Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Maurice & die Familie Summen – »Bmerica«
Um zum Grandmaster Funk des deutschen Indie zu werden, braucht es eigentlich nicht viel: Eine ausgeprägt-funky Bühnenpersonality, viel Selbstironie und vor allem: Funky Songs. Bereits in der Frühphase der sträflich unterschätzten Die Türen hat Maurice Summen – dessen Beitrag als Labelchef von Staatsakt ohnehin nie hoch genug geschätzt werden kann – im sexy Funk’n’Roll-Gestus gebadet, in einer gerechteren Welt hießen die Radiohits »Moves like Summen«. Auf seinem Solo-Album, – – das man gar nicht so nennen dürfte, schließlich sind sowohl altbekannte, als auch noch mehr Leute als bei seinen Projekten üblich dabei – passt auch die Musik noch faustiger aufs Auge zur Persona. Und so gebärt sich das humorvoll-betextete »Bmerica« als Sammelsurium an Soul, Funk, HipHop und Postpunk, Maurice & die Familie Summen wird zur Electric Super Dance Band, wenn man so will. Der Vergleich mit Deichkind kommt nicht von ungefähr, Kryptik Joe begleitet »Zeit zurück« und im sehr empfehlenswerten Bonus-Track »Maurice Summen spricht über Maurice Summen« kredenzt der Meister in einer Art persönlichem MTV Masters »Remmidemmi« im Psychobilly-Stil. Nicht nur das macht »Bmerica« zu einer tanzbaren Platten für Ironieidealisten.
»Bmerica« von Maurice & die Familie Summen erschien am 6.10.2017 via Staatsakt. Noch keine Österreich-Termine.
Gisbert zu Knyphausen – »Das Licht der Welt«
»It puts things in perspective«. Nach den beiden großartigen Solo-Alben »Gisbert zu Knyphausen« (2008) und »Hurra! Hurra! So nicht.« (2010), sowie dem Country-Noir-Husarenritt »I« mit seiner Gruppe Kid Kopphausen (2012) fällt Gisbert zu Knyphausen in ein Loch. Der Tod der Allzeitsgröße Nils Koppruch wirft einen schwarzen Schleier über Indie-Deutschland, über seinen Partner in Crime sowieso. Es dauert, bis er wieder schreiben kann, bis dieser allseits anerkannte und beliebte Großmeister der Zärtlichkeitslyrik wieder veröffentlicht. Im Sommer bereits die »Husten EP« mit Moses Schneider und Der dünne Mann, nun endlich wieder ein Solo-Album. Musikalisch führt es die Vorgängeralben weiter, orientiert an akustischen Gitarren-Fitzeleien, durchaus zu Ausbrüchen fähig. Es hat sich aber etwas verändert, die Art zu erzählen. Zu Knyphausen lässt einen nicht mehr so an sich ran, wechselt Perspektiven, erzählt vom Leben der anderen, ist Beobachter. Innere Monologe sind selten, aber glückselig machend, wie im sanften »Dich zu lieben ist einfach«. Der persönlichste Titel ist einer der beiden – das ist neu – englischsprachigen, »Teheran Smiles«, wo er von der Wende seiner ureigenen Traurigkeit erzählt. Ebendort hat sich viel gelöst, die Stadt machte dieses Album erst möglich. Und mal ehrlich: Ohne dieses Album würde der Welt etwas fehlen.
»Das Licht der Welt« von Gisbert zu Knyphausen erscheint am 27.10.2017 via [PIAS]. Österreich-Termine: 25.1.2018: WUK Wien, 26.1.2018: PPC Graz, 27.1.2018: Rockhouse Salzburg.
Gloria – »Da«
Man muss es der Gruppe Gloria wirklich zugute halten, dass sie vergleichsweise klein bleibt, im Stillen passiert. Denn – und das bleibt nicht erspart –, wenn die Namen der Mitglieder weit größter als die Musik sind als der objektiv messbare Erfolg der Band, ist das nicht immer selbstverständlich. Außerdem bewundernswert: »Da« ist das dritte Album von Tavassol und Heufer-Umlauf, der beim ersten »Gloria« noch vermeintlich zu vermutende Vorwurf des Ausnutzens von Namen endgültig entkräftet. Musikalisch ist auch »Da« durchaus gefällig, auch wenn das die mit großen Pop-Lettern geschriebene Vorab-Videoauskupplung »Immer noch da« nicht vermuten ließe. Befreit von jeglichen Ansprüchen eines wie auch immer gearteten Undergrounds – offensichtlich und auch anders schwer denkbar –, ist die Ausprägung der musikalischen Identität und insbesondere die Frage nach vermeintliche Chartstauglichkeit zur freien Gestaltung. Klar, Gloria kratzen am »Menschen Leben Tanzen Welt«, am Matthias Schweighöfer’schen »Lachen Weinen Tanzen«, aber in den Nuancierungen erkennt man die feinere Klinge, die Gloria auch für ehemalige Indies ohne Image-Einbußen erträglich macht.
»Da« von Gloria erscheint am 13.10.2017 via Grönland Records. Am 28.1.2018 spielen sie im Chaya Fuera in Wien.
Blonder Engel – »Das blonde Album«
Ein schwieriges Feld: Die Verbindung von humoristischen Texten, die eine Gesamteinordnung ins Genre »Comedy« notwendig machen, aber dennoch musikalisch anspruchsvoll zu sein, so dass das Publikum aus durchaus Fachkundigen Rezipienten und Rezipentinnen besteht. Wenn dieses Feld schon eine Dekade beackert wird, sich Erfolg durchaus eingestellt hat, dann ist das mehr als Grund zum Feiern. Wenn man eine schwere Krankheit besiegt hat, dann noch tausendmal mehr. Ein Best-Of, wie jenes von Blonder Engel, kommt da zur rechten Zeit. Wobei: Best-Of darf man nicht sagen. Es werden zwar Hits und Highlights präsentiert, die insgesamt 24 Lieder warten auch mit gänzlich neuen und überarbeitetem Liedgut auf. Musikalisch ist das meist balkanesker Schunkel-Pop, mit allerhand Flöten, Akkordeon und weiterer wunderlicher Instrumentierung. Das Pudels Kern sind aber selbstredend die Texte, die ohne platte Plattitüden durchgehend unterhalten und zum Schmunzeln verführen. Damit erfüllt »Das blonde Album« nicht nur Zweck für Neueinsteiger, auch alte Fans freuen sich über neu – und keinesfalls weniger gut – inszenierte Evergreens.
LEAD OUT
»Das Blonde Album« von Blonder Engel erscheint am 20.10.2017. Termine: 20.10. Posthof Linz, 2.11. Orpheum Graz, 4.11. Stadtsaal Waidhofen/Thaya, 23.11. ARGEkultur Salzburg, 24.11. Stadtsaal Wien.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Wanda – »Niente« (VÖ: 6. Oktober 2017)
Der wahrscheinlich vom medialen Interesse her aufregendste neue Release sei hier nur kurz angedeute, weil an anderer Stelle schon viel gesagt wurde. Ja, Wanda ist mittlerweile die größte Band des Landes, gibt Autogrammstunden in Warenhäusern, übernimmt Jugendsender und wird dann doch nur im Formatradio gespielt. »Niente« ist anders als »Bussi«, konsequenterweise orientiert es sich aber an jenem und führt ihn fort. Die, das Ungestüm von »Amore« wertschätzen konnten, fühlen sich nicht mehr abgeholt. Dafür die anderen 8 Millionen.
Kettcar – »Ich vs. Wir« (VÖ: 13. Oktober 2017)
Die Hamburger Institution des guten Geschmacks und die Impulsgeber der Befindlichkeitsfixiertheit im deutschen Indie, kehren nach langen Jahren zwischen dem famosen, aber unterschätzten »Zwischen den Runden« aufs Parkett zurück und überraschen mit unüblich konkret-politischen Songs wie den bereits bekannten »Wagenburg« und »Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)«. Aber auch ihre große Stärke, identitätsstiftende Lieder über die Schattenseiten des Erwachsenenseins, findet Einklang in ein überdurchschnittlich schönes Comeback. Dazu wird es auf thegap.at noch einen längeren Text zu lesen geben.
Шaпκa – »Wir sind Propaganda« (VÖ: 28. Oktober 2017)
Vielleicht einer der wichtigsten Releases im Oktober, aufgrund einer folgenden tiefergehenden Analyse auf thegap.at sei auch »Wir sind Propaganda« hier nur kurz angeteasert. Ganz dem Riot-Grrrl-Ethos verpflichtet, beglücken die vier Wienerinnen auf ihrem ersten Album nach fünf Bandjahren mit nach vorne gerichtetem Punk, In-Your-Face-Avantgarde und virtuosen Lines gegen dich und mich.
Huelse – »Im Kreis gedreht und jetzt im Krieg« (VÖ: 13. Oktober 2017)
Ganz schön vielseitig: Auf ihren Debüt präsentieren Huelse aus Hessen variablen Noise-Indie-Post-Punk mit äußerst sympathischer Machart. Teilweise an junge Wilde aus dem noisigen Süden erinnernd, reiht sich das neueste Bakraufarfita-Release auch in die norddeutsche Tradition der guten alten Rachut-Schule ein. Ein wilder Ritt durch Denkweisen, dennoch eigenständig. Und das ist ganz schön anständig.