Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Faber – »I fucking love my life«
Er ist schon ein Phänomen. Der Schweizer Faber, der eigentlich ganz anders heißt, ist mit seiner unvergleichlichen Art zu einem der größten und relevantesten Songschreiber und -sänger deutscher Sprache geworden. Seine ebenso einfallsreichen Musikvideos schnellen binnen kürzester Zeit auf siebenstellige Viewzahlen, Fan- und Kritikerliebling gleichzeitig, auch eine große Leistung. Für seine zweite Langspielplatte – die erste »Sei ein Faber im Wind« wird in so manchem Jahrzehnterückblick auftauchen – ändert er seinen Ansatz, der ihn von so vielen unterscheidet, nicht: Faber ist vor allem ein Geschichtenerzähler, er beobachtet und schlüpft für jeden Song in Rollen. Auf »I fucking love my life« wird er etwa zum Mahner, wenn er in »Das Boot ist voll« vom exklusiven Europa redet, er wird zum Ankläger der Doppelmoral in »Generation YouTube«, das von den Widersprüchlichkeiten ebenjener Online-Wichser erzählt, mit dem SUV zum Biomarkt und so weiter. Auch musikalisch zeigt sich der Schweizer, der immer noch in Zürich wohnt – einprägsame Zeile: »Ich würde gerne Immobilienhaie fischen aus dem Zürichsee mit dir« – gewohnt variabel: Neben dem einprägsamen balkaneskem Bläserpop ist auch reine Klavierbegleitung möglich. Folglich: Ein weiterer großer Wurf.
»I fucking love my life« von Faber erscheint am 1.11.2019 via Vertigo/Universal. Österreich-Termine: 9.3.2020, Arena Wien (ausverkauft!) sowie 12.8.2020, Arena Open Air, Wien.
Auge.Blau – »Wer A sagt…«
Das ohnehin stets geschmackssichere Berliner Label Staatsakt veröffentlicht auch im November wieder einen Release, der durchaus zum Jubilieren animiert: Die Gruppe Auge.Blau existiert schon seit über 10 Jahren, Sänger Auge könnte man auch als eine der prägendsten Figuren der Berliner Comicszene als Zeichner kennen, präsentiert auf ihrem zweiten – bereits 2012 gab es »Leuchtfeuer der Sehnsucht« – und letzten Album »Wer A sagt…«, wie sie ihn selbst nennen: Seemansblues. Und das erklärt es schon einigermaßen gut: Indiepop mit Einschlägen aller Genres, die sich als cool erwiesen: Ska, Rock’n’Roll, R’n’B, Polka und Artverwandtes. Das schreit nach Party und die Berlin lassen dabei nichts aus: Für durchaus mündiges Publikum gibt’s Lieder wie »Tanzen ohne Grund«, »Schädel« oder »Schmutzige Gedanken«, die sich jeweils dem Exzess verschreiben. Durchwegs starke Nummern zum Schunkeln und Kopfnicken, aber: Muss man schon auch mögen.
»Wer A sagt…«von Auge.Blau erscheint am 1.11.2019 via Staatsakt. Keine Österreich-Termine.
Luis Ake – »Bitte lass mich frei«
Studiogitarrist, Technoproduzent, Trap und nun: Ironischer Schlager! Der Karlsruher/Stuttgarter Luis Ake ist ganz schön rumgekommen, aber nun hörbar angekommen. Sein Debütalbum – vorher gab’s zwei EPs – ist ein zuckersüßes Statement für jene, die auch einmal zu Ironie tanzen wollen. Tighte Synths, süße Elektronik und ein Honigtopf voller Süßholzgeraspelt. Abgespeckt und klar wie Ostblock-Techno, eine Stimme zwischen Falsett und tiefstem Bass. Das ist Musik für den Tanz danach, für Berlin-Mitte-Filme der 00er, zwischen Afterhour und One Night Stand und gleich wieder clubben gehen, für die Post-Shakeytime-Sadness quasi. Sadness ist auch das Stichwort für die meist lakonisch gereimten Versatzstücke, die Titelzeile aus dem klirrend kalten Titelstück »Lass mich frei / Ich bin so allein« steht exemplarisch für das Popverständnis von Ake, Apropos klirrend kalt: Für das Video des Kernstücks und Hits des Albums »Schillerndes Mädchen« steigt Ake ins kalte Wasser, ebenso beeindruckend wie der Mut zum Kitsch. Auch hier gilt: Muss man mögen. Aber wenn man das tut, dann mag man »Bitte lass mich frei« sehr.
»Bitte lass mich frei« von Luis Ake erscheint am 29.11.2019 via Mansions and Millions. Keine Österreich-Termine bekannt.
Kettcar – »Und das geht so«
Die fabelhafte Gruppe Kettcar, die – wie wir an dieser Stelle festgehalten haben – es »immer noch kann«, verabschiedet sich nach den beiden Großtaten »Ich vs. Wir« und »Wir vs. Ich (Der süße Duft der Widersprüchlichkeiten)« in einer längere, aber nicht endgültige Pause. Die Hamburger sind so gnädig und schmeißen zum kleinen Abschied noch ein 3-LP-starkes Live-Album auf die überfüllten Märkte. Auf dem bereit zweiten Live-Album nach »Fliegende Bauten« aus dem 10er Jahr finden sich nun Stücke aus allen fünf Alben, neben (nur vermeintlich) totgespielten Evergreens wie »Im Taxi weinen«, »Landungsbrücken raus« oder »Deiche« auch neuere Stücke wie dem superen »Palo Alto« oder »Benzin und Kartoffelchips«. Die Songs wurden mit Bläser aufgenommen, die LED-Wände muss man sich dazu vorstellen. Eine weitere gute Nachricht gibt es noch zusätzlich: Kettcar gehen Anfang 2020 mit ebenjenen Songs noch einmal auf Tour, die schlechte aber: Es wird keine Österreich-Termine geben. Sehr schade. Dass Kettcar aber ganz aufhören, darf angezweifelt werden: Bei all dem, was es da draußen alles zu beanstanden gibt, können Kettcar bestimmt nicht lange zusehen.
»Und das geht so« von Kettcar erscheint am 8.11.2019 via Grand Hotel van Cleef. Keine Österreich-Termine.
André Heller – »Spätes Leuchten«
Bei all dem Firlefanz, den ein André Heller in den letzten Jahren so angestellt hat, vergisst man eigentlich fast seine Kernkompetenz: Das Verfassen und Vertonen von poetischen Texten, die man in Österreich vorher und nachher eigentlich auch nie mehr kannte. Viele seiner Lieder, ja kleinen Meisterwerke, sind in den Kanon österreichischer Hoch – und Volkskultur eingegangen. Zwischen seinem ersten Album 1970 (»Nr. 1«) und seinem freiwilligen Rückzug von der Bühne 1983 schuf er hunderte Lieder, seine Liedersammlungen »Kritische Gesamtausgabe 1967-1991« und »Bestheller 1967-2007« werden dringend angeraten. Für sein neues Album, das erste seit »Ruf und Echo« aus 2003, auf dem er von anderen Musiken gecovert wird sowie dem ersten mit neuen eigenen Stücken seit 35 Jahren hat sich Heller mit bekannten Namen zusammengetan: Man hört Robert Rotifer aus Produzent und Gitarrist, Walther Soyka – genau, von »Molden Resetarits Soyka Wirth« – spielt wie üblich seine Knopfharmonika, aber auch Martin Klein am Klavier dürfte dem geneigten Alternativen mehr als nur ein Begriff sein. Das Album selbst ist typisch und unverkennbar Heller: Mit hohem literarischen und musikalischen Anspruch ist Heller ein Freund der Kulturen – natürlich findet sich auch jüdisches Liedgut auf »Spätes Leuchten«. Nicht nur für Fans!
»Spätes Leuchten« von André Heller erscheint am 15.11.2019 via Membran/Sony. Keine Live-Termine.