Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Der Nino aus Wien – »Ocker Mond«
Ein ganzes Jahr ohne Nino-Album, es wird sich 2020 nicht wiederholen, zum Glück sag ich euch. 2018 hat man mit dem selbstbetitelten Album zehn Jahre und zehn Alben gefeiert, auch fürs neue Jahrzehnt gibt’s ein Neuerung. Das erste Solo-Album, das diesen Namen auch verdient, aufgenommen in einer einzigen Februar-Nacht in der Cselley Mühle in Oslip und erstmals nicht auf Problembär Records, sondern auf MedienManufaktur Wien veröffentlicht. Lieder, geschrieben zwischen dem alten Sehnsuchtsort Triest, dem neuen Süden in Almería und der Stadt, die ihm seinen Namen gab. Lieder, reduziert auf das Wesentlichste, einmal hört man eine zweite Gitarre, einmal ein leises Schlagzeug. Es ist die Essenz des Nino aus Wiens, der pure Nino, denk dir vom Sound her: Das Album »Bäume», alleine vorgetragen beim Wirten. Die Lieder sind aber durchaus inhaltlich variabel, zwischen den dialektisch intonierten »Wienerlied« oder »Hawelka«, in der er sich nicht nur in eine Reihe mit Georg Danzer, sondern auch mit Conor Oberst stellt (#nicorette), finden sich auch diese typischen juvenilen Ausbrüche an Leidenschaft, die ihn einst so speziell machten, »Taxi« oder »Unter Fischen«). Und auch Liebeslieder gibt’s ein paar, am schönsten ist dabei »Australien«: »Die Diamanten tanzen wie die Sterne in Australien / und der schönste Diamant tanz allein.« Passt doch irgendwie zum Solo-Album.
»Ocker Mond« von Der Nino aus Wien erscheint am 8.5.2020 via MedienManufaktur Wien. Live-Termine muss man mal abwarten.
Ursula Strauss Ernst Molden – »Wüdnis«
Irgendwie schon noch eine ungewohnte Kombination. Dass das zwischen Muttis Lieblingsschauspielerin und Ernst Molden musikalisch klappen könnte, konnte man aber spätestens bereits auf dem wirklich sehr sehr sehr guten Cover-Album Moldens namens »Hurra« erkennen, in denen sich die beiden am eigentlich Unmöglichen versuchen und Gillian Welchs »Look at Miss Ohio« als »Jessasmaria« interpretieren und man vom Klagen der Strauss’ durchaus mitgerissen wird. Konzerte gab’s dann auch reichlich noch. Jetzt hat sich der Ernst Molden zwölf neue Stücke ausgedacht, welche die beiden singen können. Wobei, jetzt: 2019 gab’s schon eine Art Vorpremiere, jetzt eben das Album dazu. Eine Gitarre, zwei Stimmen, Lieder über alles, über das Wilde zwischen den Polen des Menschlichen: Von der »Feiawea« über den »Griag« bis zur »Hainburga Strossn« und der »Siedlung« gibt’s auf den zwölf Stücken Erdberger Blues satt, der Molden zupft ja derzeit wie kein zweiter die Elektrische. Der Zwiegesang, meist singen die beiden gemeinsam, schafft dabei eine vertraute Intimität, er verleiht den Lieder ein Stück Wahrhaftigkeit.
»Wüdnis« von Ursula Strauss Ernst Molden erscheint am 8.5.2020 via BaderMoldenRecordings. Live-Termine muss man naturgemäß derweil abwarten.
Das Trojanische Pferd – »Gunst«
Dass die Gruppe Das Trojanische Pferd ihre fünfjährige Abstinenz vom Veröffentlichen nun endlich beendet, darf durchaus als Glücksfall für die kluge österreichische Popmusik verstanden werden: Der Vorgänger »Dekadenz« wurde diesem übergroßen Titel gerecht, ausufernde Kunstlieder gar überlebensgroß. Die in künstlerischem Sinne durchaus weitgehend höchste Hochwertigkeit lässt sich auch für die zwölf Stücke des nun vierten Albums konstatieren: In weiten Teilen alleine von Mastermind Hubert Weinheimer aufgenommen wird das Band der musikalischen Einflüsse etwas weiter gespannt, es entrollen sich Musiken von eklektischem elektrischem Frickeleien bis hin zu gedankenverlorenen Klavier-Balladen in schwerem Moll mit bislang ungekannten Intimitäten und Privatheiten – besonders schön gelingt das etwa bei »Kindergeburtstag in Kaltenleutgeben«. Bei all ihrer Beklemmnis und Dringlichkeit verzichten die Stücke aber keineswegs auf das gewohnt Kritische, welche Das Trojanische Pferde ja immer ausmacht. Kurz gesagt: Alles neu, vieles beim Alten. Und das ist in diesem Fall auch ganz schön gut.
»Gunst« von Das Trojanische Pferd erscheint am 8.5.2020 via Schallter/Monkey. Live-Termine muss man ja aktuell abwarten.
Das Moped – »Erstaunlich klar«
Im Rahmen ihres Auftritts beim Waves Vienna wurde an dieser Stelle noch gesagt »Das Moped klingen wie unironische Die Kerzen«. Das ist zwar auch heute noch ganz schön superlustig, aber man muss das Ganze viel größer denken: Denn die Gruppe Das Moped ist gemeißelt für die große Zielgruppe, für die Wanda-, für die Von Wegen Lisbeth-Zielgruppe. Nur halt schon ein bisschen erwachsener. Verstanden? Egal – denn was die eigentlich aus der Nähe von Mainz stammende Dreierformation mit den chicen Frisen auf ihrem Debüt-Album abliefert, ist etwas, das man schon mit der Debüt-EP »Alle Wollen Liebe« von 2019 hätte absehen müssen: Verträumter und sehr guter Indie-Pop mit großgeschriebener Gefallsucht, mit schneidenden und geschmeidigen Synthie-Flächen, dafür das Leben hochleben zu lassen, gemacht für durchtanzte Nächte auf den wenig verbliebenen Indie-Discos, für Schmiersuff und Schmusereien, für unendlichen Urlaub aus Kopfhörern. Sehr fesch, kann man gar nicht anders sagen.
»Erstaunlich klar« von Das Moped erscheint am 22.5.2020 via Epic/Sony. Live-Termine kann ich dir jetzt auch nicht sagen.
Love-Songs – »Nicht Nicht«
Immer spannend: Krautrock aus dem Hause Bureau B. Die Hamburger Elektroakustiker Love-Songs bleiben auf ihrem Debütalbum – bis inklusive 2018 erschienen bereits mehrere EPs sowie ein Mini-Album mit dem schönen Titel »Inselbegabung« – ihrem Namen treu und präsentieren sieben teilweise sehr lange Stücke für alle, welche die Liebe in der Entmenschlichung der Musiken suchen: Jene, die elaborierte Klangexperimente mögen, mit feinfühligem Bass, stichhaltiger Perkussion und monotonem Mantra-Gesang. Schlicht also: wabernde Elektronik am Scheitelpunkt von Mensch und Maschine, exerziert mit Gründlichkeit und mit eingesprenkelten Wortfetzen oder manchmal auch mit gar banal-lakonischen Reimen wie »Du bist ein Krug und schenkst mir ein / Ich bin ein Glas und voll mit Wein« wie etwa in »Tisch mit drei Weinen«. Die Vocals werden sparsam eingesetzt, nicht zu hastig, niemals übertönen sie das Gefitzel des Klangmaterials, das stets die zentrale Rolle einhält. Herausfordernd, aber lohnend.
»Nicht Nicht« von Love-Songs erscheint am 22.5.2020 via Bureau B. Aktuell keine Termine.
Außerdem erwähnenswert:
Pauls Jets – »Highlights zum Einschlafen«
(VÖ: 29.5.2020)
Sie werden es in der nächsten Ausgabe von The Gap und auch an dieser Stelle noch ausführlicher lesen können, aber: Das neue Album der sehr guten Gruppe Pauls Jets ist ebenfalls sehr gut geworden. Der Titel ist Quatsch, denn es ist ein Album, das zum Wachbleiben animiert, zum Gedankensammeln, zur Melancholie, zum nur schwer Loslassen können. Es ist stellenweise tieftraurig, aber gleichzeitig nonchalant und einfach unwiderstehlich.
Chuckamuck – »Omlett 2«
(VÖ: 1.5.2020)
Das erste »Omlett« aus dem Jahr 2012 war eine Offenbarung: Eine EP voller Hits und Klassiker, denk an »Homeparty bei Lisa« oder »Der Laden an der Ecke«. »Omlett 2«, die neueste digitale EP der coolsten Band der Welt, ist aber auch nicht ganz ohne: Neben bereits veröffentlichten, aber leicht umgemodelten Stücken wie »Wendy Girl«, »Mars Mandel«, »Fischsong« oder »Geistergirl« finden sich auch Demos für vielleicht kommende Alben. Musste haben. Weil von dieser Gruppe solltest du alles haben.
Einstürzende Neubauten – »Alles in Allem«
(VÖ: 15.5.2020)
Zum vierzigsten Jubiläum schenkt sich diese große Gruppe das erste reguläre Album seit zwölf Jahren. Und sie schenkt es auch Berlin, über dessen Gedeih und Verderb es vorrangig auf den zehn Stücken, die genauso wenig in bestehende musikalische Kategorisierungen einordenbar sind wie das bisherige Schaffen.