Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Dagobert – »Welt ohne Zeit«
Keine Frage, dieser Dagobert ist einer der herausragendsten Künstler der letzten Jahre. Seine ersten beiden Studio-Alben »Dagobert« von 2013 und auch »Afrika« von 2015 haben den Schweizer an die Spitze dessen, was man etwa als Alternativen Schlager in die Plattenkästen der Auskennerpartie einordnen würde, katapultiert. Hymnische Lobgesänge auf – natürlich – die Liebe, wunderbare Stücke wie »Zehn Jahre« oder »Ich bin zu jung« verzauberten ganz frei von Ironie Herzen und Rezeptoren. Keine Frage, Dagobert zählt zu den ewigen Favoriten, Lieder, Backstory, Imagepflege: alles perfekt. Das dritte Album, nach einigen Features, etwa mit Golf oder sogar Casper, aufgenommen in typischer Manier, sich in einem Haus verschanzend, von Konrad Betcher, ist ein Konzeptalbum geworden, das monothematisch das bereits schon seit immer vorherrschende Thema Dagoberts übermittelt: In den zehn Stücken geht es um Beziehungen, Liebe und Sehnsucht, alles angeblich echt erlebt, alle bittersüß, alle traurig.
In den vier Jahren seit Afrika hat Dagobert also einiges durchgemacht, experimentiert ein bisschen mit seinem weiterhin sehr schwelgerischen Synth-getriebenen Pop, der sich mit dieser überragenden Stimme als Einhorn der Melancholie seinen Weg durch den Einheitsbrei der Produktionen bahnt. Dass es da ab und zu ein wenig untypisch klescht und gar den Lamourhatscher mal verlässt – wie etwa das hibbelige 80er-Pop-Kaleidoskop »Flashback« – ist geschenkt, denn: Dagobert macht da weiter, wo er 2015 aufgehört hat. Mit tollen Hits für die schönsten Momente im Leben.
»Welt ohne Zeit« von Dagobert erscheint am 1.3.2019 via Staatsakt. Leider keine Österreich-Termine.
Die Heiterkeit – »Was passiert ist«
Das Album nach dem Monolith. Wenn auch »Pop & Tod 1&2« nicht für alle Rezipienten das beste Album der fantastischen Gruppe Die Heiterkeit war, es war das Album, über das alle geredet haben. Wie gesagt, »Herz aus Gold« und vor allem »Monterrey«, ein Album für die einsame Insel, waren vielleicht besser, aber diese 20 sehr guten Stücke machten Eindruck. Jeder hatte eine Meinung (zu haben), die Gruppe war nicht mehr wegzudiskutieren von der Speerspitze dessen, was man deutschen Indie nennt. Dass knapp drei lange Jahre später »Was passiert ist«, war nicht immer zu erwarten. Stella Sommer, mittlerweile einziges wirkliches Mitglied der Gruppe, veröffentlichte 2018 ein eher karg empfangenes englisches Solo-Werk, wo soll es da noch Unterschiede zu der Band geben? Der liegt vor allem in der Sprache – deutsch –, sonst hat Sommer auch alle Instrumente selbst eingespielt. Die Gitarre hört man auf dem Album nur einmal, alles ist Synth. Der Heiterkeit geht ihr letztes Stück des herrlichen jugendlichen Übermutes, der ihre erste beiden Alben zu Meilensteinen des deutschen Indie gemacht verloren. Erhalten bleibt aber das Gespür für Zeilen, auch wenn sich schon einmal etwas banales wie »Instagram« einschleicht.
»Was passiert ist« von Die Heiterkeit erscheint am 1.3.2019 via Buback Records. Österreich-Termine: 21.3. Fluc Cafe, Wien; 22.3. Arge Nonntal, Salzburg.
Die Wände – »Im Flausch«
Spätestens seit dem formidablen Debüt-Album von Kala Brisella hat sich das Berliner Label Späti Palace einen hervorragenden Ruf als Heimathafen für ambitionierten und intelligenten Post-Punk erarbeitet. Dass das Debütalbum der Dreier-Formation Die Wände –, die sich bis kurz vor dem Release des Albums noch Girlie nennen und bereits mit »Im Automaten« ein kleines Denkmal, das sich auch auf dem Album befindet, in die Indie-Landschaft setzen konnten – auf dem Label erscheint ist demnach schon das erste gute Zeichen. Das zweite: Der »Musikexpress« kürte sie 2016, also mit altem Namen, zu einem der besten Newcomer auf dem c/o pop Festival. Zeichen drei: Auch die erste Split-EP mit Pigeon wird euphorisch besprochen. Das wichtigste (Ausrufe-Zeichen), dass mit dieser Gruppe absolut zu rechnen sein wird, hier, heute und auch in den nächsten Jahren, ist tatsächlich ihr Debüt: Aufgenommen unter fast schon klischeehaft punkiger Atmosphäre bietet »Im Flausch« wahnwitzig guten, noisigen Post-Punk, der weder zu sperrig, noch zu gefällig ist – wenn auch zwischendurch so etwas wie Popmusik durchblitzt – und dabei stets zu überraschend vermag. Teilweise rauschend schnell nach 1:55 vorbei, größtenteils aber ausgedehnt auf bis zu 7:36, steht jedes der acht Stücke für sich und verzückt bei jedem Durchgang mehr. Sehr gut!
»Im Flausch« von Die Wände erscheint am 8.3.2019 via Späti Palace. Termine: 26.4. Rhiz, Wien;28.3. Willy Fred, Linz.
Die Regierung – »Was«
Es war 2017 eine echte Sensation, im doppelten Sinne. Die legendäre Essener/ Hamburger Gruppe Die Regierung veröffentlichte nach 23 Jahren – damals noch auf dem legendären Label L’age d’or – ihr Comeback »Raus« auf Staatsakt. Es entpuppt sich mit einigen, bereits zu Klassikern gewordenen Hymnen wie »Konjunktiv 2« als eines der besten Alben des Jahrgangs, der melancholische und lakonische Sprechgesang von Tilman Rossmy, der frei von nostalgischer Verklärung sowohl von seiner Stadt als auch persönlich von den Umständen als alternder Musiker erzählte, ließ das Interesse an der Gruppe stellenweise wieder hochkochen. Der Nachfolger, das noch sparsamer benannte »Was« schließt nahtlos an »Raus« an und führt die bekannten Muster fort. Auch auf dem neuen Album erfährt man jede Menge aus Rossmys Biografie, es handelt von Nervenzusammenbrüchen, Verflossenen, vom Glück in Hamburg. Als Botschaft bleibt dann übrig: »Für alles, was du verlierst, findest du was Besseres.« Ob sich »Was« für immer in die Gehörgänge und Herzen der Rezipienten einnisten wird, bleibt abzuwarten. Fest steht: Die Voraussetzungen sind verdammt gut.
»Was« von Die Regierung erscheint am 22.3.2019 via Staatsakt. Schon wieder keine Österreich-Termine.
Razzia – »Am Rande von Berlin«
Auch die Gruppe Razzia ist an so genanntem Kult-Faktor nicht gerade arm. Dass da mit »Am Rande von Berlin« das erste Album der Hamburger Punk-Institution in Originalbesetzung um den ersten Sänger Rajas Thiele seit 1991 – damals erschien »Spuren« – daherkommt, kann da natürlich alles andere als schaden, in Zeiten wie diesen sowieso nicht, als kundige und nie zu plumpe Kritiker des Establishments und dessen Gebähren sind Razzia genauso wichtig wie in den 80ern. Auch nach 1991 ging es für die Band weiter, 2004 erschien zuletzt das Album »Relativ sicher am Strand«, 2013 und 2016 wurde ein Best-of in zwei Teilen veröffentlicht. »Am Rande von Berlin« ist ein untypisches Comeback-Album, es wird zu keiner Zeit vom Mief der nostalgischen Verklärung umweht, die Band macht nicht da weiter, wo sie vor x Jahren aufgehört hat: Natürlich bleiben zwar Machart und Qualität hochwertig, dennoch verschließen sich Razzia nicht vor modernen Möglichkeiten und klingen zeitgemäß. Anspruchsvolle, teils auch melancholische Punkmusik, die zwar nicht vergisst, aus welchen Umfeld sie kommt, aber dabei stets den Blick nach vorne richtet.
»Am Rande von Berlin« von Razzia erscheint am 29.3.2019 via Major Label. Keine Österreich-Termine.