Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Juni 2020

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Friends of Gas © Fabian Beger
© Fabian Beger

Trixsi – »Frau Gott«

Trixsi © Lucja Romanowska
© Lucja Romanowska

Nicht ganz einmalig, aber trotzdem durchaus bemerkenswert: Supergroups in der deutschen punkorientierten Rockmusik. Und halt schon auch mit Betonung auf »Super«. Angeführt von Jörkk Mechenbier – ohnehin erklärter Liebling allerorts, bekannt von Love A und Schreng Schreng & La La – hört man auf dem Debüt von Trixsi auch Menschen von Findus, Jupiter Jones und Herrenmagazin. Auf dem Papier klingt das nach dem Destillat des Hamburger Sounds der letzten zehn Jahre – und auch auf Vinyl oder digital oder wo auch immer man »Frau Gott« hört, gestaltet sich das dergleichen, als Schnittmenge zwischen den Genannten. Geradlinige Gitarrenmusik, die jetzt erstmal wenig neu, aber vieles richtig macht: Zuvorderst die natürlich Texte, die sich gerne kritisch am Kapital abarbeiten: »Ohne Moos nichts los, obwohl es überall wächst / sich durch die Fugen frisst und alles langsam zersetzt« heißt es etwa in der Single »Wannabe«. Aber auch musikalisch darf zwischen Wut und Schwelg gewandert werden, letzteres etwa bei der Hymne gegen die Selbstaufgabe namens »Ab morgen«. Kannste kaufen!

»Frau Gott« von Trixsi erscheint am 26.6.2020 via Glitterhouse. Live-Termine muss man mal abwarten.

Laut Fragen – »Facetten des Widerstandes«

© Laut Fragen & Numavi Records
© Laut Fragen & Numavi Records

Die Wiener Gruppe Laut Fragen, ein Projekt von Performerin Maren Rahmann und Klangschöpfer Didi Disko, nimmt sich den 75. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation von NS-Deutschland zum Anlass, ein klangliches Mahnmal in die österreichische Popgeschichte zu bauen: Historische Texte von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, die gegen die Unterdrückung anschrieben, werden auf dem zweiten Album vertont – bereits das Langspiel-Debüt »Utopie + Untergang« aus dem Jahr 2017 war und ist noch immer äußerst bemerkenswert. Auf »Facetten des Widerstandes«, dessen 11 Stücke übrigens schon ab 2019 Monat für Monat veröffentlich wurde, sind aber nicht nur die andernfalls vom Vergessen bedrohten Texte voller utopischer Varianz, auch musikalisch finden sich gar unterschiedliche Klänge und Genre-Zuweisungen als Ausdruck der angedeuteten »Facetten«: Neben dem Sujet entsprechenden Musiken wie hämmerndem Post Punk und gnadenlosen elektronischen Nadelstichen hört man auch ruhige Stücke, gar Balladen, aber auch hörspielartige Sequenzen oder auch schlichten Schlager. All das macht dieses Album ausgezeichnet. Mögen die Texte hunderte Mal gelesen werden, die Lieder ebenso oft gehört.

»Facetten des Widerstands« von Laut Fragen erscheint am 19.6.2020 via Numavi Records. Gemäß dem Anspruch der Interdisziplinarität von Laut Fragen erscheint zum Album auch eine filmische Dokumentation.

Maraskino – »Happy End«

Maraskino © Wolfgang Bohusch
© Wolfgang Bohusch

Wer Mitte der 10er Jahre durch die elektronischen Lokale der Hauptstadt stromerte, kam an einem kaum vorbei: Julian Hruza, der als Gesicht und Stimme von Julian & der Fux, war quasi die Stimme einer Generation, der Soundtrack für Nächte und Morgen zwischen Tinder-Dates, 10€-Gin-Tonic und maskulinem Gebaren für den schnellen, nächsten Aufriss. Die pure Männlichkeit ist das neue Projekt von Hruza derweil nicht: Als Maraskino ist er eine Figur zwischen Geschlechtern, ein androgyne Projektionsfläche, er selbst nennt seine Musik passenderweise »Contemporary Porn Pop«. Als prägnantestes Instrument bleibt die Stimme, die, wie man langläufig sagen würde, »echt porno« ist, eine wohlige Tiefe. Musikalisch breit aufgestellt, bietet das Debüt, das der Aussteiger Hruza aus seinem mexikanischen Exil mitgebracht hatte, feinsten Kitsch und puren Trash – natürlich der positiven Sorte: Mariachi und Festival-Rave hört man genauso wie clublastige Elektronik. Das geht natürlich in die Beine. Aber hallo!

»Happy End« von Maraskino erscheint am 10.6.2020 via j.hruza Records. Album-Release via Livestream am 10. Juni um 20:30 Uhr.

Friends of Gas – »Kein Wetter«

Friends of Gas © Fabian Beger
© Fabian Beger

Nicht dass man es überhaupt jemals müsste, aber beweisen müssen es Friends of Gas ohnehin schon lange keinem mehr: Ihr schlagkräftiges Debüt »Fatal Schwach« von 2016 war damals eines der besten Alben des Jahres, ein einschneidendes Erlebnis für die vielen Fans von noisigem Post-Punk der schwäbischen Schule, nur dass Friends of Gas um Nina Walser eben aus München kommen, nicht gerade Epizentrum interessanter zeitgenössischer Popmusik mit progressivem politischen Anspruch. Dass es vier Jahre bis zum Nachfolger gedauert hat, war dem regen Touren geschuldet, auch ein nicht näher genannte Pandemie verschob den Release noch einmal um einen Monat. Aufgenommen von Olaf Opal, der sich zuletzt allgegenwärtig machte, sind Friends of Gas noch konzentrierter sie selbst, kühle Instrumente am seidenen Faden der Machbarkeit, rauchige Stimme und kritische und gleichzeitig poetischeTexte, die sich auf eine zentrale Stelle im Song »Schrumpfen« subsumieren lassen: »Kapital oder kapitulieren?«. Das Wetter als Metapher ist allgegenwärtig und natürlich ist es alleine schon thematisch auf »Kein Wetter« häufiger nebelig und regnerisch, aber im Album steckt eine schier ungeheuerliche Kraft, die Sonne sollte sich um diese Band drehen. Bockstark!

»Kein Wetter« von Friends of Gas erscheint am 5.6.2020 via Staatsakt/ Zebralution/ Bertus. Keine Österreich-Termine.

Terrorgruppe – »Jenseits von gut und böse«

Terrorgruppe © Philipp Virus
© Philipp Virus

»Jetzt ist aber mal Schluss hier!«, denken sie sich. Oder auch: »So kann’s nicht weitergehen!«. Stimmt ja auch. Egal: Mit »Jenseits von gut und böse«, mit dem lila Album, verabschiedet sich die Terrorgruppe zum zweiten – und angekündigt letzten – Mal vom Veröffentlichen neuer Musik. Der Tenor: Wer lange genug über alte weiße Männer singt, wird selbst einer. Gute Überlegung eigentlich. Es ist das zweite Album seit der Reunion 2013 – man erinnert sich vielleicht noch an das Affen-Cover von »Tiergarten«, mit dem man es bis in die Charts schaffte. Das lila Album, auf dem übrigens der zu unrecht kontroverse Song »Sie nationalsozialistische Bullensau« aus, nunja, rechtlichen Gründen fehlen wird, ändert im Großen und Ganzen nichts an der Ausrichtung der Terrorgruppe: Schneller Skate-Punk, der gerne mal nur bis 3 zählt, mit melodischen Passagen hier und da, Songs über die Blindheit am rechten Auge der Mehrheitsgesellschaft und der staatlichen Institutionen. Eine solche Institution war auch die Terrorgruppe. Macht’s gut!

»Jenseits von gut und böse« von Terrorgruppe erscheint am 26.6.2020 via Aggropop. Österreich-Termin: 6.11.2020, Arena Wien.

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