Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Olli Schulz – »Scheiß Leben, gut erzählt«
Man musste es Olli Schulz immer ganz hoch anrechnen, dass er, der Kasper, der Sidekick der Late Unterhaltung, der jetzt die ganz großen Brötchen bäckt, der zu jedem guten Abend mit gutem Fernsehquatsch gehört wie Eiscreme zu Komödien mit Hugh Grant, trotz allem gute Musik gemacht hat. Er hat sich nie von neuem Publikum, von den Leuten mit ihren YouTube-Kommis – »Wow, wusste gar nicht, dass der Musik macht!« –, ablenken lassen, hat auch in den letzten Jahren wunderbare Albenperlen aufgenommen wie »S.O.S – Save Olli Schulz« und »Feelings aus der Asche« (bekannt aus den Top 5), denen die nonchalante Poesie und der Schabernack der früheren Stücke nie wirklich abging.
Dass auch »Scheiß Leben, gut erzählt« später mal aus den Charts bekannt sein wird, wird keine Überraschung sein, dass man in Jahren noch über die Musik reden wird, das ist, Stand jetzt, noch äußerst fraglich. Olli Schulz hat seinen gitarrengetriebenen Songwriter-Pop ins Museum gestellt und stattdessen Großraum-Pop-Extravaganzen angezettelt, die weder zum Œuvre noch zur Persona Schulz passen. Es ist pompös, teilweise ungut verspielt und hört sich einfach nicht nach dem tollen, humorvollen Texter und Musiker an, sondern eher nach Lunsentrio et al. Nur beim sanften »Skat spielen mit den Jungs« und dem infantilem »Schmeckt wie Pisse riecht«, das zwar schon alt, aber trotzdem auf dem Album ist, erkennt man den alten Schulzer noch. Das ist schön.
»Scheiß Leben, gut erzählt« von Olli Schulz erscheint am 2. Februar 2018 via Trocadero. Das Konzert im Muth im Wiener Augarten am 25.3. ist längst ausverkauft.
Erdmöbel – »Hinweise zum Gebrauch«
Der deutsche Pop ist voll mit Ungerechtheiten, Erdmöbel ist nur ein Beispiel von vielen, aber vielleicht das offensichtlichste. Dass diese Gruppe nicht die größten Hallen füllt: geschenkt; dass sie auch von den vermeintlichen Top-Checkern nur allzu selten wahrgenommen werden, dagegen: eine Farce. Das letzte reguläre Album »Kung Fu Fighting« – manche erinnern sich vielleicht an das zauberhafte Video zum Titelsong – wurde aber zurecht ganz gut rezipiert, auch »Hinweise zum Gebrauch« verdient jedes Lob und zeigt die gesamte Bandbreite und alle Fähigkeiten, die Erdmöbel 2018 so ausmachen. Am eindrucksvollsten zeigt sich das beim wirklich herausragenden Abschlussstück »Barack Obama«, das auch das etwas befremdlich wirkende Cover erklärt: Darin nimmt sich Sänger Markus Berges einen typisch-seelenlosen Nachruf der DPA für Al Jarreau und dekonstruiert damit das Verständnis eines Künstler-Tods. »Bereits gekaufte Tickets werden erstattet.« Wie üblich ist die musikalische Einordnung schwierig, Kategorien von »Pop« und »Rock« unbrauchbar, Erdmöbel ist dazwischen, experimentiert zwar rum, bleibt aber im bekannten Kosmos und unverwechselbar an die Gruppe geknüpft. Nicht übersehen, bitte!
»Hinweise zum Gebrauch« von Erdmöbel erscheint am 23. Februar 2018 via jippie! industrie. Keine Österreich-Termine.
Neuschnee – »Okay«
Internationaler Nationalismus, Turbokapitalismus, FPÖ, ÖVP und Neos. Rechtsaußen ist die neue Mitte. Die Welt ist am beschissenen Abgrund, so richtig »Okay« ist nichts mehr. Dass sich Neuschnee um Hans Wagner den Problemen der Welt annehmen und mit dem Zeitgeist abrechnen, ist da nur konsequent. Der Vorab-Song »Der Zeitgeist macht buh« findet ebenjenes Gespenst der aktuellen Tage zum Kotzen und tut dies mit gebührendem Kleschen. Genau wie der zweite Vorab-Song »Umami«, der gemeinsam mit Pippa aufgenommen wurde – die einzigen Stücke, die in dem für Neuschnee untypischen Synth-Flächen daherkommen und elektronischen Pop malen. Die anderen fünf Stücke – mit sieben Liedern und dreißig Minuten Laufzeit ist das vierte Neuschnee-Album auch das kürzeste – werden in gewohnt opulentem Kammer-Pop dargeboten und sind auch thematisch eklektisch. Kindheit, Kulinarik, Romantik, Politik, alles. Vor allem die ruhigen Stücke schließen an den sehr guten Vorgänger »Schneckenkönig« an, »Okay« ist dabei – nomen ist halt immer omen – deutlich optimistischer, trotz aller berechtigter Kritik am System. In diesem Sinne darf man das Schlussstück zitieren: »Lass uns leben«!
»Okay« von Neuschnee erscheint am 2. Februar 2018 via Problembär Records. Termine: 9.3: Jazzit, Salzburg. 26.4: Orpheum, Graz. 7.7.: Vanishing Garden, Linz.
Dorit Jakobs – »Im Aufruhr der Lethargie«
»Wenn meine Familie sich auflöst wie eine durchschnittliche Band, keine Abschiedstour oder Reunion hinterher. Vielleicht war ich auch ihr einziger Fan.« Schon diese eine Zeile, fast wahllos ausgewählt aus dem ersten Stück von Dorit Jakobs’ Solo-Debüt zeigt die gesamte Stärke und wunderbare Verwundbarkeit von »Im Aufruhr der Lethargie«: direkte Texte, denn Phrasendreschen können die anderen. Identifikationspotenzial für Millionen, vorgetragen in fester, überzeugter Stimme, die alsbald den Raum füllt, dich an die Seite nimmt und festhält. Jakobs hat lange Jahre an ihrem Album gearbeitet, das schlussendlich im Kosmos von Grand Hotel van Cleef aufgenommen wurde und es wurde sehr gut. Zum Trademark wird insbesondere die angesprochene Direktheit der Texte, die teilweise verwundert und verblüfft, die live mitunter auch seltsame Reaktionen beschwört, denn so etwas hört man nicht alle Tage. So entpuppt sich Jakobs vor allem als großartige Lyrikerin, der Gitarrenpop dient hauptsächlich der Untermalung dessen, was sie zu sagen hat. Das ist eine Menge, das ist eine Menge gutes. Sollte man schon haben.
»Im Aufruhr der Lethargie« erscheint am 16. Februar 2018 via Grand Hotel van Cleef. Keine Österreich-Termin.
Vizediktator – »Kinder der Revolution«
Es wurde an selber Stelle schon einmal gesagt: Das Hamburger Label Sportklub Rotter Damm darf man sich durchaus rot auf der Landkarte der relevanten Veröffentlichtungsstellen für anspruchsvolle deutschsprachige Gitarrenmusik anstreichen. Dass mit dem vermeintlich größten Release bislang, dem Debüt der für allgemein sehr gut befunden Berliner Gruppe Vizedikator, passt da natürlich sehr gut. »Kinder der Revolution«, musikalisch ist das Powerpop, Emopop, Punkrock, weißt eh, ist dabei durchaus ausgezeichnet für einen großen Wurf ausgerichtet. Nicht zu hart, weil das hört eh keiner mehr, nicht zu weich und durchaus mit dem Zeigefinger auf den richtigen Bands im Referenzkasten – Northern Punk, Scherben, Turbostaat –, aber eben ein bisschen kompatibler, ein bisschen konsensbereiter. Kurz: »Kinder der Revolution« kann das Punkrock-Konsensalbum 2018 sein. Denn das Potenzial dafür hat es allemal. Es ist variantenreich, geht ins Ohr, ist schneidig, ohne aufschneiderisch zu sein. Missfallen ist fast ausgeschlossen. Kannste jedem schenken, taugt jedem.
»Kinder der Revolution« von Vizediktator erscheint am 16. Februar 2018 bei Sportklub Rotter Damm. Österreich-Termine: 8.3.: Redbox, Mödling, 9.3.: Explosiv, Graz. 10.3. Stadtwerkstatt, Wien. Muss man sehen.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Isolation Berlin – »Vergifte dich« (VÖ: 23. Februar 2018)
Isolation Berlin haben es geschafft. Deshalb erlaubt es sich die Gruppe auch, auf ihrem zweiten Album ihren bislang ausgetretenen Pfaden zu folgen, nach dem genau gleichen Rezept zu kochen, dem genau gleichen. Das ist langweilig und auch deutlich schlechter als beim Vorgänger und dem Single-Best-Of sowieso. Aber, den bierseeligen Männergruppen, die nach 00er-Jahre-Indie miefen und bei jedem selbstherrlichen Satz ihrer Gerstensäfte zum Himmel recken – als Zeichen, dass sie das Gesungene auf sich reflektieren –, denen wird das sicher taugen.
Buntspecht – »Großteils Kleinigkeiten« (VÖ: 25. Februar 2018)
Es ist fast eine Schande, dass Musiken, die in Wien seit Jahrhunderten friedlich koexistieren, wie Gypsy, Klezmer, Bossa Nova oder Balkan Pop von der Hochkultur einverleibt wurden und dem populären Gebrauch entzogen wurden. Gut, dass die 2016 gegründete Wiener Gruppe Buntspecht etwas dagegen unternimmt. Dass das gut wird, konnte niemand ahnen. Und es ist verdammt gut geworden. Da gibt’s wohl einen Amadeus dafür. Verdient.
Doc Schoko – »Stadt der Lieder« (VÖ: 2. Februar 2018)
Doc Schoko gilt gemeinhin als ein »Musician’s musician«, ein Musiker, den nur andere Musiker hören. Das ist Lob und Tadel zugleich. So etwas zu ändern, ist mit dem vierten eigenen Album teilweise fast schon unmöglich. Breiteren Zuspruch hätte er sich aber natürlich verdient, »Stadt der Liebe« ist ein klassisches Rock-Album, ergänzt durch innovative Frickeleien, etwas, dass die Welt früher »Krautrock« hätte nennen können. Stark!
Liebe Frau Gesangsverein – »Nackt« (VÖ: 23. Februar 2018)
Eine gewisse Retrophilie kann man bestimmten Genres einfach nicht absprechen. Postpunk etwa. Auch die Kölner Gruppe Liebe Frau Gesangsverein, die mit »Nackt« ihr Debütalbum präsentiert, hantiert mit slicken 80ies-Einsprenkelungen, überzeugt damit aber sehr, auch das Klangbild ist durchaus stimmig, produziert hat ja auch niemand geringer als Kurt Ebelhäuser. Gute Kontakte, gute Songs, muss man sich merken.