Autor und Musiker Elias Hirschl begibt sich gemeinsam mit dem Musiker Jimmy Brainless auf eine literarische und musikalische Asientour. Was dort passiert, erzählen sie in ihrem Blog. Hier der zweite Eintrag: Über Schnarchen, WeChat und das friedvolle Shanghai am Morgen.
Schlafe mit Schnarchen als Geräuschkulisse ein, wache mit Schnarchen als Geräuschkulisse auf. Elias hat weitsichtigerweise Ohropax dabei, ich drücke eine Gesichtshälfte fest in den Polster und stecke meinen Zeigefinger ins andere Ohr, so tief, bis es dicht ist. Es will dann gar nicht das Schnarchen sein, das aus dem Schlaf reißt, tatsächlich sind es einige deutsch-lallende Jugendliche, die um fünf Uhr morgens beschließen, sich mit Ich-ficke-deine-Mutter-Raps beschallen zu lassen. Währenddessen unterhalten sie sich über ein verloren geglaubtes Handy, das einer, wie sich dann herausstellt, aus spitzbübischer Trunkenheit kurzzeitig versteckt hat. Nach den ganzen „Boah – stell dir vor’s“ und „Scheiße – ohne Handy in Shanghai“, nicke ich noch kurz ein, bevor uns der Wecker nach knapp drei bis fünf Stunden Schlaf das frühzeitige Aufstehen empfiehlt – wir haben einen Zug nach Peking zu erwischen.
6:00 Uhr morgens ist wohl überhaupt die allerbeste Uhrzeit um in Shanghai unterwegs zu sein. Alles erscheint so friedlich, wenn die Menschen noch im verschlafenen Zustand ihre Geschäfte öffnen oder wie leicht benommen durch die Straßen latschen. Sogar die Menschen in der Metro verhalten sich gutmütig, boxen einen nicht wegen einem Sitzplatz nieder und lassen einen sogar bei der Rolltreppe vor – ich muss mir kurz von Elias bestätigen lassen, dass wir tatsächlich noch in derselben Stadt sind. Die brachiale Rohheit, der wir am Vortag vom Weg vom Flughafen in die Stadt begegnet sind, dürfte in morgendlichen Stunden noch müde vor sich hinschlummern. Überhaupt: Alles in Shanghai ist um 6:00 Uhr besser, die Luft atmet sich leichter, die Straßen riechen nach leckeren Frühstücksnacks, sogar der Smog lässt Lücken in der sonst undurchsichtigen Grau-in-Grau-Decke, durch welche man mit einem glückseligen Gefühl einige Sonnenstrahlen erahnen kann. Und hier und dort sieht man ein süßes Kätzchen im Müll herumwühlen. Ach, wenn wir es nicht so eilig hätten!
Um in der Metro nicht stumm zu bleiben und Gefahr zu laufen, einfach einzuschlafen, unterhalten Elias und ich uns über eine App, die uns am Vortag von einigen Besuchern unseres Auftritts ans Herz gelegt worden war: WeChat. WeChat kann alles. Man kann mit WeChat Menschen scannen und dadurch mit ihnen befreundet sein, man kann mit WeChat einkaufen gehen und seine Rechnungen damit bezahlen, man kann mit WeChat sogar sein Handy schütteln und wird dann mit der nächsten Person verbunden, die ebenfalls gerade in diesem Moment ihr Handy schüttelt. So haben sich schon viele Liebespaare in China gefunden. Und Parkinsonpatienten. WeChat kümmert sich aber nicht nur um die banalen Dinge des Lebens, WeChat wäscht deine Wäsche, wenn sie schmutzig ist, WeChat räumt deine Wohnung auf, wenn du Unordnung zugelassen hast, WeChat streichelt dich an den richtigen Stellen, wenn du dich bedürftig fühlst und kümmert sich um deine Körperhygiene, wenn du dich selbst nicht mehr anfassen willst. Das und noch vieles mehr macht WeChat. Glaube ich. Es war dann doch schon etwas spät, als davon geschwärmt wurde. Habe dann kurz darüber nachgedacht, ob ich eigentlich schon alle Black Mirror-Folgen gesehen habe. – Hab‘ ich. Glaube ich.
Wir steigen in den Schnellzug nach Peking und flitzen bei Kindergeschrei und dezibelgesättigtem Schnarchgeräusch quer durch China. Egal wo man sich in China befindet, ein Schnarchen ist immer zu hören. Es ist wie ein akustisches „Where’s Waldo?“, man hört es vielleicht nicht schon beim ersten Ohrenspitzen, aber es ist definitiv irgendwo vorhanden.
Als wir ankommen, schmerzen die Ärsche. Wir schaffen es unser Hostel zu finden. Wir schaffen es sogar, noch geschwind den Shanghaier Smog abzuduschen, bevor wir uns dem Pekinger Smog aussetzen. Großer Qualitätsunterschied!
Warmherzig werden wir an der Deutschen Botschaftsschule Peking empfangen, jemand von Radio China International ist so nett und interviewt uns, bevor wir uns in einem sehr, sehr schön angelegten Aufführungsraum einfinden und soundchecken. Elias verschwindet irgendwann in der Bibliothek zu den Computern: Facebook ist auf dem diplomatischen Boden der Schule nicht gesperrt. Wir müssen ihn schließlich mit Kaffee und Bier auf die Bühne locken, damit er zumindest eine Handvoll Texte vorliest. Während wir angekündigt werden, flüstert er mir mit zufriedenblickenden Augen zu, dass er gerade über 200 Menschen gepoked hat. Er vermisst diese zwischenmenschliche Nähe hier in China.
PS: Nein, nein, das Bild von Shanghai am Morgen ist nicht überbelichtet, die Stromleitungen hören wirklich einfach irgendwo mitten in der Luft auf.
Teil 1 des Blogs gibt es hier nachzulesen.