Musik zum Anfassen

Die geilere Clubnacht ist heute schon mal „Kunst“ – z.B. hier auf dem Berliner CTM Festival. Warum das so ist und wo das noch hinführt lest ihr hier sowie ein Interview mit einem der Art Director.

Ob das Improv, Noise, Metal oder Techno war, Gespräche oder Installationen, wir haben alles hier herein geschmissen und diese eng miteinander in Austausch gebracht, sodass sich alle und alles diesen Ort teilen mussten. Und genau das hat für uns immer Clubbing ausgemacht, zumindest hier in Berlin und wie es in der Nachwendezeit entstanden ist. Viele Clubs wurden damals von Künstlern betrieben, die nicht mit den durchgeplanten Konzepten an die Sache herangegangen sind, wie wir das heute kennen – wo die Club sich standardisiert, auch kommerzialisiert haben, wo sie auch vielen äußeren Gegebenheiten statt geben mussten – also Regularien entsprechen usw. Die frühen Erfahrungen sind die Inspirationsquelle, aus der die CTM entstanden ist.

Zurück zu deiner Ausgangsfrage; uns ging es immer darum, Musik ernst zu nehmen, egal ob Metal, Techno oder experimentelle Performance. Du findest in all diesen Musikformen Perspektiven und Blickwinkel, die die über die Musik hinausweisen. In der Arbeit mit dem ästhetischen Material hast du als Musiker eine riesige Menge an Referenzen, auf das du dich beziehen kannst, mit denen du spielen kannst; Deutungen, mit denen du operieren kannst… Vor allem aber sind wir als Hörer immer frei, daraus zu machen, was wir wollen. Es spielt keine Rolle, ob derjenige, der die Musik macht, nun Kunst im Sinn hat oder seinen Geldbeutel …. aber das ist jetzt sehr abstrakt…

Das Besondere oder „Kunsthafte“ – ist also das, was auch stört, nicht einfach nur läuft?

Uns ging es immer darum, verschiedene Acts und unterschiedlichste Publikas zusammenzubringen, Leute, die sonst in ihrer Szene, ihrem Genre kaum miteinander in Berührung kommen, um Spannungen und Austausch herzustellen. Niemand bekommt hier genau das, was er erwartet. Die Idee von CTM und eine Essenz der Clubkultur – zumindest das, was uns daran interessiert – ist, dass man eben heraustritt aus diesem Üblichen, dem für bestimmte Zielgruppen Vorkonfigurierten.

Und zur Musikästhetik – wann ist ein Act so besonders? Der Hyper-Sound von Sophie steht doch hier ganz anders da als bei Skrillex…

Danny L. Harle oder Sophie beispielsweise, – die nehmen das ganze Reservoire an generischer Popmusik, Sounds die wir als Klischees, als cheasy, als kommerzielle Produkte zu verstehen gelernt haben, schneiden sie auseinander und geben ihnen in einer Collage eine neue Wandlung. Cut-up oder hyper-affirmativ könnte man das nennen. Sie distanzieren sich überhaupt nicht von dem, was den üblichen Geschmacksfiltern offenbar entgegenläuft.

Und trotzdem wird klar, das hier etwas fundamental anders läuft. Und genau da müssen wir uns fragen, was wir damit nun machen wollen. Finde ich das gut oder stößt mich das ab? Ist für mich der ganze mediale Trash nur in dieser durch PC Music neu vermittelten Form interessant, oder muss ich meine eigenen Ausschlusskriterien hinterfragen. Versperren vorkonfigurierte Vorstellungen davon, was wir bereit sind, als Kunst gelten zu lassen, den tatsächlich freien Blick auf das Material – und unsere Freude daran? Sie setzen sich mit Teilen einer Welt auseinander, in der wir zwangsläufig alle zu Hause sind, aber ent-stimmen, de-tunen sie. Die Geschmacksfilter, die man sich zugelegt hat, müssen neu justiert werden.

Du sprachst das diesjährige Festival-Thema „Un Tune“ an…

Es gibt Musiker, die referenziell arbeiten, die sich auf etwas beziehen, und es gibt Musiker, die mit Sound an sich arbeiten, die dich in einen Sog ziehen mit bestimmten Klangsignaturen, Timbres, Rhythmen usw. Clubmusik zeigt seit Jahren eine extrem breite Palette an Klangforschung – die Suche nach unterschiedlichen Klangmöglichkeiten und eben auch das praktisches Experimentieren, mit den affektiven und körperlichen Wirkungen von Sounds – hier wird nicht nur rein analytisch gefragt.

Man kann diese Praxen auch als Elemente gegenwärtiger Rituale begreifen – das Tanzen im Club, das Eintauchen in Sound, sich Verlieren – und dies sind ganz ursprüngliche Praxen. Aus dieser Perspektive kommt man dann auf andere Themen, wie z.B. die Archäoakustik, ein Forschungsfeld, das wir am Festival mit Konzerten und Vorträgen vorstellen. Da geht es darum, Vorstellungen zu entwickeln, welche Rolle Klang für frühe Menschen gespielt haben mag, wie sie Musik eingesetzt und gehört haben, wie sie damit etwa in rituellen Kontexten umgegangen sind. Und gerade über die Konstante der physiologischen und psychobiologischen Wirkungen von Sounds lassen sich dann Verbindungslinien ziehen von den musikalischen Ritualen einer früheren Zivilisation zu unseren Hör- und Verhaltensweisen heute, wie wir sie z.B. im Club leben.

Damals wie heute geht es darum, sich selbst und andere, Räume und Situation durch Klang zu modulieren. Ritual oder Kunst … ich weiß eh nicht was Kunst ist, ist auch egal. [lacht] Wahrscheinlich wird es dann zur Kunst, wenn man erlaubt, eine bestimmte Reflexionsebene zuzuschalten. Also nicht nur erleben, sondern das Erlebte zumindest im Nachgang auch reflektieren. Und das bieten wir mit CTM. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Konzert mit Gregorianischen Gesängen handelt oder einen Footworktrack morgens um 12 Uhr in der Panorama Bar.

Was hält das Festival dann noch zusammen?

Es gibt Musiker, die sich explizit und unmissverständlich mit der affektiven Dimension von Sound beschäftigen und andere, die diese intuitiv benutzen. Die Perspektive wird geöffnet, der Fokus wird auf das Thema gelegt, indem wir es benennen und darauf aufmerksam machen, dass immer diese vor-bewusste Stimmung eine Rolle spielt, die durch körperliche und psychische Affekte beeinflusst wird.

Wir wollen bewusst fragen; welchen Anteil hat es an unserem Musikerleben, was bedeutet es, damit künstlerisch zu arbeiten und sich auf eine Musik einzulassen, die diese Dimension umarmt oder vermeidet? Wir fragen, warum wir immer wieder auf der Suche nach diesen intensiven, affektiven Klangerlebnissen sind – eine starke Strömung in den gesamten letzten Jahrzehnten.

CTM Festival läuft noch bis 01. Februar, Infos unter:

i>www.ctm-festival.de

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