Nach einer kurzen Schwärmerei über Glühwein und Aperol Spritz erzählen uns die beiden Sänger Tim Wheeler von Ash und Keith Murray von We Are Scientists kurz vor ihrem Doppel-Konzert im Wiener Flex über ihre gemeinsame Europatournee, neue und alte Platten und über den Terroranschlag im Pariser Club Bataclan, dem Keith Murray nur knapp entgangen ist.
Tim, ihr habt heuer ein neues Album namens “Kablammo!“ herausgebracht, obwohl ihr nach eurem letzten Album “Twilight Of The Innocents” 2007 bekanntgegeben habt, nur mehr Singles und keine Alben mehr zu veröffentlichen.
Tim: Wir haben gelogen (lacht).
Keith: Ich habe sie seit 2007 jeden Tag angefleht, doch wieder ein neues Album herauszubringen. Ich kann mir einfach nicht all diese Singles anhören, ich brauche sie zusammengeschweißt.
Ich wollte gerade fragen, warum ihr eure Meinung geändert habt, es war also wegen Keith?
Tim: Keith Murray, der jeden Tag vor meinem Apartment stand. Nein, ich denke, wir haben diese Singles-Schiene konsequent verfolgt. Billy Corgan wollte zur selben Zeit etwas Ähnliches machen, hat aber nach ein paar Monaten aufgegeben. Wir haben es ein volles Jahr durchgezogen, darauf bin ich stolz, auch wenn es schwer war, es zu vermarkten, noch dazu über unser eigenes Label. Aber Alben sind trotz Spotify nicht ausgestorben. Sogar dort hören sich Leute ganze Alben an, auch Vinyl kam wieder zurück. Aber es war anfangs schon schwierig, nach der totalen Freiheit wieder ein Album zu machen.
Gibt es einen Unterschied, wenn du einen Song für ein Album oder als Single schreibst?
Tim: Absolut. Bei Singles hat man komplette Freiheit. Wir haben auch versucht, jeden Song anders klingen zu lassen, weil man sich keine Sorgen machen musste, dass sie auf einem Album zusammen passen. Nun wollten wir aber wieder mit einem Album auf Tour gehen. Wir könnten auch “Under The Sea“-Versionen der neuen Songs machen (lacht).
Ihr macht ja immer wieder Akustikversionen eurer Songs.
Tim: Ja, das haben wir erst kürzlich wieder gemacht.
Keith: Ihr müsst sie nur noch richtig „Under The Sea“ benennen.
Wie seht ihr die Zukunft der Musikdistribution, wird es weiterhin Alben, sprich CDs oder Vinyl geben, oder wird sich alles mehr in Richtung Downloads und Streaming verlagern?
Tim: Ich weiß nicht, ob uns Streaming jemals ein gutes Einkommen ermöglichen wird. Ich finde es toll, dass, etwa zehn Jahre, nachdem in der Musikindustrie alles den Bach runter gegangen ist, immer noch Bands existieren können. Früher hieß es, wenn man keinen Plattendeal bekommt, ist die Karriere zu Ende, und es ist schön zu sehen, dass es heute nicht so ist. Was denkst du, Keith?
Keith: Ich denke, es wird bald nur mehr Talk Radio geben. Wir werden nur mehr Platten herausbringen, auf denen wir Blödsinn reden. Oder Podcasts (lacht).
Das erinnert mich an einen weiteren Song auf “Crap Attack”, ein Coversong auf Deutsch von Bela B., "Sie hat was vermisst".
Keith: Oh, ja, ich habe zwar keine Ahnung, wie man den Song ausspricht, aber übersetzt heißt er sowas wie “She Will Be Missed”.
Tim: Wie seid ihr denn auf die Nummer gestoßen?
Keith: Ich glaube, wir haben denselben deutschen Promoter und Bela B. wollte Coverversionen einiger unserer Songs machen. Es sollte eine Doppelsingle werden, also haben wir auch ein Cover von einem seiner Songs gemacht, wo Chris in recht passablem Deutsch den Text einfach spricht, was sehr lustig ist.
Tim: Sind sie sowas wie die deutschen Art Brut?
Keith: Nein, es ist ein regulärer Popsong, aber Chris hat eine spoken word-Version draus gemacht. Und unsere Musik hat glaube ich gar nichts mit dem eigentlichen Song zu tun (lacht). Wir haben übrigens dasselbe mit einem Art Brut-Song gemacht, aber anstelle ihn wie im Original zu sprechen, haben wir ihn gesungen. Und das ist alles auf “Crap Attack”? Tolles Album eigentlich, wir hätten es besser “Treasure Chest” nennen sollen (lacht).
Kommen wir zwischendurch zu einer ernsteren Frage. Ich habe gesehen, dass ihr Anfang Dezember in Paris spielt. Hat sich durch die schrecklichen Ereignisse etwas in eurer Tour-Routine oder eurem Tourplan geändert?
Tim: Ich denke, die Frage gebe ich an dich weiter, Keith.
Keith: Ich war kürzlich in Paris auf Urlaub und war tatsächlich an diesem Abend im Club Bataclan. Ich bin gut mit dem Drummer der Eagles Of Death Metal befreundet und bin zu deren Show gegangen. Aber ich habe den Club verlassen, kurz bevor die Terroranschläge passierten. Ich habe auch Freunde, die am selben Abend am anderen Ende der Stadt gespielt haben, also war ich nur kurz im Bataclan und bin dann zur anderen Show gefahren. Als ich dort ankam, waren alle aufgeregt und konnten nicht glauben, dass ich da war. Ich hatte keine Ahnung, wovon die redeten, und dass wir den Attacken knapp entgangen sind. Für mich fühlt es sich verrückt an, nun in Paris zu spielen. Es macht mir emotional etwas Angst, aber rational gesehen glaube ich nicht, dass man mehr besorgt sein sollte, als sonst. Und auf der anderen Seite finde ich es gut, ein Zeichen zu setzen und es einfach zu tun.
Habt ihr daran gedacht, den Auftritt abzusagen?
Tim: Wir wollten zuerst mal die Meinung des Promoters vor Ort abwarten.
Keith: Wir wussten, dass sich die Frage sicherlich stellen wird, aber eigentlich haben wir gehofft, dass wir dort spielen können.
Tim: Ich glaube Stiff Little Fingers haben ein paar Tage nach den Anschlägen in Paris gespielt. Ich denke, es ist wichtig, weiter zu gehen, speziell, wenn man so wie ich in Nordirland aufgewachsen ist. Das Leben kann nicht aufgrund von Terrorismus stoppen. Musik ist eine der größten Freuden, die es gibt, und ich denke, es ist wichtig für unsere Fans, dass wir in Paris spielen.
Fotos vom Livekonzert von We Are Scientists, Ash und Wash kann man sich hier ansehen.