Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Februar 2022

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Kidnap Music — Acht Eimer Hühnerherzen

Rolf Blumig – »Rolfie lebt«

Rolf Blumig © Nagy Zornbaum
Rolf Blumig © Nagy Zornbaum

»Rolf Blumig steht nicht für Interviews zur Verfügung«, prangt es in dicken Lettern vom Promopapier für dessen zweites Album »Rolfie lebt«. »Wie denn auch?«, fragen Sie sich richtigerweise. So ganz geklärt ist die Identität dieser abstrakten, angeblich 24-jährigen Figur, deren Debüt »Liebe lohnt sich« bereits mehr Fragezeichen als Antworten parat hatte, nämlich noch immer nicht. Dafür sagt die Musik jede Menge aus: Es ist eher weirder Psych(o)-Pop, bei dem die letzte Silbe aber überraschend häufig betont wird: Zuckersüße Schleimereien mischen sich mit kakophonischen Crescendi, Prog und Kraut mit Kopfschmerz-Feedback-Experimenten, wahnwitzige Tempowechsel mit vereinzelten sozialkritischen Ansätzen, Funk mit Folk, X mit Y. Und wie immer, wenn Genie und Wahnsinn auf der Rasierklinge tanzen, ist es ein Drahtseilakt des Geschmacks, Kunst oder Kacke. Im Zweifel für den Angeklagten, für den auch das trendsichere Staatsakt-Label die Hand ins Feuer legt, aber: Urteilen Sie selbst!

»Rolfie lebt« von Rolf Blumig erscheint am 25. Februar 2022 bei Staatsakt / Bertus / Zebralution. Aktuell keine Österreich-Termine. Kaufen hier.


Acht Eimer Hühnherzen – »Musik«

Acht Eimer Hühnerherzen © Kidnap Music
Acht Eimer Hühnerherzen © Kidnap Music

Die drei Berliner*innen Acht Eimer Hühnerherzen waren in den letzten Jahren – mit dem Debüt »Acht Eimer Hühnerherzen« (2018) und »Album« (2020) – so etwas wie die Shootingstars deutscher Gitarrenmusik mit seltsamem Bandnamen, ein Genre, das sich zurecht immer größeren Zuspruchs erfreut. Der Akustik-Gitarren-Punk mit Nylon-Saiten kam bei Fans und selbsternanntem Fachpublikum richtig gut an, konsequenterweise erscheint »Musik« – wer beim Bandnamen zu viel ausgibt, muss bei den Albumtiteln sparen – nun bei Kidnap Music, die zuletzt mit Akne Kid Joe und Maffai starke Platten auf den Markt gespült haben. Und – Erleichterung! – auch »Musik« ist eine Sammlung voller veritabler Banger geworden, Schunkel-Punk, der nicht mehr ganz für die abgeranzten Jugendzentren taugt – falls es so etwas noch gibt –, sondern eher für die Wohnzimmer von ehemaliger Alt-Punks und allen, die Gefallen an tatsächlich sehr hemdsärmeligen und gleichsam hochklassigen Soundkleidern und vor allem an Texten voller Humor, Sehnsucht und Freiheitsdrang haben, die stellenweise eher an Locas in Love erinnern als an Deutschpunk. Und das ist gut.

»Musik« von Acht Eimer Hühnerherzen erscheint am 25. Februar 2022 bei Kidnap Music. Konzerttermin: 10. April, Wien, Rhiz. Kaufen hier.


Go Go Gazelle – »Instinkte«

Go Go Gazelle © Sonja Möller
Go Go Gazelle © Sonja Möller

Wenn die Augsburger Folkpunker Go Go Gazelle in »Keine Kohle kein Hund«, im vielleicht stärksten Song ihres zweiten Albums – das Debüt erschien vor gerade mal anderthalb Jahren –, im Chor »Wir haben nicht viel / Aber wir haben uns« intonieren, dann ist klar, wohin die Reise geht: Das hier ist erst mal unser Ding, solange wir uns haben, haben wir alles, lieber arm und sexy als reich und öde. Wenn man spitz bekommt, dass es hier eventuell um einen Hund geht – und vom Cover von »Instinkte« strahlt ja ein Dackel, also: realistisch –, dann gleich noch sympathischer. Auch bei der zweiten Videosingle »Eule im Nachtbus« wieder dieses Tierische. Weiterer Pluspunkt: Obwohl in dem Genre noch immer gerne gehört, wenden sich Go Go Gazelle mitunter gegen die Verklärung der Vergangenheit, etwa auf »Früher war alles früher« – mehr muss man dazu nicht sagen, keine positiven Adjektive brauchen wir nicht. Endgegner-Bonus: kluge Lieder und sehr vielfältiger Sound. Mehr brauchst du nicht.

»Instinkte« von Go Go Gazelle erscheint am 11. Februar 2022 bei Gute Laune Entertainment (The Orchard). Aktuell keine Österreich-Termine. Kaufen hier.


Swutscher – »Swutscher«

Swutscher © Manuel Troendle
Swutscher © Manuel Troendle

Zu Hause ist es doch am schönsten. Also im Sinne von Swutscher, der Pubrock-Gruppe, die vor vier Jahren das nächste große Ding hätte sein können. Das Debütalbum »Wilde deutsche Prärie«, das auf Staatsakt erschien, war ein großes Versprechen, das zumindest mit Blickrichtung auf das Kommerzielle nicht unbedingt eingelöst wurde. Also: zurück zum Start! Nämlich zum bandeigenen Label La Pochette Surprise, das sich in der Zwischenzeit einen recht großen Namen gemacht hat, es erschienen dort aufstrebende Gruppen wie Fluppe, Die Cigaretten und andere nicht tabakbezogene Bands wie etwa Mint Mind oder Bikini Beach. Musikalisch qualitativ steht dem Durchbruch – falls das überhaupt für eine Gruppe wie Swutscher oberstes Begehr sein sollte – nichts im Wege: Die bereits veröffentlichten Stücke wie das superbe »Palm Royale«, das jeden modernen Großstadtwestern abschließen könnte, oder das kompromisslos rockende – da haben wir es wieder! – »Tabak« sowie – auch da haben wir es wieder! – »Daheim« sind deutlich überdurchschnittlich gute Lieder. Wobei, das ist vielleicht noch untertrieben.

»Swutscher« von Swutscher erscheint am 25. Februar 2022 bei La Pochette Surprise Records. Die Tour der Band startet in Österreich: am 20. April im Rhiz in Wien. Kaufen hier.


AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Pauls Jets – »Jazzfest«

(VÖ: 18. Februar 2022)

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen: Die großartige Wiener Gruppe Pauls Jets hat den Sprung nach Germany geschafft und sich gleich einmal einen kleinen Re-Start gegönnt: Zu viert, mit weiblichem Gesang und Saxophon ist man nun klanglich zwar breiter aufgestellt, erstaunlicherweise gibt’s aber trotz wildem Genre-Mix eine richtig klare Handschrift. Mehr dazu finden Sie in der nächsten Ausgabe von The Gap, sowie demnächst auf thegap.at. Kaufen dann hier.

Jo Strauss – »Das Schöne am Ende«

(VÖ: 25. Februar 2022)

Mehr als nur ein gewöhnlicher Schmähtandler: Jo Strauss, seines Zeichens Preisträger wichtiger Kabarettpreise, erzählt auf seinem bereits vierten Album entgegen seinem dadurch erhaltenen Images wahrlich pechschwarze Geschichten, wird zum Kommissar, zum Standler, zum Ex-Häfinger, aber auch zum großen Romantiker und Artmann-Interpreten. Für alle, die sich weiter informieren wollen, empfehlen wir die nächste Ausgabe von The Gap sowie auch thegap.at. Kaufen hier.

Portmonee – »Gesichter ohne Menschen«

(VÖ: 22. Februar 2022)

Auch wenn die Berliner Formation Portmonee auf dem Grat zwischen Indie und Mainstream wandert – was ja für uns Selbsternannte schon einmal Tabubruch sondergleichen ist –, man muss ihnen zugutehalten, dass sie ihren Bildungsauftrag wahrnehmen und gesellschaftlich Relevantes produzieren: Das zweite Album handelt nämlich vom Überwinden der Angst, dem Empowern des inneren Ichs und der Stärke des Selbst. Und das ist als Botschaft viel mehr, als die meisten anderen so liefern.

Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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