgaben, Lizenzen, all die Regularien, innerhalb derer diese Venues arbeiten müssen – das muss man sich ansehen. Im UK ist eine Musikvenue eines der wenigen Geschäftsvorhaben, gegen das man Einspruch erheben kann, noch bevor es überhaupt aufgesperrt hat. Man erhebt hier also gegen ein Konzept Einspruch. Wir müssen diese Geschäftszweige mit dem gleichen Respekt behandeln wie eine Fabrik oder jedes andere Business. Es ist klar, dass wir hier eine andere Herangehensweise brauchen, wenn wir Venues als Inkubatoren oder Innovation Hubs sehen, als Plätze, die notwendig sind, um Musik zu unterstützen. Das größte Problem ist die Einstellung, nicht das Geld. Es gibt genug Geld da draußen. Es geht um die Einstellung und den Willen, sich um diesen Geschäftszweig auf gleiche Weise zu kümmern wie um andere.
Wie es etwa bei Fluglinien der Fall war?
Genau, sehr gutes Beispiel. Oder angenommen, die Wiener Staatsoper oder das Royal Opera House in London stünden vor dem Aus – man würde sie sofort retten. Würde das bei Ministry Of Sound (einem international sehr einflussreichen Londoner Nachtclub; Anm. der Red.) auch passieren? Ministry Of Sound hat einen ähnlichen kulturellen Stellenwert wie das Royal Opera House, nur eben für einen anderen Bereich. Würde man das berücksichtigen, hätten wir einen sehr viel angemesseneren Zugang dazu, Venues zu retten oder zu schützen.
Ist es da nicht ein Problem, dass die kulturelle Infrastruktur in den letzten Jahren verstärkt von internationalen Konzernen übernommen worden ist?
Städte haben das Talent Management outgesourct, in vielerlei Hinsicht. Und wenn aktuell lokale Musik die einzige Livemusik ist, dann müssen wir anders darüber nachdenken, wie wir musikalisches Talent kreieren und aufbauen. Sich darauf zu verlassen, dass Spotify oder Live Nation die lokale Szene unterstützen, wird einfach nicht funktionieren.
Welche anderen Aspekte neben der Infrastruktur kann man stärken, um die Resilienz einer Stadt zu erhöhen?
Ich glaube, dass Musik mit anderen Themen in einer Community koordiniert werden muss. Wenn wir über die Probleme des Musiksektors sprechen, geht es oft darum, wie wir das Leben von MusikerInnen verbessern können. Man kann mit Musik aber ganze Städte besser machen. Wenn Venues finanzielle Unterstützung erhalten, dann könnte man diese an klimafreundlicheres Handeln knüpfen. Wir müssen das, was gut für die Musik ist, mit dem verbinden, was gut für alle ist. Das ist eine der grundlegenden Lehren des »Resilience Handbook«.
Im Rahmen der Waves Conference 2020 wird Shain Shapiro am 10. September an einem Panel zum Thema Music Cities teilnehmen. Nähere Infos zum Waves Festival finden sich in unserer Sonderausgabe zur Veranstaltung.