Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im März 2024

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im März 2024. Mit Rahel, Der Nino aus Wien, Messer und mehr.

Christin Nichols © Bastian Bochinski
© Bastian Bochinski

Der Nino aus Wien – »Endlich Wienerlieder«

Der Nino aus Wien © Ingo Pertramer
Der Nino aus Wien (Foto: Ingo Pertramer)

Wer vom Nino aus Wien erzählen will, muss seinen inneren Heinz Prüller im Zaum halten, so viel gäbe es da zu berichten. Wir bemühen uns einmal, bei den wesentlichen Fakten zu bleiben. Etwa, dass sich die Ninolog*innen von der Ankündigung des Titels des bereits insgesamt fünfzehnten Albums des Großmeisters (alles zusammen halt, diesbezüglich auch ein sehr interessanter Auftritt in »Rickerl«, aber das ist ein anderes Thema) wenig überrascht zeigen dürften, schließlich kündigte dieser Fuchs bereits in seinem famosen »Kochbuch (Take 16)« »Endlich Wienerlieder« als Albumtitel an. Und auch wenn das Album seinem Großvater Rudolf Mandl, einem Wienerlied-Sänger, gewidmet ist – ein anderer Großvater war übrigens Mitbegründer des Haus des Meeres, wie Nino hier erzählt – ist das ein klein wenig geflunkert. Ja, es gibt natürlich auch eine Handvoll Wienerlieder auf dem Album (»Koarl«, »Waschechter Weana«, »Schnackerl«). Natürlich mit allem Drum und Dran, was das Genre ausmacht, sparsame Instrumentierung und breiten Dialekt, in dem ja immer seine vermeintlichen Über-Über-Hits geschrieben waren, »Du Oasch«, »Praterlied«, um nur zwei zu nennen. Aber vor allem gibt’s auf »Endlich Wienerlieder« auch die typischen Popsongs eines Ninos mit breiter Band-Instrumentierung. Hit: »Alles 1 Scheiss«. Wir hören sogar auch funky Reggae (»Neu zu starten«). Apropos Reggae, wussten Sie eigentlich … Wobei: Innerer Heinz Prüller, zügel dich!

»Endlich Wienerlieder« von Der Nino aus Wien erscheint am 15. März via Medienmanufaktur Wien. Live Termine gibt’s wieder reichlich, am besten hier schauen. Hier kaufen.

Rahel – »Miniano«

Rahel © Daria Savytska
Rahel (Foto: Daria Savytska)

Achtung, Floskel: Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht, die sind bar jeder Vorstellung. Etwa, dass die im Waldviertel aufgewachsene Sängerin Rahel erst jetzt ihr Debütalbum in die Plattenläden deines Vertrauens stellt. Zu sehr gehört sie bereits zum Inventar der heimischen Popmusik, feierte schon 2021 mit ihrer Debütsingle – und immer noch Killer-Track – »Tapp Tapp Tapp« einen fulminanten Einstieg in ebenjene Welt, zu sehr wurden die Straßen und Bühnen der österreichischen Städte und Provinzen bespielt, zu sehr Hype, zu tolle Features (etwa »Volare« mit Resi Reiner) zu sehr alles, als dass eben jetzt erst das Debüt erscheint. Darauf zeigt Rahel, dass all das Vorab-Lob weder stinkt noch aus der Luft gegriffen ist. Wie kaum eine andere Künstlerin schafft sie es auf »Miniano« das Lebensgefühl der Trendies zu treffen, die sich in ihrer Selbstdarstellung wieder auf die frühen 00er Jahre beziehen. Unser Chefredakteur hat in der aktuellen Ausgabe von The Gap – hier lesen – nicht zu Unrecht den großen pophistorischen Vergleich mit Olivia Rodrigo gezogen. Nur halt in besser: Traumhaft poppige Weirdo-Songs mit zauberhaft-verschrobener Lyrik, Weltumarmung, Weltschmerz, Katharsis, Emotionen von allen Seiten. Alles, was man braucht zum Glücklichsein. Top!

»Miniano« von Rahel erscheint am 8. März via Ink. Live Termine: 10. April Postgarage Graz, 11. April Posthof Linz, 13. April Arge Kultur Salzburg, 20. April Musik-Kulturclub Lembach. Hier kaufen.

Hannes Wittmer – »Sag es allen Leuten«

Hannes Wittmer © Christoph Naumann; Quelle: mairisch.com
Hannes Wittmer (Foto: Christoph Naumann / mairisch.com)

Persönliche Note: Als junger Erwachsener war der Autor dieser Kolumne ein sehr großer Fan des deutschen Songwriters Spaceman Spiff und dessen verschrobenen, melancholischen und vor allem sehr einsamen Songwriter-Indie. Seit mittlerweile sechs Jahren und nun vier Alben, ist ebenjener unter Klarnamen unterwegs und hat zwischendurch auch gar nicht mehr dran geglaubt, dass musikalisch noch einmal etwas geht. Er hatte vor einer großen Depression 2020 mit »Das Ende der Geschichte« auch so ein wenig seine eigene zu Ende erzählt gehabt. Deshalb ist »Sag es allen Leuten« auch eher ein Album für Wittmer selbst geworden. Aber, wie es dann so ist, ist es doch vor allem ein Album für alle geworden, die das alles da draußen und drinnen einfach nur mehr traurig macht: Auf der ersten Seite mit gesellschaftskritischen Stücken – im inhaltlichen Duktus seines Podcasts »Was tun(?)« und mit Titeln wie »Die Beschissenheit der Welt«; auf der B-Seite mit Stücken, die eher im selbst zu finden sind, Melancholie, Festgefahrenheit, eben Depression und Ohnmacht – wie etwa im schönen Wiebusch-Cover »Was hätten wir denn tun sollen«. Das ist natürlich recht harter Tobak, aber gute Songwriter-Musik braucht das eben auch. Dringende Empfehlung!

»Sag es allen Leuten« von Hannes Wittmer erscheint am 1. März via Mairisch Verlag. Keine Live-Termine in Österreich. Hier kaufen.

Messer – »Kratermusik«

Messer © Moritz Hagedorn
Messer (Foto: Moritz Hagedorn)

Man kann über die Gruppe Messer sicher einiges sagen – »cool«, »klug«, »ästhetisch«, um nur ein paar Adjektive zu nennen –, aber man kann ganz sicher nicht sagen, Messer würden es den Zuhörenden einfach machen. Es ist nämlich so: Erstens erscheint mit dem vierten Album »Kratermusik« seit langen vier Jahren wieder neues Material – auch bis zum Vorgänger »No Future Days« waren es damals vier gewesen, wenngleich natürlich Hendrik Otrembas Solo-Wurf »Riskantes Manöver« für Eingefleischte etwas Abhilfe und einen Hit-(Cover)-Song schuf. Zweitens natürlich: Messer bleiben die textlich wohl am wenigsten gläserne Bands Deutschlands, Transparenz auf 0% gestellt. Otremba wählt häufig möglichst verklausulierte Sprache, vermischt, natürlich höchst bewusst, Abstraktes und Konkretes und klingt häufig auch einmal zu schlau um der Schläue Willen – wenn man das so sagen kann. Als Beispiele taugen dafür alleine schon die Titel mancher Stücke wie »Schweinelobby (Der Defätist)« oder »Kerzenrauchers letzte Nacht«. Und drittens, das Musikalische: Vielfältig an Einfluss, etwas weniger Dub als beim letzten Album, im Großen und Ganzen immer noch Postpunk, aber Postpunkt plus. Wer wagt es?

»Kratermusik« von Messer erscheint am 1. März via Trocadero. Keine Österreich-Termine. Hier kaufen.

Christin Nichols – »Rette sich, wer kann«

Christin Nichols © Bastian Bochinski
Christin Nichols (Foto: Bastian Bochinski)

Die damals 17-jährige Lesley Gore ist im kollektiven Popgedächtnis vor allem für ihren Refrain »It’s my party and I cry if i want to« geblieben. 61 Jahre später hat sich auch Christin Nichols diese Selbstermächtigung auf ihre deutsch-britischen Fahnen geschrieben und veröffentlicht ihr zweites Album auf ihrem eigenen Label »My Own Party Records«. Das Partystimmungsbarometer wird auf »Rette sich, wer kann« allerdings zum Metronom. Zwischen himmelhoch und todernst arbeitet Nichols gerne mit Text-Musik-Scheren: Während Indie-Gitarren und Synths zwar gerne auf die Tanzflächen zerren, veranlassen teilweise resignierte und aussichtslose Texte dann doch zum Sitzenbleiben oder im Idealfall sogar dazu, sich den Schmerz aus den Herzen zu tanzen. Auffällig sind auch die Gäste der ehemaligen Sängerin von Prada Meinhoff, etwa Rapper Fatoni oder Julian Knoth(!). Und das sollte Grund genug zum Feiern sein.

»Rette sich, wer kann« von Christin Nichols erscheint am 22. März via My Own Party. Als Support von Kettcar spielt Nichols am 21. April in der Arena Wien. Album kann man überall kaufen.

Außerdem erwähnenswert:

Paul Plut – »Herbarium«

(VÖ: 1. März)

Während uns die legendären Stoakogler aus Gasen einen »steirischen Sirtaki« brachten, wird der Ramsauer Paul Plut zum »steirischen Miyazaki« (Reimlevel 1000), wie wir etwa in unserem Beitrag in der aktuellen Ausgabe von The Gap – auch hier online zu lesen – getitelt hatten: So widmet sich Plut auf Album Nummer drei dem humanen Raubbau an der Natur zum Zwecke der Profitmaximierung, aber auch Ausbeutung und Bürgerkrieg. Das geschieht sowohl in neuen Stücken aus eigenen Feder wie auch auf schönen Cover-Versionen von Garish, Daniel Johnson, Kurt Girk oder auch Hildegard Knef. Hier kaufen.

Briefbombe – »Ausgeliefert«

(VÖ: 22. März)

Für alle Fans von extrem schlüssigen Gesamtkonzepten und Fastcore, also superschnellem Hardcore mit rund einer Minute Spieldauer, haben wir eine dringende Empfehlung: Briefbombe aus Hamburg machen auch auf ihrem zweiten Album den einzig wahren Postpunk, nämlich Punk mit Bezug zur Post, diesem gelben Versanddienstleister und seinen noch kritischeren Konkurrenten, verteilen Schelle wie eingeschriebene Briefe, gegen Arbeitsbedingungen, Philatelie, also Briefmarkensammeln und machen »Urlaub in Porto« (Mördergag!). Das Vinyl ist auf 350 (schwarz) +150 Stück (UPS-orange) limitiert, am besten hier online bestellen und per Post liefern lassen! 

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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