Mut zur Liste

Das weltgrößte Museum wagt ein monumentales Unterfangen: Es erzählt nicht weniger als die Weltgeschichte anhand von 100 ausgewählten Objekten zwischen Stonehenge und Kreditkarte. „A History of the World in 100 Objects“ erzählt aber auch etwas über den Public Value öffentlich-rechtlicher Medien und eine Geschichte über das Museum der Zukunft.

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Der Museumsriese in London macht sich dieses Jahr klein. Ganz klein. Das größte Museum der Welt, das British Museum mit geschätzten acht Millionen Objekten, erklärt seit Jahresbeginn Weltgeschichte nicht mit 10.000, nicht mit 1.000, sondern mit nur 100 Objekten. Die Ausstellung „A History of the World in 100 objects“ läuft seit Mitte Jänner 2010. Dass eines der ersten Objekte eine ägyptische Mumie ist, hat weniger mit mangelndem Geschichtswissen zu tun – gab es da nicht früher noch den Faustkeil? –, als viel mehr mit der Begeisterung des heutigen Museumsdirektors Neil MacGregor, der 1954 bei seinem ersten Museumsbesuch als Achtjähriger genau von diesen bereits 1835 ins Museum gebrachten toten Priestern und Pharaonen zutiefst beeindruckt war.

Museen leben aber nicht nur von Mythen und leichtem Schauer. Dafür hat vor allem das 1759 eröffnete British Museum einen zu großen Bauchladen um die Hüfte geschnallt. 100 Objekte sind irgendwie fassbar. Die Zahl kann man sich noch vorstellen und der Reiz, mit einer solch` geslimmten Anzahl die Geschichte der Menschheit als Ganzes zu erzählen, steigert sich dadurch natürlich beträchtlich und erinnert an Geschichte im Surival-Kit. Ob eine 7.000 Jahre alte altägyptische Kuhherde oder Steininschriften aus Babylon: Die Regale des British Museums erinnern an ein historisches Feinschmeckerlokal. Der ORF hatte übrigens in den 80er Jahren auch so etwas Ähnliches im Programm: „1.000 Meisterwerke“ hieß die 10-minütige Übernahme des WDR, die, meist kurz vor Sendeschluss, ein Kunstwerk dem schlafmüden Zuschauer genauer vorstellte. Bildung als letztes Gute-Nacht-Konfekt vor dem Licht ausmachen, aber auch: Konzentration auf nur ein Ding.

Nur geht es auf der Website des Londoner Museums aber eben nicht nur um den Zauber des einzelnen Objektes, die Museumsmacher bieten dazu eben auch eine Erzählung an. Nicht irgendeine, sondern die Erzählung über uns Zweibeiner, von der Höhle bis zum hektischen Alltag im Schatten des Londoner Eyes 2010. Um diese Last halbwegs zu stemmen, ist auch die BBC-Radio 4 mit an Bord, die jede Woche pro Tag ein neues Objekt binnen 15 Minuten vorstellt. In drei Tranchen läuft die Serie bis Ende des Jahres, die natürlich auch gute Argumente für die laufende Public value-Diskussionen öffentlicher Institutionen nicht nur in England liefert. Neben den Schilderungen etwa über „Meeting the Gods“ oder „After the Ice Age“, die erfreulicherweise mit Publikumsgeräusch direkt vor der Museumsvitrine stattzufinden scheinen, gibt es auch Kurz-Interviews mit Experten. Nicht nur mit Historikern. Auch Philosophen, Naturwissenschaftler und auch Pop-Politiker wie Bob Geldof sind zu hören.

Neben dem Radio nimmt die Museums-Website die zentrale Rolle als Schalt- und Orientierungsfläche ein. In dreidimensionaler Anmutung greift man sich gemäß einer Zeitskala interessante Objekte aus dem Museumsbestand heraus: Margaret Thatchers blaues Kleid aus Downing Street 10 ist da ebenso dabei, wie ein einfaches Steinmesser aus Kenia aus der frühesten Menschheitsepoche. Der geleistete technische Aufwand zahlt sich aus: Die herumkreisenden Objekte verfügen über perfekte Bildauflösung, Infos liefern kurze Erläuterungen, inklusive Größe, Herkunft und Material. Die Nutzung macht schlichtweg Spaß! Österreichischen Museums-Websites würde man diesbezüglich einen Intensiv-Nachhilfeunterricht wünschen.

99 Objekte sind laut Auskunft des British Museum bereits definiert, den historischen Schluss-Stein lässt man sich noch offen. Zuhörer und Web-Besucher sind eingeladen, ihre eigenen World History-Objekte einzusenden. Teesorten werden wohl auch dabei sein.

Hannah Boulton, Leiterin der Pressestelle des British Museums, im Interview.

Wie wurden die Objekte ausgesucht? Allein durch Direktor Neil MacGregor?

Vor drei Jahren sind wir mit dem Projekt gestartet. In den ersten beiden beschäftigten wir uns nur mit der Auswahl. Geleitet hat es Neil MacGregor, mitgearbeitet hat aber das gesamte Kuratoren-Team des Museums und auch Fachleuten von auswärts waren involviert.

Jetzt ist es ja so, dass die Objekte vom Beginn der Menschheitsgeschichte eher rar sind. In Richtung Gegenwart wächst aber die Auswahl ins Gigantische an: Wie findet man am Wühltisch der Geschichte das passende Objekt?

Das wichtigste war bei der Auswahl die Frage, inwiefern sich über diese Objekte Geschichten von weltweiter Bedeutung und Aussagekraft erzählen lassen.

Nun sind beim laufenden World History-Projekt auch Hörer und Internet-Besucher eingeladen, Objekte ihrer Auswahl einzusenden. In welcher Form wird darauf Rücksicht genommen? Ändert sich dadurch die Erzählweise?

Das nicht unbedingt. Wichtig ist uns vor allem die möglichst unkomplizierte Mithereinnahme von Objekten von Einzelpersonen und anderer Museen. Die Summe zeigt, dass sich World History eben nicht nur in Museen zeigen lässt.

Ist das die erste Zusammenarbeit mit der BBC?

Nein, aber es ist die längste und umfangreichste, die wir je gestartet haben. Bei Dokumentarfilmen oder Radiobeiträgen gab es immer schon Zusammenarbeit. Neu ist diesmal, dass sich auf so lange Zeit zwei öffentliche Institutionen im Sinne eines Public Service Partnerships zusammen geschlossen haben.

Inwiefern spiegeln die British-Museum-Objekte nicht doch auch britische Weltgeschichte wider?

Ich hoffe kaum. Die Objekte stehen definitiv in einem globalen Zusammenhang. Wir zeigen Objekte aus Afrika, den beiden Amerikas, aus dem Mittleren Osten, aber auch aus Asien und Ozeanien. Andererseits: Die Verbindung zur britischen Geschichte ergibt sich alleine dadurch, dass all die Objekte Bestandteil unserer Sammlungen sind.

www.britishmuseum.org

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